Flugumleitungen sollen Kondensstreifen verringern und Erderwärmung bremsen

Die neuen Routen würden laut einer Untersuchung Kondensstreifenbildung und damit problematische Wolkenbildung weitaus günstiger vermindern als bisher gedacht.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 108 Kommentare lesen

(Bild: FOTOGRIN/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • James Temple
Inhaltsverzeichnis

Geringfügige Anpassungen der Flugrouten bei einem kleinen Teil der weltweiten Flüge könnten die globale Erwärmung deutlich verringern. Dieses Ergebnis mehrerer Studien wird nun durch eine neue Untersuchung untermauert, die sogar zu dem Schluss kommt, dass diese Änderungen auch recht kostengünstig zu bewerkstelligen sein könnten.

Flugzeuge erzeugen beim Verbrennen ihres Treibstoffs viel Kohlendioxid und tragen damit zum Klimawandel bei. Jets setzen darüber hinaus auch Wärme, Wasserdampf und Feinstaub frei, die in besonders kalten, feuchten und eisigen Bereichen der Atmosphäre dünne Wolken am Himmel erzeugen können, die als Kondensstreifen bekannt sind. Führen viele Flüge durch solche Gebiete, können die Kondensstreifen Zirruswolken bilden, die wie eine Decke über der Erde schweben und die von der Oberfläche austretende Strahlung absorbieren.

Dieses zirrusbildende Phänomen könnte etwa 35 Prozent des Gesamtbeitrags des Luftverkehrs zum Klimawandel ausmachen. Das entspricht einigen Schätzungen zufolge etwa einem bis zwei Prozent der gesamten globalen Erwärmung. Weil aber nur ein kleiner Teil aller Flüge, nämlich zwei bis zehn Prozent gut 80 Prozent der Kondensstreifen verursacht, wächst die Hoffnung, dass einfache Umleitungen dieser Flüge ihre klimaschädlichen Auswirkungen erheblich verringern könnten. Das Ergebnis wäre eine potenziell wirksame, kostengünstige und schnelle Möglichkeit zur Eindämmung der Erwärmung.

Schon im vergangenen Sommer hatten die von Bill Gates gegründete Dachorganisation "Breakthrough Energy", die Innovationen im Bereich der sauberen Energie und der Bekämpfung des Klimawandels vorantreiben soll, Google Research und die Fluglinie American Airlines einige vielversprechende Ergebnisse aus einer Forschungskooperation bekanntgegeben. Sie nutzten Satellitenbilder, Wetterdaten, Softwaremodelle und KI-Vorhersagetools, um Piloten über oder unter Gebiete zu lenken, in denen ihre Flugzeuge wahrscheinlich Kondensstreifen produzieren würden. American Airlines setzte diese Instrumente bei 70 Testflügen über sechs Monate hinweg ein. Mit Erfolg: Satellitendaten zeigten, dass die Umleitungen die Gesamtlänge der Kondensstreifen im Vergleich zu Flügen, die nicht umgeleitet wurden, um 54 Prozent reduziert hatte.

Die Umsetzung einer solchen Strategie wäre natürlich mit Kosten verbunden. Umleitungen führen zu einem höheren Treibstoffverbrauch und verursachen entsprechend auch mehr Treibhausgasemissionen. Wegen der höheren Kosten ist es unwahrscheinlich, dass die Fluggesellschaften solche Maßnahmen freiwillig umsetzen. Es sei denn, sie wären kostengünstiger als gedacht.

Genau das hat eine neue, im Fachjournal "Environmental Research: Infrastructure and Sustainability" publizierte Studie gezeigt. Sie untersuchte das Problem, indem sie kommerzielle Werkzeuge zur Optimierung von Flugrouten mit Modellen koppelte, die fast 85.000 Inlands- und Auslandsflüge der American Airlines unter verschiedenen Wetterbedingungen im letzten Sommer und in diesem Winter simulierten. Das Ergebnis dieser Simulationen: Im Durchschnitt würde eine Verringerung der wärmenden Wirkung von Kondensstreifen um 73 Prozent die Treibstoffkosten um gerade mal 0,11 Prozent und die Gesamtkosten um lediglich 0,08 Prozent erhöhen. Dabei mussten nur 14 Prozent der simulierten Flüge angepasst werden, um die Bildung wärmender Kondensstreifen zu vermeiden.

"Offensichtlich gibt es einen Zielkonflikt zwischen dem zusätzlichen Treibstoffverbrauch und der Verringerung der schädlichen Kondensstreifen. Das ist eine der größten Herausforderungen bei der Lösung des Klimaproblems", sagt Marc Shapiro, Mitautor der Studie und Leiter des Kondensstreifen-Teams bei Breakthrough Energy. "Aber wir zeigen in dieser Studie, dass der zusätzliche Treibstoffverbrauch viel geringer ist, als wir erwartet haben."

Fluggesellschaften könnten ein solches kommerzielles Flugrouten-Werkzeug auch nutzen, um Entscheidungen zu treffen, die ihre finanziellen und klimapolitischen Ziele in Einklang bringen, sagt Shapiro. So könnten sie beispielsweise einige Kondensstreifen-bildende Flüge zulassen, wenn die Kosten für die Anpassung der Routen besonders hoch wären.

Auch andere Forschungsgruppen und Fluggesellschaften untersuchen dieses Konzept im Rahmen von Projekten, darunter eine Zusammenarbeit zwischen Delta und dem Department of Aeronautics and Astronautics am Massachusetts Institute of Technology (MIT). (MIT Technology Review gehört zum MIT, ist aber redaktionell unabhängig).

Dazu gibt es weitere Ansätze zur Verringerung der Kondensstreifenbildung, wie die Umstellung auf andere Treibstoffe oder die Entwicklung von leistungsfähigeren Elektro- oder Wasserstoffflugzeugen. Die bisherigen Studien deuten jedoch darauf hin, dass die Umleitung von Flügen eine der einfachsten Möglichkeiten sein könnte, die durch Kondensstreifen verursachte Erwärmung erheblich zu reduzieren. "Bislang sieht es sehr vielversprechend aus, dass dies der billigste und schnellste Weg ist, um die Auswirkungen des Luftverkehrs auf das Klima zu reduzieren", sagt Steven Barrett, Leiter des MIT-Departments.

Kurzfristige Fortschritte im Luftverkehr sind umso wichtiger, als es wahrscheinlich noch lange dauern wird, bis skalierbare, erschwingliche Methoden zur Verringerung der Emissionen aus der Nutzung von Schweröl entwickelt und umgesetzt werden können, fügt er hinzu. Es bedarf jedoch weiterer Modellstudien und realer Experimente, um nachzuweisen, dass die so genannte "Kondensstreifenvermeidung" so effektiv funktioniert wie erhofft.

Zum einen müssen die Forscher laut Barrett noch Systeme testen, verfeinern und entwickeln, die zuverlässig vorhersagen können, wann und wo sich Kondensstreifen bilden werden – und das bei wechselnden Wetterbedingungen. Außerdem müssen noch einige heikle Probleme gelöst werden, wie die Tatsache, dass Zirruswolken die Erwärmung nicht nur verstärken, sondern auch verringern können, indem sie die kurzwellige Sonnenstrahlung reflektieren.

Der Verlust dieses Kühleffekts müsste bei der Berechnung des Nettonutzens berücksichtigt werden, oder vielleicht auch vermieden werden. Laut Shapiro könnte die erste Strategie beispielsweise darin bestehen, Flüge nur am frühen Abend und in der Nacht zu verlegen, was die Komplikation der Reflexion des Sonnenlichts beseitigen würde.

Darüber hinaus muss jede geringere Erwärmung durch die Vermeidung von Kondensstreifen die zusätzliche Erwärmung durch die erhöhte Treibhausgasverschmutzung mehr als ausgleichen. Diese Frage wird noch schwieriger, wenn man abwägt, ob die kurzfristige oder die langfristige Erwärmung wichtiger ist: Die Vermeidung von Kondensstreifen bringt einen unmittelbaren Nutzen, aber das zusätzliche Kohlendioxid kann Jahrzehnte brauchen, um seine volle erwärmende Wirkung zu entfalten, die dann Hunderte bis Tausende von Jahren anhalten kann.

In der neuen Studie wurde zumindest festgestellt, dass die Verringerung der Kondensstreifen die Nettoerwärmung sowohl über einen Zeitraum von 20 als auch von 100 Jahren verringert, wenn auch weniger stark im letzteren Szenario, selbst wenn zusätzliche Treibhausgase berücksichtigt werden. Aber auch dies müsste in weiteren Studien untersucht werden. Eine weitere offene Frage ist, ob Luftraumbeschränkungen und Verkehrsengpässe die Fähigkeit der Fluggesellschaften einschränken könnten, die erforderlichen Flüge regelmäßig umzuleiten.

Als nächsten Schritt hofft Breakthrough Energy, mit den Fluggesellschaften zusammenzuarbeiten, um einige dieser Fragen durch eine Ausweitung der Flüge und Beobachtungen in der Praxis zu untersuchen. Aber selbst wenn weitere Studien zeigen, dass dies ein schneller und kostengünstiger Weg ist, um die Erwärmung zu verringern, ist noch nicht klar, ob die Fluggesellschaften solche Maßnahmen ergreifen würden, ohne dass die Regulierungsbehörden sie dazu zwingen. Auch wenn die Treibstoffkosten prozentual gesehen gering sind, könnten sie sich in einer Flotte und im Laufe der Zeit schnell summieren.

Dennoch sind die Autoren der Studie überzeugt, dass sie gezeigt haben, welche "massiven unmittelbaren Klimavorteile zu einem niedrigeren Preis als die meisten anderen Klimamaßnahmen" die Vermeidung von Kondensstreifen bieten könnte. Ihrer Ansicht nach sollte dieser Ansatz "in den kommenden Jahren zu einem der Hauptschwerpunkte der Luftfahrt werden".

(jle)