Gaming und Kognition: Spiele wie "Elden Ring" sind Booster fürs Ego

Seite 3: Unser Gehirn weiß nicht, dass es ein Spiel ist

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Es gibt wohl kaum jemanden, der komplett ohne Frust erlebt zu haben, das Ende von Elden Ring sieht. Wieso bringt das so vielen Menschen Freude? Ein Blick ins Gehirn kann Antworten geben. "In Videospielen müssen die Sinneseindrücke sehr schnell verarbeitet werden und zu einer motorischen Reaktion führen", sagt der Neurologe Prof. Dr. Uwe Ilg, der etwa schon untersucht hat, inwiefern Gamen den Zahlensinn trainieren kann. Durch die virtuelle Umgebung eines Videospiels könnten Reaktionen viel häufiger und prägnanter provoziert werden. "Wenn ich durch einen Wald laufe, kann es selten passieren, dass ein Ast runterfällt und ich reagieren muss. In einem Videospiel kann genau so eine Reaktion ständig hervorgerufen werden", sagt er.

Wer auf dem Sofa liege und Fernsehen schaue, mache das passiv. Im Videospiel ist alles aktiv und dementsprechend werden auch andere Bereiche des Gehirns angesprochen. Vor allem der Frontalcortex sei das. Der Bereich also, in dem Entscheidungen getroffen werden. "Das Gehirn unterscheidet dabei aber nicht zwischen virtuell oder real", sagt Dr. Ilg. Ob man nun einen schweren Endgegner in einem Spiel besiegt oder eine Prüfung in der Schule besteht, "die Endorphine werden in beiden Fällen ausgeschüttet".

Dadurch können Videospiele Räume bieten, um Reaktionen zu trainieren und auch eine Form von Selbstwirksamkeit zu erleben. Beispielsweise spielt die Hand-Augen-Koordination eine wichtige Rolle. Und wenn nach etlichen Stunden plötzlich doch der Gegner besiegt ist, kann es daran liegen, dass diese Koordination sich verbessert hat. Aber wieso haben so viele Menschen überhaupt erst Lust, sich diesen ultraschweren Gegnern zu stellen?

"Games können regulierend für die Psyche sein. Sie geben direkte Rückmeldung, dass ich etwas geschafft habe", sagt die Psychologin Jessica Kathmann. Das könne das Erleben von Selbstwirksamkeit stärken und damit dem Selbstwertgefühl zuträglich sein. Denn auch hier sei das Virtuelle der große Vorteil der Videospiele. "Wenn ich eine schwere Matheklausur vor mir habe, kann ich das als sehr stressig empfinden", sagt sie. Denn wenn diese nicht bestanden würde, hätte das ja ernste Konsequenzen. Im Videospiel aber gebe es diese nicht. "Es kommt immer darauf an, wie ich eine Herausforderung frame", sagt sie. So mache es einen großen Unterschied, ob ich die Herausforderung als Möglichkeit zu lernen und mich zu verbessern sehe oder als unüberwindbares Hindernis, an dem ich immer wieder scheitern werde. Und Games könnten eher positiv geframet, also eingerahmt werden. Es ist paradox: "Wenn wir im Spiel verlieren, können wir uns sagen, dass das nicht so wichtig ist. Aber wenn wir gewinnen, haben wir trotzdem die Dopaminausschüttung wie bei einem realen Gewinn", sagt sie.

Zumal in einem fair ausbalancierten Spiel auch die Frustrationstoleranz ausgebaut werden könne – und die erlernte Hilflosigkeit abgebaut. Es gibt Versuche mit Hunden, die durch Strom gereizt wurden. Eine Gruppe der Tiere konnte dem Reiz durch einen Sprung entkommen, die andere nicht, da sie angeleint war. Doch auch nachdem die Leine entfernt wurde, änderte diese Gruppe nicht das Verhalten. Sie hatten schon verinnerlicht, dass sie nicht reagieren können. Das Mindset entsteht: Ich kann sowieso nichts ändern (Overmier, Seligman: 1967).

Ein Videospiel, das schwierig, aber fair ist, vermittelt immer: Du kannst etwas ändern. Die Spieler erkennen ein Problem, etwa einen schweren Endgegner. Sie lernen, dass sie nicht weiterkommen, wenn sie den Gegner nicht besiegen. Dann erkennen sie aber, dass der Gegner durchaus besiegbar ist – und schließlich, dass sie ihn selbst besiegen können. Oder dass sie Hilfe von Mitspielern bekommen können – Elden Ring bietet die Möglichkeit, Freunde oder Fremde herbeizurufen, die dann in Form von Spielfiguren in der Spielwelt erscheinen. Diese Erkenntnisse der Veränderbarkeit können eine motivierende Wirkung auf die Psyche haben.

Dass Elden Ring kaum kommuniziert, dürfte diese Aufwertung für einige Spieler und Spielerinnen nur noch verstärken. Björn Pankratz kennt neben dem Gefühl der unfairen Überforderung noch ein zweites, das viele Spielerinnen und Spielern sehr negativ auffallen würde: "Wenn sie das Gefühl haben, bevormundet zu werden", sagt er. Zu sehr betüdelt, zu sehr an die Hand genommen.

Es ist bemerkenswert, dass die Spiele in den vergangenen Jahren einen außergewöhnlich großen Erfolg hatten, die den Spielenden kaum an die Hand nehmen. "The Legend of Zelda: Breath of the Wild" ist eines davon. Elden Ring ein anderes. Ersteres ist 2017 erschienen und hat seither einige Videospiele stark beeinflusst. Letzteres dürfte die Games-Branche in den kommenden Jahren stark prägen. Dabei wird der Schwierigkeitsgrad womöglich gar nicht die größte Rolle spielen. Er ist bezeichnend für das Spiel, lockt Millionen Spielerinnen und Spieler an.

Das Besondere an Elden Ring und den anderen Spielen von From Software ist aber vor allem, dass die Entwickler das Risiko eingehen, die Spielenden wirklich ernst zu nehmen – indem sie es zulassen, zu scheitern. Denn nur dann ist ein Erfolg wirklich ein herausragendes Erlebnis. Und es ist dann besonders stark, wenn ein Spiel den Spielenden suggerieren kann, dass sie es fast ganz allein geschafft haben. Ohne Icons, ohne Schwierigkeitsgrade – ohne ständiges Dazwischenreden. In einer Welt der Krisen, in der es so scheint, als könne gar nichts mehr verändert werden.

(lca)