Geopolitik in der Grauzone: Wie China den Chipstandort Taiwan unter Druck setzt

Eine Flugverbotszone im Norden Taiwans hat für geopolitische Unruhe gesorgt. Sie erinnert die Welt daran, dass China auch andere Mittel als eine Invasion hat.

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(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

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Von
  • Martin Kölling

Der Start einer chinesischen Weltraumrakete mitsamt eines Wettersatelliten wurde Mitte April zu einem geopolitischen Ereignis. Kurz nach einem Manöver, bei dem das chinesische Militär Angriffe auf die vorgelagerte Insel Taiwan geübt hatte, kündigte Peking eine dreitägige Flugverbotszone im Norden Taiwans an. Vorgeblich um Flugzeuge in dem Gebiet vor herunterfallenden Raketenteilen zu schützen. Den Luftraum für drei Tage zu sperren, hätte massive Auswirkungen auf den regen Flugverkehr von Taiwan nach Südkorea und Japan gehabt.

Diese Vorgehensweise löste weltweit Befürchtungen aus, dass China hier nach Militärmanövern eine neue Maßnahme zur Isolierung des wichtigen Chip-Produzenten Taiwan testet, das die Führung in Peking als abtrünnige Provinz betrachtet. Bis 2027 soll die Armee in der Lage sein, Taiwan militärisch ins Reich der Mitte zurückzuholen, lautet der Befehl von Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Ein möglicher Angriff ist ein weltweites Horrorszenario. Denn eine Unterbrechung der Chip-Lieferungen würde die Produktion vieler Produkte weltweit treffen, etwa für Smartphones, Computer und Autos. Entsprechend schnell und heftig protestierten Taiwan, Japan und Südkorea gegen die überraschende Maßnahme. China reagierte prompt und verkürzte die Sperrzeit auf 27 Minuten. Kurz nach dem Start seien Raketenteile in der Warnzone niedergegangen, erklärte Taiwans Verteidigungsministerium. Doch da war der politische Schaden bereits angerichtet.

Mit der plötzlichen und überzogenen Maßnahme, drei Tage lang vor Flügen durch den Luftraum zu warnen, hat Peking der Welt eines vor Augen geführt: Die Volksrepublik China kann der Insel, die offiziell Republik China heißt, nicht nur durch eine riskante Invasion oder eine Seeblockade gefährlich werden. Es gibt auch so genannte Grauzonen-Aktivitäten, die ohne direkte Gewaltanwendung Druck ausüben und Taiwan so zur Selbstaufgabe zwingen sollen.

Für Eric Heginbotham, Sicherheitsexperte am Massachusetts Institute of Technology, gehören dazu neben Sanktionen, großen Militärmanövern auch die jüngst angedrohten Kontrollen taiwanischer Schiffe, eine Ausweitung der chinesischen Luftraumüberwachungszone über der Insel oder eben Flugverbotszonen.

Diese Maßnahmen seien für Peking sehr attraktiv, warnt Heginbotham. "Grauzonen-Aktivitäten sind sehr einfach und aus chinesischer Sicht eine vielversprechende Antwort, um den Druck zu erhöhen." Ein Grund dafür ist, dass sie weniger riskant sind als ein direkter Angriff. Nach Kriegssimulationen, die Heginbotham zusammen mit anderen Experten für die US-Denkfabrik CSIS (Center for Strategic and International Studies) durchgeführt hat, würde China die Schlacht um Taiwan wahrscheinlich verlieren, allerdings zu horrenden Kosten für Taiwan, die USA und Japan.

Post aus Japan

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Bei Grauzonen-Aktivitäten hingegen sei die Situation umgekehrt: Taiwan und seine Partner hätten keine gute Lösung für sie, meint Heginbotham. "Wir müssen dann entscheiden, wann wir welche Gegenmaßnahmen ergreifen." Und da sei es schwierig, einen Konsens zu finden, wann man wie hart zurückschlägt. Gleichzeitig sei es schwierig, Maßnahmen in der Grauzone wieder rückgängig zu machen. Denn sie schaffen Fakten.

Ein klassischer Fall ist für den Experten der Bau von Inseln im Südchinesischen Meer durch China, mit dem Peking seinen vom Internationalen Seegerichtshof zurückgewiesenen Anspruch auf das strategisch wichtige Seegebiet durchsetzen will.

Fast der gesamte Schiffsverkehr von Ostasien nach Europa führt durch dieses Gebiet. Ursprünglich hatte China beteuert, es handele sich nicht um militärische Aktivitäten. Doch nun sind viele Inseln Vorposten der Volksbefreiungsarmee. "Dagegen können wir nichts tun, außer sie zu versenken", sagt Heginbotham. "Und das tun wir nicht."

Ob sich diese Grauzonen-Strategie für China mehr lohnen könnte, wollen Heginbotham und sein Team nun in einem neuen "War Game" herausfinden. Die Simulation soll dann die wirtschaftlichen Folgen solcher Aktivitäten in der Grauzone durchspielen.

(jle)