Fediverse: Was Sie über Mastodon und Co. wissen müssen

Seite 3: Bietet das "Web0" eine neue Lösung?

Inhaltsverzeichnis

Sobald ein föderiertes Netzwerk massiv wächst, tendiere es dazu, eine Lösung in Zentralisierung zu suchen – nahezu automatisch. Und das ist etwas, das die großen Tech-Konzerne gut können, schließlich ist dort auch das nötige Geld, um große Serverinfrastrukturen bereit zu stellen. Was, wenn Elon Musk auf einmal föderieren möchte? Er dürfte ActivityPub implementieren, auch wenn er aufgrund der Lizenz entsprechende Veränderungen stets offen halten müsste. "Viele Instanzen würden sich vermutlich weigern, mit ihm zu föderieren", sagt Balkan.

Aber es gibt andere kommerzielle Tech-Unternehmen, bei denen die Abneigung weniger eindeutig ist. Der Blogging-Dienst Tumblr hat kürzlich angekündigt, Activity Pub unterstützen zu wollen. „Matt ist noch am wenigsten Silicon-Valley-mäßig unterwegs“, sagt Balkan. Tumblr-Chef Matt Mullenweg hat zahlreiche Open-Source-Projekte aufgebaut und gefördert. Wenn Tumblr nun tatsächlich ActivityPub implementiert, wäre es Teil des Fediverse – und mit seinen 135 Millionen aktiven Nutzenden mit Abstand die größte Instanz des Fediverse. Es ist eine ganz andere Größenordnung als die 800.000 Accounts der derzeit größten Instanz Mastodon.Social.

Die größte Instanz wäre dann ein kommerzieller Dienst, der trotz möglicherweise fortschrittlichen Denkens seines Betreibers all das vereint, was man im Fediverse nicht gerne sieht: Zentralismus, Kommerz, eine algorithmisch gesteuerte Timeline – kann das überhaupt funktionieren? "Das ist eine moralische Frage", sagt Kubikpixel. Denn auch wenn das Fediverse nicht-kommerziell angelegt ist, könne niemand verhindern, dass Unternehmen Dienste anbieten, mit denen sie Geld verdienen. Und auch nicht, dass kommerzielle Unternehmen Teil des Ferdiverse werden, die eine algorithmisch gesteuerte Timeline anbieten.

"Ein System wird zu dem, für das es designet wurde", sagt Balkan dazu. Wenn die Incentives im Fediverse so sind, dass zentralistische kommerzielle Tech-Unternehmen Vorteile haben, dann werden diese auch kommen und womöglich früher oder später dominieren. "Allerdings ist es gar nicht so einfach, so etwas anders zu designen", gibt er zu.

Aral Balkan arbeitet seit acht Jahren am "small web", wie er sein Projekt nennt. Spaßeshalber hat er es auch mal "Web0" genannt, im Kontrast zum Web3 – der Slogan war recht erfolgreich, weil es eingängig ist. Das "Manifesto" beginnt mit einer Gleichung:

  • web3 = decentralisation + blockchain + NFTs + metaverse
  • web0 = web3 - blockchain - NFTs - metaverse
  • web0 = decentralisation

Viele kritisieren das Web3. Balkans Vision ist das Gegenteil davon: selbstbestimmt, nichtkommerziell, dezentral. Genau genommen soll die Funktion der Infrastruktur, an der er arbeitet, allein den Menschen dienen, die sie nutzen – und keinen Konzernen, die Daten sammeln beispielsweise. Der wohl größte Unterschied zum Fediverse ist eine Peer-to-peer-Kommunikation: Nutzende kommunizieren direkt miteinander, ohne zwischengeschalteten zentralen Service, aber auch ohne zu föderieren.

Dafür sollten alle ihren eigenen Webserver betreiben, sagt Balkan – und weil das schon wieder kompliziert klingt, schiebt er gleich hinterher: "Freilich dürfe es dafür Hosting-Sevices geben. Aber diese sollten jeweils maximal 10.000 Nutzer hosten dürfen. Das ist genug, es soll nachhaltig sein", sagt Balkan. So bilden sich seiner Meinung nach keine Tech-Giganten.

Gerade entwickelt Balkan sowohl "kitten" – einen kleinen Webserver und ein Framework, um Anwendungen für das Small Web zu programmieren, sowie "domain", ein Tool für Hosting-Anbieter. Der Normalfall soll aber sein, dass es einen Server pro Menschen gibt: "Es ist wirklich einfach". Das könne auch einfach ein Raspberry Pi sein, für den es lediglich einen Usernamen und ein "Geheimnis" brauche, einen kryptografischen Schlüssel. Mit Namen und öffentlichem Schüssel könne der Nutzer dann mit jedem anderen Server im Small Web kommunizieren. "Radikale Einfachheit", sagt Balkan. Auf Basis dieser Technologie ließe sich alles entwickeln, eine Möglichkeit zu chatten oder auch Backgammon zu spielen oder Bilder zu teilen oder was Menschen ansonsten gerne tun im Netz.

Er habe nichts gegen das Fediverse, sagt Balkan. Im Gegenteil: "Die Menschen wären jetzt gerade verloren, wenn es das Fediverse nicht gäbe." Auch dass der Mastodon-Gründer Eugen Rochko seine Plattform so entwickelt hat, wie er es getan hat, sei nur im Nachhinein einfach zu kritisieren. "Hätte er damals das gebaut, was ich gerade versuche zu gestalten, hätte es nicht funktioniert." Aber jetzt zeige sich, wohin die Design-Entscheidung in der Konsequenz führe – nämlich wieder in Richtung Zentralisierung. Nun sei die Zeit reif, etwas gänzlich neues zu gestalten, etwas, das nicht übernommen werden kann von Akteuren aus dem "Big Web". "Wir werden nicht koexistieren im bestehenden System, damit es nett aussieht", sagt Balkan entschlossen, "wir bauen etwas ganz anderes."

(jle)