Hardware statt Qubits: Neue Wege bei Quantencomputern

Statt neuer Qubit-Rekorde soll es künftig mehr praktisch einsetzbare Hardware geben. Und Quantencomputer-Start-ups entwickeln ganz neue Langzeitziele.

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(Bild: Bartlomiej K. Wroblewski / Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Michael Brooks
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Experten sind sich einig: Im neuen Jahr wird der Fortschritt im Bereich des Quantencomputings weniger von großen Hardware-Ankündigungen bestimmt werden. Stattdessen soll es eine Konsolidierung der Forschungserfolge der letzten Jahre geben, eine bessere Kommunikation zwischen den Chips – und vor allem mehr praktische Anwendungen der Technik.

Lange wurde der Nachrichtenzyklus in dem Sektor von Schlagzeilen über neue Rekorde beherrscht. Forscher bei Google und IBM stritten darüber, wer wirklich vorne lag, welches System das größte ist. Doch die Zeiten von Streitigkeiten über Größe sind vorbei: Statt Benchmarks geht es um die Realität. Wie um das zu unterstreichen, wird IBM voraussichtlich 2023 einen Prozessor vorstellen, der sich gegen den Trend von immer mehr Qubits positioniert. Qubits, die Recheneinheiten von Quantencomputern, können mit verschiedenen Verfahren betrieben werden, darunter supraleitende Schaltkreise, Ionenfallen und Photonen.

IBM bemüht sich seit langem um supraleitende Qubits – und im Laufe der Jahre hat das Unternehmen immer mehr davon auf einem Chip unterbringen können. Im Jahr 2021 stellte IBM beispielsweise ein System mit der rekordverdächtigen Anzahl von 127 Qubits vor. Im November wurde dann der Osprey-Prozessor mit 433 Qubits vorgestellt. Für 2023 plant das Unternehmen seinen Condor-Prozessor mit 1121 Qubits.

Doch im selben Jahr wird IBM voraussichtlich auch seinen Heron-Prozessor vorstellen, der nur 133 Qubits haben wird. Das mag wie ein Rückschritt aussehen, aber wie das Unternehmen betont, werden die Qubits von Heron "von höchster Qualität" sein. Besonders wichtig: Jeder Chip wird direkt mit anderen Herons verbunden werden können. Damit wird der Übergang von einzelnen Quantencomputer-Chips zu "modularen" Quantencomputern eingeläutet, die aus mehreren miteinander verbundenen Prozessoren bestehen – ein Schritt, der die Skalierung der Systeme erheblich erleichtern dürfte.

Heron ist ein wichtiges Signal für größere Veränderungen in der Quantencomputerbranche. Dank einiger neuer Durchbrüche, aggressiver Projektplanung und großer Finanzmittel könnten wir Quantencomputer für den allgemeinen Gebrauch früher sehen, als viele noch vor wenigen Jahren erwartet hätten, so Experten. "Insgesamt schreiten die Dinge sicherlich schnell voran", sagt etwa Michele Mosca, stellvertretender Direktor des Quantencomputer-Instituts an der University of Waterloo.

Das Heron-Projekt von IBM ist aber nur ein erster Schritt in die Welt der modularen Systeme. Die Chips werden mit herkömmlicher Elektronik verbunden sein, so dass sie nicht in der Lage sein werden, die "Quantenhaftigkeit" der verarbeiteten Informationen aufrechtzuerhalten, wenn sie von Prozessor zu Prozessor weitergegeben werden. Es besteht jedoch die Hoffnung, dass Chips, die über quantenfreundliche Glasfaser- oder Mikrowellenverbindungen konnektiert werden, den Weg zu verteilten Quantencomputern mit bis zu einer Million integrierter Qubits ebnen werden. So viele werden möglicherweise benötigt, um fachlich nutzbare Quantenalgorithmen mitsamt Fehlerkorrektur auszuführen. "Wir brauchen Technologien, die sowohl in der Größe als auch bei den Kosten skalierbar sind, daher ist Modularität der Schlüssel", sagt Jerry Chow, Direktor beim IBM Quantum Hardware System Development.

Andere Unternehmen beginnen mit ähnlichen Experimenten. "Dinge miteinander zu verbinden ist plötzlich ein großes Thema geworden", sagt Peter Shadbolt, wissenschaftlicher Leiter von PsiQuantum, das Photonen-Qubits verwendet. PsiQuantum ist derzeit dabei, seinem modularen Chip auf Siliziumbasis den letzten Schliff zu geben. Laut Shadbolt wird das letzte benötigte Teil – ein extrem schneller, verlustarmer optischer Schalter – bis Ende 2023 vollständig demonstrierbar sein. "Damit haben wir einen Chip mit vollständiger Funktionalität", sagt er. Dann könne mit dem Bau auf Lagerhausgröße begonnen werden: "Wir nehmen alle Chips, die wir herstellen, und fügen sie zu einem hochleistungsfähigen computerähnlichen System zusammen, das so groß wie ein Haus ist."

Der Wunsch, Qubits zwischen Prozessoren hin und her zu schieben, bedeutet, dass eine etwas vernachlässigte Quantentechnologie jetzt in den Vordergrund rückt, sagt Jack Hidary, CEO von SandboxAQ, einem Quantentechnologieunternehmen, das letztes Jahr aus Alphabet ausgegliedert wurde. Die Quantenkommunikation, bei der kohärente Qubits über Entfernungen von Hunderten von Kilometern übertragen werden können, werde im Jahr 2023 ein wesentlicher Bestandteil der Quantencomputer-Geschichte sein.

"Der einzige Weg, das Quantencomputing zu skalieren, besteht darin, Module mit ein paar tausend Qubits zu schaffen und sie kohärent miteinander zu verbinden", so Hidary gegenüber MIT Technology Review. "Das könnte im selben Raum geschehen, aber auch auf dem gesamten Campus oder in verschiedenen Städten." Man kenne die Leistung verteilten Rechnens aus der klassischen Welt der Siliziumchips. "Aber für die Quantenphysik brauchen wir kohärente Verbindungen: entweder ein Glasfasernetz mit Quanten-Repeatern oder Netze, die zu einer Bodenstation führen und dann hoch zu Satelliten."

Viele dieser notwendigen Kommunikationskomponenten wurden in den letzten Jahren bereits demonstriert. So hat der chinesische Micius-Satellit im Jahr 2017 gezeigt, dass eine Quantenkommunikation zwischen Knotenpunkten möglich ist, die 1.200 Kilometer voneinander entfernt liegen. Und im März 2022 demonstrierte eine internationale Gruppe universitärer und industrieller Forscher einen Quanten-Repeater, der Quanteninformationen effektiv über 600 Kilometer Glasfaserkabel weiterleitete.