Fusionsenergie: Wie Helion es in fünf Jahren schaffen will

Helion Energy will in fünf Jahren das weltweit erste kommerzielle Fusionskraftwerk in Betrieb nehmen. Doch funktioniert die Technik?

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Die elektromagnetischen Spulen, die in Polaris zum Einsatz kommen werden.

(Bild: Helion)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • James Temple
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Das US-Start-up Helion Energy, die von OpenAI-Mitbegründer Sam Altman unterstützt wird, glaubt, in einem halben Jahrzehnt das erste kommerzielle Fusionskraftwerk der Welt in Betrieb nehmen zu können. Zum Vergleich: Die reguläre Wissenschaft arbeitet schon seit mehr als einem Dreivierteljahrhundert an der revolutionären klimaneutralen Energietechnik, nennt aber erheblich konservativere Zeitpläne.

Die Ankündigung von Helion Energy ist eine verblüffende Behauptung. Energie erzeugen wie die Sonne – und das in fünf Jahren? Physiker sind skeptisch. Das liegt vor allem daran, dass sich das Unternehmen nicht dazu geäußert hat und auch nicht dazu Stellung nehmen will, ob es den ersten großen Test jeglicher Fusionstechnik bestanden hat. Schafft sein Verfahren, mehr Energie aus dem Prozess herauszuholen, als für seinen Betrieb erforderlich ist?

Dennoch hat das zehn Jahre alte Unternehmen mit Sitz in Everett im US-Bundesstaat Washington bereits seinen ersten Kunden für die geplante kommerzielle Anlage gefunden und sogar einen Stromabnahmevertrag mit dem Software-Riesen Microsoft abgeschlossen. Helion geht davon aus, dass die Anlage im Bundesstaat Washington gebaut wird, 2028 ans Netz geht und innerhalb eines Jahres ihre volle Erzeugungskapazität von mindestens 50 Megawatt erreicht.

Das ist im Vergleich zu anderen Kraftwerken allerdings wenig: Die Leistung eines typischen US-Erdgaskraftwerks liegt derzeit bei weit über 500 Megawatt. Dennoch wäre Helions Projekt eine große Sache: Wirtschaftliche kommerzielle Fusionskraftwerke könnten eine stetige Quelle sauberen Stroms sein, ohne die Schwankungen von Solar- und Windenergie oder die Kontroversen um die Atomkraft, den Cousin der Fusionsenergie. Sie könnte es billiger und einfacher machen, die Treibhausgase, die den Klimawandel vorantreiben, aus dem Energiesektor zu eliminieren. Gleichzeitig würde sie dazu beitragen, die rasant steigende Stromnachfrage zu decken, die durch die Dekarbonisierung von Verkehr, Haushalten, Gebäuden und Industrie anfällt.

Helion ist sehr optimistisch: Andere Fusions-Start-ups wollen frühestens Anfang der 2030er Jahre mit dem Betrieb von Kraftwerken beginnen. Und viele Beobachter halten selbst diese Zeitpläne für zu optimistisch. Wenn Helion keine großen Fortschritte gemacht hat – kommuniziert wurden sie nicht –, stünde das Unternehmen noch vor einer Reihe sehr schwieriger technischer Aufgaben, sagt Jessica Lovering, Geschäftsführerin des Good Energy Collective, einer Forschungsorganisation, die sich unter anderem für die Nutzung der Kernenergie einsetzt, um den Klimawandel aufzuhalten.

Da wäre wie erwähnt die Tatsache, dass der Prozess mehr Energie erzeugt, als er verbraucht – und die Umwandlung dieser Energie in eine konsistente, erschwingliche Form von Strom, der in das Netz eingespeist werden könnte. "Es gibt also zwei große unbewiesene Schritte", sagt Lovering und fügt hinzu, sie sei "skeptisch, was die technologische Bereitschaft angeht". Adam Stein, Direktor des Nuclear Energy Innovation Program am Breakthrough Institute, ist ebenfalls der Meinung, dass Helion noch vor einigen großen technischen Hindernissen steht. "Das bedeutet nicht, dass es unmöglich ist, aber es ist auch nicht ein einfacher Durchmarsch zum Sieg, wie das oft dargestellt wird", sagt er. "Das sind echte Durchbrüche, über die wir hier reden."

Bisher hat nur eine Forschungsgruppe, die National Ignition Facility am Lawrence Livermore Laboratory, einen solchen "wissenschaftlichen Nettoenergiegewinn" ("scientific net energy gain”) erzielt – was in diesem Fall bedeutet, dass mehr Energie aus der Fusion gewonnen wurde, als die 192 Laser brauchten, um die Reaktionen auszulösen. Dieser Meilenstein wurde Ende vorigen Jahres erreicht.

Das Experiment erreichte jedoch nicht den so genannten technischen Nettoenergiegewinn ("engineering gain"), bei dem die gesamte Energie berücksichtigt wird, die für den Betrieb der Laser und den sonstigen Betrieb des Prozesses benötigt wird. Nach Ansicht von Experten ist es für die Entwicklung praktischer kommerzieller Fusionssysteme unerlässlich, diesen Punkt zu erreichen. (Allerdings ist es dem Labor bisher nicht einmal gelungen, sein erstes Kunststück zu wiederholen.)

Helion-CEO David Kirtley sagte gegenüber MIT Technology Review im Jahr 2015, er glaube, dass das Unternehmen in den nächsten drei Jahren "wissenschaftliche Erfolge" erzielen könne. Als wir ihn diese Woche erneut fragten, ob das Unternehmen wissenschaftliche oder technische Fortschritte erzielt hat oder wann es damit rechnet, lehnte er einen Kommentar ab und berief sich dabei auf Geheimhaltung gegenüber dem Wettbewerb. Das Unternehmen sagt nur, dass es bei den "anfänglichen Zeitprognosen" davon ausgegangen sei, dass es in der Lage sein würde, schneller Geldmittel zu beschaffen, als dies dann der Fall war.

Zusätzlich zu den technischen Herausforderungen muss Helion auch noch seine kommerzielle Anlage planen, genehmigen und bauen, während die US-Atomaufsichtsbehörde (US Nuclear Regulatory Commission) noch an den Details der Aufsicht über den im Entstehen begriffenen Sektor arbeitet. Kirtley betont jedoch, dass das Unternehmen, das fast 160 Mitarbeiter beschäftigt, einen Ansatz verfolgt, der einige der Hindernisse "umgeht", mit denen andere Forschungsgruppen und Start-ups konfrontiert sind. Er sagt auch, dass das Unternehmen bereits bedeutende Fortschritte gemacht habe.

Helion hat bis heute sechs Prototypen entwickelt und getestet. Im Jahr 2021 gab das Unternehmen bekannt, dass der jüngste, Trenta genannte Prototyp Temperaturen von mehr als 100 Millionen °C erreicht hat, womit es das erste private Unternehmen war, das öffentlich bekannt gab, dass es die für eine kommerzielle Anlage erforderlichen Temperaturen erreichen kann. Das Unternehmen baut derzeit eine siebte Anlage, Polaris, von der es erwartet, dass sie im nächsten Jahr die Fähigkeit zur Stromerzeugung aus den Reaktionen demonstrieren wird.

"Angesichts der Geschichte der Kernfusion verstehen wir, dass es Skepsis gibt, und wir glauben, dass diese Skepsis auch gesund ist", teilt Helion in einer Antwort an MIT Technology Review mit. "Die Ergebnisse und Fortschritte unseres 6. Prototyps stimmen uns sehr zuversichtlich, dass unser Zeitplan realistisch ist und wir das erste Fusionskraftwerk bis 2028 bauen können."