Googles coolstes Projekt

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Doch diesen Vorsprung müsste der Quantenrechner auch für reale Anwendungen zeigen – nicht nur in künstlichen Tests. Hier schlägt Martinis' Stunde. Denn Neven glaubt nicht, dass D-Wave den Google-Entwicklern in absehbarer Zeit einen praktisch nutzbaren Annealer liefern kann – daher heuerte er Martinis an. "Uns wurde klar, dass wir nicht einfach abwarten können", sagt Neven. "Es gilt eine Reihe von Mängeln zu überwinden, um zu einer echten Technologie zu kommen." Die Qubits auf D-Waves Prozessor seien zu unzuverlässig und untereinander nicht ausreichend stabil verbunden.

Nach einer vorläufigen internen Planung will Martinis' Gruppe bereits 2017 einen Annealer mit 100 Qubits herstellen. D-Waves CEO Vern Brownell antwortet, er mache sich über Konkurrenz durch Google keine Sorgen. D-Waves neueste Version verfügt zwar bereits über 1097 Qubits. Aber Neven ist überzeugt, dass ein qualitativ verbesserter Prozessor mit weniger Qubits für bestimmte Aufgaben nützlich sein könne, wie etwa Mustererkennung und maschinelles Lernen.

John Martinis, 57, ist der perfekte Kandidat, um aus einem schwindelerregend komplexen Strang der Quantenphysik eine neue technische Disziplin zu machen: Einerseits fühlt er sich in esoterischer Mathematik zu Hause, andererseits liebt er es, Dinge zu bauen. Das Betreiben auch nur eines einzigen Qubits erfordert die Lösung eines Puzzles aus Quantentheorie, Festkörperphysik, Materialwissenschaften, Mikrofabrikation, Maschinenbau und konventioneller Elektronik.

Martinis, groß und mit einer lauten, freundlichen Stimme, legt Wert darauf, persönlich die Theorie und die technische Umsetzung jeder einzelnen Komponente zu verstehen. Auf einem Rundgang durch sein neues Labor zeigt er sich ebenso begeistert über neue Lötkolben und Werkzeugmaschinen wie über die anspruchsvolleren Geräte, die die Chips kühlen und überwachen. "Für mich ist es ein großer Spaß", sagt er. "Ich konnte Experimente durchführen, die sonst niemandem gelungen waren, indem ich meine eigene Elektronik gebaut habe."

Martinis und sein Team müssen in so vielen Dingen geschickt sein, weil Qubits unbeständig sind. Sie lassen sich auf verschiedene Weise herstellen – Martinis verwendet Aluminiumschleifen, die er mit kleinen Strömen kühlt, bis sie supraleitend werden. Doch alle stellen Daten mittels empfindlicher Quantenzustände dar. Werden sie durch Wärme oder elektromagnetisches Rauschen verzerrt oder gestört, kann das eine Berechnung schnell ruinieren.

Weil es so schwierig ist, hinreichend stabile Qubits herzustellen, haben wir noch keine Quantencomputer. Doch Martinis arbeitet seit mehr als elf Jahren an dem Problem und glaubt, es fast gelöst zu haben. Die Kohärenzzeit seiner Qubits – wie lange sie eine Superposition aufrechterhalten – beträgt zig Mikrosekunden. Das ist ungefähr 10000-mal länger als auf dem D-Wave-Chip.

Martinis hat so viel Zutrauen zur Hardware seines Teams, dass er sogar glaubt, er könne nicht nur einen Annealer konstruieren, sondern auch einen universellen Quantencomputer. Der könnte nicht nur Optimierungsprobleme lösen, sondern jede Art von Aufgabe. Mehr noch: Auch diesen universellen Quantencomputer will er in rund zwei Jahren fertig haben. Das wäre ein Meilenstein der Informatik.

Ob er damit jedoch die Google-Programmierer erfreut, steht auf einem anderen Blatt. Denn ihre Arbeit könnte deutlich schwieriger werden. Martinis Gruppe hat zwar eine Methode gefunden, um die unweigerlich auftretenden Fehler beim Manipulieren der Qubits zu korrigieren – die Wissenschaftler nennen das "Surface Code". Die Fehlerüberprüfung sei aber so komplex, dass ein Prozessor mit 100 Qubits nicht mehr viel Kapazität übrig hätte, um seine eigentliche Aufgabe zu erledigen, sagt Robert McDermott, Leiter einer Forschungsgruppe zu Quanten-Computing an der University of Wisconsin.

Martinis teilt die Ansicht, glaubt allerdings, das Problem mit steigender Rechenpower lösen zu können. Sobald er 100 Qubits zuverlässig auf einem universellen Quantenchip platziert hätte, stehe ihm der Weg zur Kombination weiterer Qubits offen. "Das ist etwas, was wir gut beherrschen", sagt er. "Kohärenz herzustellen ist schwer, Hochskalieren ist leicht."

Noch fehlt der Beweis. Da die Google-Forscher bisher nur D-Waves Maschinen zum Ausprobieren haben, können sie lediglich theoretisch darüber nachdenken, was sich mit Martinis' Chips anstellen ließe. Selbst wenn sie einmal fertig sind, wird weitere Zeit für die Entwicklung einer Infrastruktur ins Land gehen, die große Zahlen dieser exotischen Geräte so betreiben kann, dass sie einen brauchbaren Beitrag erbringen.

Neven ist jedoch zuversichtlich, dass Quantenhandwerker Martinis das alles meistern wird. Für die relativ nahe Zukunft stellt er sich bereits Reihen supraleitender Chips in Rechenzentren vor, auf die seine Kollegen via Internet zugreifen können. "Ich wage die Prognose, dass maschinelles Lernen in zehn Jahren nur noch auf Quantenbasis stattfindet – den konventionellen Weg wird man ganz aufgeben." Martinis akzeptiert diese Vorstellung mit einem Lächeln. "Das gefällt mir, aber es wird nicht einfach", sagt er. "Er hat gut reden, aber ich muss es bauen." (bsc)