Experten kritisieren Facebooks Kampagne gegen Teenager-Selbsttötungen

Das soziale Netzwerk will in seinen Diensten verhindern, dass sich junge Nutzer selber schaden. Doch der Ansatz sorgt für Ärger.

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Löschzentrum von Facebook

Facebook betreibt auch Instagram und WhatsApp.

(Bild: dpa, Soeren Stache)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tanya Basu
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Facebook will in seinem Diensteangebot künftig gegen Selbsttötungen und den sogenannten Self-Harm vorgehen, bei dem sich Nutzer selbst verletzen und dies dann auf den Plattformen mit Anderen teilen. Damit möchte der Konzern gegen eine Epidemie vorgehen, die unter Jugendlichen ausgebrochen ist, wie es hieß. Geplant ist unter anderem, Daten mit Organisationen zu teilen, wie Nutzer über die Themen diskutieren, sowie einen eigenen "Safety Policy Manager" einzustellen, der sich um die Themenbereiche Gesundheit und Wohlbefinden kümmert.

Unter den praktischen Änderungen der Facebook-Politik befindet sich auch die Entscheidung, künftig keine Bilder mehr zu erlauben, die bestimmte Formen von Selbstverletzungen zeigen – darunter solche mit Messern. Facebook, zu dem auch Instagram gehört, will es zudem erschweren, solche Inhalte über die Suche aufzufinden und sie auch nicht mehr bei Instagram algorithmisch im "Stöbern"-Tab empfehlen. Schon im Februar hatte Instagram angekündigt, Bilder automatisch mit Verwischungsfiltern zu belegen, sollten sie drastischen Self-Harm zeigen.

Allerdings sehen Experten, die die Zunahme von Selbsttötungen bei jungen Menschen untersuchen, in den Maßnahmen nicht nur gutes. Insbesondere zweifeln sie daran, dass die deutlich in der Öffentlichkeit vorgetragenen Ankündigungen praktische Ergebnisse haben werden.

Die Theorie, dass soziale Medien der Grund für einen Anstieg an Selbsttötungen unter jungen Menschen ist, gilt mittlerweile als zunehmend gut dokumentiert. Dabei geht es um etwas, das sich "Selbstmordansteckung" nennt – und dieses Phänomen existiert nicht nur bei Facebook & Co. Auch wenn über solche Vorfälle in den klassischen Medien berichtet wird, gibt es oft Nachahmer. Soziale Medien sorgen allerdings für eine virale Verbreitung solcher Nachrichten.

Jeanine Guidry, Professorin an der School of Media and Culture der Virginia Commonwealth University, meint, das Problem sei, dass die Erforschung der Beziehung zwischen Selbsttötungen und sozialen Medien noch ganz am Anfang stehe. Im April publizierten Guidry und ihre Kollegen eine Untersuchung im "Journal of Communication in Healthcare", die sich mit der Natur solcher Konversationen zum Thema auf Instagram beschäftigte.

Dabei fanden sie heraus, dass Posts, die das Thema Selbsttötung beinhalteten und entsprechend drastische Darstellungen enthielten, öfter angeklickt und kommentiert wurden als andere. Öffentliche Gesundheitsorganisationen nutzen Instagram dagegen noch nicht, um Selbsttötungen zu bekämpfen – eine womöglich verpasste Chance, wenn man bedenkt, wie viel Teenager und junge Erwachsene den Dienst nutzen. Dan Romer, Forschungsdirektor am Adolescent Communication Institute der University of Pennsylvania, sieht das ebenfalls so. "Im Kleinen scheinen diese Verhalten populär oder sogar normal geworden zu sein. Im Großen könnte es dazu führen, dass Menschen, die darüber nachdenken, zur Nachahmung angeregt werden."

Im Mai publizierten Romer und Kollegen eine Studie, in der untersucht wurde, welchen Einfluss Instagram-Bilder von Selbstverletzungen auf 700 Menschen zwischen 18 und 29 hatten. Sie fanden heraus, dass innerhalb eines Monats nach Ansicht solcher Bilder 60 Prozent der Probanden darüber nachgedacht hatten, wie es sich wohl anfühlen würde, sich selbst zu verletzen.

Gezeigt wurde aber auch, dass nur 20 Prozent der Menschen in der Studie willentlich nach solchen Inhalten auf Instagram gesucht haben. Das bedeutet, dass eine große Anzahl per Zufall auf sie gestoßen sind – obwohl sie einer dafür sensiblen Gruppe angehörten. In diesen Fällen würde es also auch nichts helfen, wenn Facebook die Aufnahmen in seiner Suche blockiert.

Es ist außerdem fraglich, wie Facebook sein Ziel erreichen will, explizite Self-Harm-Bilder zu blockieren. "Sie werden KI-Algorithmen benötigen, um diese Bilder zu identifizieren, weil es einfach zu viele gibt", meint Romer. Doch das ist eine Herausforderung: "Wie trainiert man eine künstliche Intelligenz, damit sie die unterschiedlichen Grade erkennt, die die Menschen für problematisch halten?"

Ein weiterer Teil der Facebook-Maßnahmen – Nutzer mit Freunden zu verbinden, um "Selbstmordansteckung" zu verhindern – könnte sinnvoller sein. In ihrer Arbeit zeigte Guidry, dass man zwar viel über soziale Medien, negative Kommentare und Cyberbullying lese, die dann zu Selbsttötungen führten, es aber tatsächlich viele unterstützende Postings gebe: "Ich bin für Dich da", etwa, oder "Du bist nicht allein". Zudem scheinen Nutzer von Instagram mittlerweile entsprechende Reporting-Werkzeuge zu verwenden, sobald sie von ihrer Existenz erfahren haben.

Den Menschen scheint das alles also nicht egal zu sein und sie wollen helfen. Romer ist sich aber nicht sicher, wie sich dies kanalisieren lässt. "Wie weiß man, wer ein Freund ist? Wie kann man Leute identifizieren, die einem helfen können? Das ist auch ein Problem des Datenschutzes."

Mehr Infos

Facebooks Plan, einen Sicherheitsexperten extra für diese Frage abzustellen, sorgte ebenfalls für mehr Nachfragen als Lob. Die Position soll globale Regelungen aufstellen, mit denen Aktivitäten beendet werden können, die die Sicherheit, Gesundheit und das Wohlbefinden der Facebook-Community bedrohen.

Neben Selbsttötungen und Self-Harm sollen dies auch "Essstörungen, Depressionen, Angstzustände, Sucht, Ernährung, gesundes Verhalten, Impfungen und mehr" sein.

Das sei "ein großer, großer, großer Job" für denjenigen, der ihn übernimmt, meint Romer. Und er käme mit großen Herausforderungen. "Ich bin gespannt, wer ihn kriegt." Wirklich qualifiziert sei eigentlich nur jemand, der bei einer großen Gesundheitsorganisation wie der WHO beschäftigt gewesen sei. "Um dieses Niveau dreht es sich hier." Zudem sehe das alles sehr nach PR-Maßnahme aus, dass sich Facebook "kümmert". "Ob eine einzige Person Bemühungen in all diesen Bereichen organisieren kann, ist eine gute Frage."

(bsc)