Gefühlter Mangel

Mit großer Regelmäßigkeit beklagt vor allem der Branchenverband BITKOM den Fachkräftemangel im IT-Bereich. Junge Leute sollen zu einem entsprechenden Studium bewegt und ausländische Kräfte angeworben werden.

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Von
  • Frank Möcke
Inhaltsverzeichnis

Händeringend suchten die Firmen IT-Fachkräfte und Ingenieure, stöhnen Industrieverbände und Politiker. Darum sollen mehr Schulabsolventen zum Studium bewegt werden als bisher, junge Frauen durch Schnupperkurse und Computersommercamps an den Rechner gebracht werden. Die Unis offerieren ihre Studienplätze wie warme Semmeln: „Wir bieten kreativen Köpfen hervorragende Perspektiven für Studium und Karriere“, das „Hochschulkarrierezentrum für Frauen Berlin“ lässt „junge Frauen die Technik erobern“, „glänzende Karrierechancen“ böten sich den Studienwilligen, wenn sie nur in die Informationstechnik einstiegen.

Die Verbände werfen alarmierend klingende Zahlen in die Medienschlacht. Im letzten Jahr habe man rund 50000 Ingenieurstellen nicht besetzen können, so eine VDI-Studie. Allein von Januar bis Juni haben Deutschlands Ingenieur-Arbeitgeber 31146 Vakanzen in den bedeutenden Printmedien ausgeschrieben. Das entspricht einer Steigerung von 42 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Vor zwei Jahren zählte man nur 17366 Stellenanzeigen. Eine Offensive in der Ingenieurausbildung und eine bessere Integration von Frauen und älteren Ingenieuren in den Arbeitsmarkt sei geboten: „Nur wenn wir die Zuwanderung von Fachkräften erleichtern und gleichzeitig die Potenziale von jungen Menschen, Frauen und den 30000 älteren arbeitslosen Ingenieuren nutzen, kann Deutschland weiterhin technologisch einen Spitzenplatz einnehmen“, mahnt VDI-Präsident Willi Fuchs.

Ist die Rede vom Fachkräftemangel in der Informationstechnik, zitieren Medien und Politiker immer wieder eine Studie des Branchenverbandes BITKOM, die dieser im Dezember 2006 vom Marktforschungsinstitut TechConsult durchführen ließ (c't 6/07, S. 69). Sie gelangte bis in den „Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit“, den das Bundesbildungsministerium jüngst vorgelegt hat. Danach könnten 20000 Stellen im Kernbereich der IT-Branche nicht besetzt werden, insbesondere der Mittelstand sei betroffen. Rechne man IT-Fachleute in Bereichen wie Maschinenbau, Fahrzeug- und Elektroindustrie hinzu, komme man vorsichtig geschätzt auf 30000 unbesetzte Stellen.

Zu dieser Hochrechnung gelangte TechConsult, nachdem es 279 Geschäftsführer und Personalleiter von Software-Häusern, IT-Dienstleistern, Hardware-Herstellern und Anbietern von Telekommunikationsdiensten telefonisch ausgeforscht hatte.

Es mag problematisch gewesen sein, aus 279 Befragungsergebnissen eine qualifizierte Analyse aufzustellen, denn die IT-Branche zeigt sich außerordentlich vielschichtig. Der BITKOM schätzt die Gesamtzahl bundesdeutscher IT-Firmen anhand der Umsatzstatistik. Im Kernbereich (Umsatz über 500000 Euro) hat er so grob 10000 Firmen gezählt, nimmt man kleinere Firmen (Umsatz bis 100000 Euro) hinzu, lassen sich weitere 33000 Unternehmen ausmachen. Dazu kommen noch etwa 60000 Kleinstunternehmen und Einzelkämpfer. Im BITKOM sind lediglich 850 Firmen organisiert, die aber, so der Verband, etwa 80 Prozent des Umsatzes abdecken.

Im Ergebnis hat sich gezeigt: Je größer die Firma, desto weniger Schwierigkeiten hat sie, Vakanzen zu schließen. In Betrieben ab 250 Mitarbeitern sahen 58 Prozent der Verantwortlichen in der Personalanwerbung ein eher kleines oder gar kein Problem.

Je nach Betriebsgröße und Branche unterscheiden sich die Meinungen der Personalchefs zum Angebot an IT-Fachkräften.

(Bild: BITKOM)

Zwei Drittel der Firmen wünschen sich Akademiker - aber die sind einem Teil von ihnen anscheinend auch zu teuer: Jedes dritte Unternehmen hat gerügt, dass die Bewerber „unrealistische Gehaltsforderungen“ äußerten.

„Welches Qualifikationsniveau sollten die gesuchten Fachkräfte mindestens haben?“, ließ BITKOM anfragen.

(Bild: BITKOM)

Ende Juni legte der BITKOM noch einmal nach: Der Fachkräftemangel in der IT-Branche in Deutschland habe sich dramatisch verschärft. Bei der quartalsweise durchgeführten Branchenbefragung gaben 59 Prozent der IT-Unternehmen an, dass der Fachkräftemangel ihre Geschäftstätigkeit behindere. Das sei der höchste Wert seit dem Start der Befragung im Jahr 2001. Damit entwickle sich der Fachkräftemangel zu einer Wachstumsbremse für die Hightech-Industrie in Deutschland.

Um das Problem kurzfristig zu lindern, sei aus Sicht des BITKOM eine Reform des Zuwanderungsgesetzes notwendig. Deutschland müsse für ausländische Spitzenkräfte attraktiver werden und ihnen eine langfristige Perspektive bieten. Die Erfahrungen mit der Green Card hätten gezeigt, dass ein Gastarbeiterstatus für viele Hochqualifizierte nicht interessant sei. Bei der Green Card für ausländische IT-Spezialisten war die Aufenthaltsdauer auf fünf Jahre beschränkt worden.

Eine Reform des Zuwanderungsgesetzes müsse die Halbierung der Einkommensgrenzen von derzeit 85500 Euro für die Erteilung einer dauerhaften Niederlassungserlaubnis von ausländischen Hochqualifizierten vorsehen. Daneben müsse ein Punktesystems eingeführt werden, bei dem die Auswahl von Zuwanderern über Kriterien wie Qualifikation, Sprachkenntnisse und Alter erfolgte.

Die Anwerbung von Ausländern wird aus verschiedenen Gründen gefordert.

(Bild: BITKOM)

Parallel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels müsse die Reform des Bildungssystems vorangetrieben werden. Die Zahl der Studienanfänger im Fach Informatik sei seit dem Jahr 2000 um ein Viertel eingebrochen. Zur Bekämpfung dieses Effekts müsse auch die Wirtschaft selbst beitragen und ihre Anstrengungen insbesondere in der Weiterbildung verstärken.

Dass Softwareunternehmen und IT-Dienstleister mit deutlich steigenden Umsätzen und wachsendem Mitarbeiterbedarf rechnen, kann auch der Personaldienstleister Adecco bestätigen, der regelmäßig die IT-Stellenangebote in Printmedien auswertet. Danach haben Privatwirtschaft und öffentlicher Dienst innerhalb einer Jahresfrist bis März 2007 bundesweit 30 Prozent mehr Angebote für Computerfachleute als im davor liegenden Vergleichszeitraum veröffentlicht. Mit Beginn dieses Jahres stieg die Zahl der Offerten sogar um mehr als ein Drittel. Adecco konstatiert aber auch, dass der anhaltende Verdrängungswettbewerb unter Telekommunikationsunternehmen, Netzbetreibern und im Hardwaresektor den Preiskampf verschärft und die Unternehmen dieser Sparten zum Personalabbau veranlasst.

Die BITKOM-Studie wird durch eine Untersuchung des Düsseldorfer Management-Beratungsunternehmen A.T.Kearney weitgehend konterkariert, nach der in den nächsten fünf Jahren in den 500 größten deutschen Unternehmen rund 120000 IT-Jobs vor allem in den Bereichen Administration und Support ausgelagert und zum Teil verloren gehen könnten. BITKOM-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Niemeier hat Ende Mai in einer Rede an der RWTH Aachen im Hinblick auf die Kearney-Studie eingeräumt, es stehe außer Zweifel, dass solche Möglichkeiten bestehen, der Rationalisierung bei Standardanwendungen stünden aber neue und höherwertige Dienste gegenüber: „Leider dringt der Jobaufbau in solchen Bereichen viel schwerer in das Bewusstsein der Öffentlichkeit - und damit derer, die nach einem qualifizierten Studienabschluss vor ihrer Berufswahl stehen - als drastische Hiobsbotschaften wie die von Entlassungen im sechsstelligen Bereich. Hier müssen wir - Wirtschaft und Hochschule - gemeinsam vor allem mit präzisen Informationen gegensteuern.“

A.T.Kearney hatte im März von einen „Kehraus in der Branche“ gesprochen und davor gewarnt, dass IT-Kosten nicht mehr als gegeben akzeptiert würden. Das habe Konsequenzen für IT-Mitarbeiter und IT-Dienstleister, und so würden in den nächsten fünf Jahren durchschnittlich 80 Prozent aller Ausgaben für IT-Services aus Kosten- und Qualitätsgründen auf externe Firmen fallen.

Holger Röder, der als Partner den Bereich „Strategische IT Beratung“ bei A.T.Kearney leitet, erläutert dazu, dass rein „technisch orientierte“ ITler - etwa Java-Programmierer - in Zukunft eher das Nachsehen haben und wohl knapp ein Drittel dieser Arbeitsplätze ins Ausland abwandern werden. „Die müssen auf dem neuesten Stand bleiben, laufend geschult werden, und da ist es für die Firmen effizienter, solche Dienste auszulagern.“

Insbesondere große internationale IT-Dienstleister mit Zugang zu Niedriglohnressourcen (zum Beispiel Offshore) und industriebezogene Nischenanbieter hätten darum in Deutschland die besten Zukunftsaussichten. Gegenüber den 120000 klassischen IT-Arbeitsplätzen, die so verschwänden, würden allenfalls 25000 neue mit branchenspezifischem oder BWL-Know-how entstehen. Eine Zahl, die mit den Schätzungen des BITKOM grob gesehen korreliert - nur dass dieser sich in seiner Untersuchung allein auf die gesuchten Kräfte bezieht und diejenigen, die wegrationalisiert werden könnten, außen vor lässt.

Das Management-Beratungsunternehmen A.T.Kearney glaubt, dass in fünf Jahren im Zuge von Umschichtungen 15 Prozent der klassischen IT-Arbeitsplätze wegrationalisiert und 30 Prozent ins Ausland transferiert sein werden.

IT-Outsourcing werde aber immer mehr zum Standard. Bereits heute gingen bei deutschen Industrieunternehmen insgesamt 13 Milliarden Euro für IT-Services an externe Anbieter, das seien fast 35 Prozent der Gesamtausgaben. Dieser Anteil wird der A.T.Kearney-Studie zufolge in den nächsten fünf Jahren auf etwa 80 Prozent ansteigen, was einem Volumen von rund 33 Milliarden Euro entspricht.

Den Großen der Branche ist das Reden vom „Fachkräftemangel“ ganz und gar fremd. Ihnen rennen die Uni-Absolventen die Türen ein: AMD hat am Standort Dresden in den letzten drei Jahren für sein neues Halbleiterwerk Fab 36 die Sollstärke von rund 1000 hoch qualifizierten Ingenieuren, Technikern und Spezialisten spielend erreicht. Man habe „aus einem großen Bewerberpool“ auswählen können, „nur bei einigen hoch spezialisierten Positionen mussten wir mitunter länger suchen, um den geeigneten Kandidaten zu finden“, so AMD-Sprecherin Karin Raths.

Bewerberfavorit SAP hat aufgrund seines hervorragenden Image ebenfalls grundsätzlich keine Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Das äußere sich sowohl in der Qualität als auch in der Quantität der Bewerbungen. Nur in den Ingenieurbereichen stehe man im harten Wettbewerb mit anderen Unternehmen, erklärt SAPs „Communications Manager im Executive Communications Operations Office“ Alla Ruggaber-Mast. Im letzten Jahr konnte SAP rund 40000 Bewerbungen allein für seinen deutschen Standort zählen. Von der Qualität der Bewerbungen her gesehen erhalte man die gesamte Bandbreite von „sehr gut bis mäßig“. Man freue sich vor allem, dass sich weiterhin sehr gute Kandidaten unvermindert bei dem Unternehmen bewerben.

Dabei treibt die Suche nach Fachkräften auch skurile Blüten. Der schwedische ERP-Anbieter IFS will frisch gebackene Universitätsabsolventen mit einer Rallye durch Westeuropa begeistern, die er in Kooperation mit der niederländischen Sportwagenschmiede Burton organisiert. Zehn von 20 Teilnehmern winkt nach Eignungsprüfungen während der Ralley eine Anstellung.

Auf solche „Recrutingmaßnahmen“ und Bewerberströme kann der Mittelstand nur neidvoll blicken. Dessen Praxis zeigt sich am Beispiel der mittelständischen Firma id-netsolutions aus Hamburg. Sie hat derzeit drei Stellen zu besetzen, und ihr Geschäftsführer Adrian Ave nennt viele Gründe, warum die Vakanzen noch bestehen. Teilweise bis hin zur „fassungslosen Ohnmacht“ trieben ihn die „von keinerlei Kompetenz“ getrübten Leistungen mancher Bewerber.

Die gebe es zwar in genügender Zahl, doch wenn Ave sie im Rahmen der Vorstellung nach einem einleitenden Gespräch mit einer kleinen technischen Prüfung auf die Suche nach einfachen Systemfehlern schickt, kapituliert das Gros. Selbst in namhafte Zertifikate oder Umschulungszeugnisse setzt er wenig Vertrauen, sie sagen ihm wenig über die Qualifikation aus.

Wer wirklich etwas könne, so Ave, fordere hingegen gut und gerne ein Jahresgehalt von 60000 Euro, und die gebe der Markt nicht her. Mittelständische Unternehmen stünden in einem harten Konkurrenz- und Verdrängungswettbewerb, auch angeheizt durch schillernde Quereinsteiger, die sich zu Dumpingpreisen feilbieten.

Abhängig von Größe und Branche strukturieren Personalchefs die Gründe, aus denen heraus sie Bewerber ablehnen.

(Bild: BITKOM)

Da muss den Mitarbeitern der geringe gesetzliche Urlaubsanspruch reichen, und geregelte Arbeitszeiten bleiben ein Fremdwort. Ave: „Der Betriebsrat bin ich, und der möchte auch zukünftig eine Win-Win Situation für Kunden, Arbeitnehmer und Arbeitgeber schaffen können. Wir legen hohen Wert auf ein gutes Betriebsklima und eine angenehme Umgebung - das lässt sich auch ohne überzogene Gehaltszahlungen realisieren und schafft Motivation auf allen Seiten.“

Wenn die Firmen so händeringend Mitarbeiter suchen, warum fragen sie dann nicht bei der Agentur für Arbeit nach? Die hält die neuesten Zahlen über Stellenbedarf und Stellengesuche bereit: Ende Juni zählte die Agentur 31334 arbeitslose ITler, fast ein Drittel weniger als im Juni 2006. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen hat sich in diesem Zeitraum um ein Viertel auf 7622 erhöht.

Weil das Gros der arbeitslos Gemeldeten über 50 Jahre alt sei, so Klaus Heimann, der Berufsbildungsexperte der IG-Metall, spielen wohl immer noch emotionale Gründe eine Rolle, wenn Arbeitgeber die kalte Schulter zeigen. Die IG-Metall sieht aber auch, dass bei den Älteren Nachqualifikation nötig sein kann und fordert daher vehement eine entsprechende Offensive. Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie und Energie, Hubertus Schmoldt, wies den Firmen Anfang Juli gegenüber der Osnabrücker Zeitung ein Gutteil Schuld an der Job-Misere zu: Die Chefetagen müssten sich endlich zu ihrer Verantwortung bekennen, es sei ein gesellschaftspolitischer Skandal, die derzeit arbeitslosen Ingenieure einfach abzuschreiben. Die Unternehmen hätten selbst den Fachkräfte- und Ingenieurmangel verursacht: „Es wurde an der Kostenschraube gedreht, es wurde entlassen und eine Lücke beim Know-how gerissen.“

Kurzfristig lassen sich passgenaue Bewerber nicht finden, selbst wenn sich Abiturienten in Scharen an den Universitäten einschrieben. Die stünden erst in einigen Jahren zur Verfügung.

Aus mittelständischer Sicht liegt es sicher nahe, die Zahl der potenziellen Bewerber deutlich zu erhöhen - das gestiegene Angebot senkt außerdem die Preise für die Arbeitskraft und gestattet, aus einem großen Bewerberpool sich die besten Kräfte herauszufischen. Weil dies in absehbarer Zeit auf Schwierigkeiten stößt, erschallen der Ruf nach ausländischen Kräften und die Klage über den drohenden Niedergang des Standortes Deutschland.

Mit Blick auf die arbeitsuchenden IT-ler hat die frühere Bundesregierung aus gutem Grund eine Grenze gesetzt: Nur wer über 85500 Euro verdient, darf als EU-ferner Ausländer in Deutschland arbeiten. Fiele diese Grenze, dann müssten sich auch Hochqualifizierte der Konkurrenz beugen und Lohnzurückhaltung üben.

Der schwarze Peter liegt beim Studienanfänger. Wenn er in einigen Jahren sein Informatikstudium abgeschlossen hat, könnte der derzeit herrschende konjunkturelle Aufschwung längst Vergangenheit sein - der tritt nämlich bereits 2008, so prophezeit das Münchner ifo-Wirtschaftsforschungsinstitut in seiner Konjunkturprognose vom 25. Juni, „in seine Spätphase“ ein. Das Ende des Aufschwungs erwartet das ifo im Verlauf des Jahres 2009. Danach könnten die frisch gebackenen Informatiker, die dem Ruf der Industrie und Politik gefolgt sind, auf der Straße stehen - händeringend.

Arbeitslos gemeldete IT-Fachkräfte
im Juni 2007 arbeitslos Gemeldete (Juni 2006) im Juni 2007 gemeldete offene Stellen (Juni 2006)
Datenverarbeitungsfachleute ohne nähere Angabe 628 (1242) 39 (151)
Systemanalytiker, Organisatoren 1535 (2094) 230 (276)
Anwendungsprogrammierer 2799 (3818) 781 (562)
Systemprogrammierer 2482 (3526) 1073 (1066)
Rechenzentrumsfachleute 7977 (11110) 1071 (915)
Vertriebsfachleute 2337 (2350) 854 (419)
Datenverarbeitungskaufleute 5722 (8217) 1040 (1117)
Informatiker 6831 (10726) 2337 (1519)
andere 1023 (1236) 197 (142)
Datenverarbeitungsfachleute insgesamt 31334 (44319) 7622 (6167)

Über Auswirkungen und Ursachen des so vehement beklagten „Fachkräftemangels“ sprachen wir mit Professor August-Wilhelm Scheer. Der Gründer und Vorsitzende des Aufsichtsrates der IDS Scheer AG ist seit dem 22. Juni Präsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, BITKOM, davor Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik im deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.

c't: Herr Professor Scheer, der BITKOM beklagt, vor allem die mittelständische Industrie suche händeringend IT-Fachleute. Der Bedarf wird auf etwa 20000 geschätzt. Verschmäht sie die rund 30000 Informatiker, die bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet sind?

Professor August-Wilhelm Scheer: Keineswegs. Die Zahl der arbeitslosen IT-Fachleute hat sich in den vergangenen zwei Jahren halbiert! Bei etwa einer Million Beschäftigten in der IT kann man von Vollbeschäftigung sprechen. Arbeitslosigkeit entsteht vor allem durch individuelle Gegebenheiten: Wissen veraltet sehr schnell, oft fehlt die notwendige Kompetenz. Auch Immobilität ist ein großes Hindernis.

c't: Wer nicht passgenau qualifiziert ist, den kann man doch schulen oder ausbilden?

Scheer: Wir appellieren an unsere Mitgliedsfirmen, ihre Mitarbeiter intensiv zu qualifizieren und unterstützen das mit der BITKOM-Akademie. Ich appelliere aber auch an die Arbeitnehmer, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Das erfordert die Bereitschaft jedes Einzelnen, lebenslang zu lernen.

c't: Können Sie jungen Menschen guten Gewissens zu einem Informatikstudium raten?

Scheer: Ohne Einschränkung: ja. IT bleibt eine Wachstumsindustrie. Denken Sie daran, wie oft neue Produktversionen erscheinen. In der IT ist immer mehr Beratungs- und Management-Know-how gefragt. Daher ist es sinnvoll, Informatik mit einem Anwendungsfach zu kombinieren, zum Beispiel Wirtschaftsinformatik oder Bioinformatik. Zudem sollten die Studierenden frühzeitig persönliche Fertigkeiten trainieren, insbesondere Fremdsprachen.

c't: Konjunkturen verlaufen zyklisch. In ein paar Jahren, wenn die Studenten ihr Studium abgeschlossen haben, wird der gegenwärtig zu beobachtende Aufschwung Geschichte sein - dann stehen die Absolventen auf der Straße.

Scheer: Da schüren Sie zu viel Angst. Die gegenwärtige Situation ist ja das Ergebnis eines - darauf wollen Sie wohl hinaus - „Schweinezyklus“. Diejenigen, die seinerzeit durch das Platzen der New-Economy-Blase vor einem Informatikstudium zurückgeschreckt sind, fehlen uns jetzt. Die Branche wächst stetig und die Jobaussichten von Informatikern sind deutlich besser als in vielen anderen Berufen.

c't: Den Großen der Branche laufen die Uni-Absolventen die Türen ein, bei SAP zum Beispiel bewerben sich Jahr für Jahr 40000 ITler. Was können kleine oder mittelständische Firmen tun, um ihren Betrieb für IT-Fachkräfte attraktiv zu machen?

Scheer: Die großen Konzerne sind in der Tat attraktive Arbeitgeber, aber der Mittelstand kann ebenfalls punkten. Überschaubare Strukturen und mehr Verantwortung für den Einzelnen sind wichtige Faktoren für die Berufswahl. Mittelständische IT-Firmen müssen die Personalentwicklung als strategische Aufgabe verstehen. Dazu gehört der Aufbau eines regionalen Netzwerks, das unter anderem Kooperationen mit Hochschulen und Kontakte zu lokalen Medien umfasst.

c't: Viele IT-Fachleute klagen, dass kleinere Betriebe oft nur den gesetzlichen Mindesturlaub gewähren, sich nicht an Arbeitszeitvorschriften halten und dennoch von ihren Mitarbeitern erhöhte Leistungsbereitschaft und Mobilität fordern. Auf der anderen Seite stöhnt ein Drittel der vom BITKOM befragten Firmen, Einstellungen scheiterten an „unrealistischen Gehaltsforderungen“ der Bewerber. Wie passt das zusammen? Wer Leistung fordert, muss doch die Leistungen auch angemessen honorieren?

Scheer: Die IT-Firmen zahlen gut und die Zahl der Arbeitsstunden ist nicht unbedingt ein Maßstab für Wohlfühlen oder Nichtwohlfühlen. Wer an einer interessanten Sache arbeitet, wird auch mit Engagement dabei sein. Es stimmt aber auch: Die Kleinen müssen sehen, dass sie sich attraktiv machen. Eine anspruchsvolle Aufgabe und ein gutes Image können da viel bewirken. Denken Sie einmal daran, wie viele sich bei den Fraunhofer-Instituten bewerben. Dies geschieht nicht wegen hoher Bezahlung, sondern weil sie als Forschungseinrichtungen ein hervorragendes Image haben. (fm)