Heiße Zwerge

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Ironie der Geschichte: Das technische Grundprinzip, auf dem Tokamak Energy aufbauen will, wurde ursprünglich ebenfalls in Culham entwickelt. Viele der Wissenschaftler, die jetzt bei der Firma angeheuert haben, waren dort beschäftigt. Sykes beispielsweise war in der Theorie-Abteilung. "Wir haben ein bisschen mit den Formeln rumgespielt", erzählt er. Dabei entdeckten sie, dass sich das Plasma besser verdichten lässt, wenn sich beim Reaktor das Verhältnis von Höhe zu Breite ändert. Das Ergebnis war ein "sphärischer Tokamak", geformt wie ein Apfel mit herausgestochenem Kerngehäuse. Um die Theorie zu testen, bauten die Forscher solch eine kleinere Plasmakammer, das MAST-Experiment (Mega Ampere Spherical Tokamak). Und siehe da: Die Ergebnisse bestätigten sich. Trotzdem blieb der Schwerpunkt in Culham auf dem konventionellen Design.

Denn sphärische Tokamaks hatten lange ein Problem: Eines ihrer zentralen Bauteile ließ sich nicht gegen Neutronen abschirmen. Sie entstehen während der Fusion und sind für die Energiegewinnung zentral: Neutronen transportieren rund 80 Prozent der Fusionsenergie aus dem Plasma heraus, erhitzen Neutronen-Absorber in der Wand der Plasmakammer. Diese Hitze treibt schließlich die Turbinen zur Stromerzeugung an.

Aber die Neutronen bringen auch eine große Schwierigkeit mit sich: Sie beschädigen das Material der zentralen Magnetspule in der Mitte des Reaktors. Um die zu schützen, muss mindestens ein Meter Abschirmung zwischen ihr und der Plasmakammer liegen. "Die Leute haben gesagt, es würde nicht funktionieren, weil man an der Stelle einfach nicht genug Platz hat", erinnert sich Sykes. Außerdem sei "Culham sehr eng mit dem ITER-Projekt verknüpft. Die wollten sich nicht ablenken lassen."

Bei Tokamak Energy glauben die Entwickler, einen Weg aus dieser Sackgasse gefunden zu haben: Ein Stoff, der so unscheinbar aussieht wie Tesafilm und mit einem bräunlichen Belag beschichtet ist. Doch das Material hat es in sich. "Ein Meter davon kostet hundert Dollar", sagt Kingham lapidar, als er ihn vorzeigt.

Es handelt sich um einen Hochtemperatur-Supraleiter für die Magnetspulen. Supraleiter sind Materialien, die unterhalb einer sehr tiefen Temperatur jeden elektrischen Widerstand verlieren. Konventionelle Supraleiter funktionieren bei etwa minus 250 Grad Celsius, sie müssen mit flüssigem Helium gekühlt werden. Für Hochtemperatur-Supraleiter dagegen reichen minus 180 Grad Celsius, die Temperatur von flüssigem Stickstoff. Die entsprechenden Keramikmaterialien haben Georg Bednorz und Karl Alexander Müller bereits 1986 entdeckt. Für technische Anwendungen sind sie aber erst seit einigen Jahren auf dem Markt.

Mithilfe der Hochtemperatur-Supraleiter können die Briten sehr viel kleinere, kompaktere Spulen bauen, um die für ihren Reaktor notwendigen Magnetfelder zu erzeugen. Denn die Neutronen würden zwar winzige Brüche in der Kristallstruktur der Hochtemperatur-Supraleiter schlagen. Tatsächlich erhöht das aber den maximal möglichen Stromfluss durch die Keramikbänder. "Wir haben eine Menge Simulationen gerechnet", sagt Sykes. "25 Zentimeter Abschirmung reichen." Er schaut fragend zu Kingham: "Darf ich sagen, was für ein Material wir verwenden wollen?" Kingham nickt. "Wolframcarbid, ein extrem hartes Material, das zum Beispiel für Bohrköpfe verwendet wird."

In Handarbeit klebten die Konstrukteure die Meterstücke zu langen Bändern. Die Geometrie der Wicklungen optimierten sie vorher im Computer. Denn sie bestimmt unter anderem die Form des Magnetfelds – und jede noch so kleine Abweichung vom Idealzustand führt dazu, dass das Plasma schneller auseinanderfällt. Rund hunderttausend Euro haben die Spulen gekostet, aber die Investition hat sich gelohnt: Sykes und seine Kollegen haben in diesem Sommer als weltweit erstes Team gezeigt, dass ein kleiner sphärischer Tokamak mit supraleitenden Magneten länger als 24 Stunden am Stück laufen kann.

"Wenn Sie eine kleine Anlage bauen, und die funktioniert, machen Sie schnellere Fortschritte", meint Kingham. "Wenn sie nicht funktioniert", er zuckt mit den Schultern, "dann ist das auch kein unlösbares Problem." ITER dagegen ist ein Koloss, der sich nur schwer umsteuern lässt. Als sein Design beschlossen wurde, gab es noch keine Hochtemperatur-Supraleiter. "Aber jetzt ist es zu spät", sagt Sykes. "Die Entscheidung ist getroffen."

Der Wettlauf

Mit Hunderten Millionen Dollar Risikokapital im Rücken sind andere Unternehmen Tokamak Energy auf den Fersen.

Noch liegt auch vor den Briten ein weiter Weg: Bei ihrem kleinen Reaktor sind die Felder viel zu schwach, um auch nur in die Nähe der Fusion zu kommen. In der Nachbarhalle bauen sie deshalb gerade am nächsten Reaktor. Der ST40 wird mit einer Art Auspuff für abgekühlte Gasteilchen – dem Divertor – und einer kraftvollen Plasmaheizung – dem Teilchenstrahlinjektor – ausgestattet.

Die Anlage wird etwas mehr als drei Meter hoch, besitzt dann einen Durchmesser von 2,80 Metern und soll im August 2016 in Betrieb gehen. Die Spulen werden zwar noch aus Kupfer bestehen, denn "Supraleiter wären bei dieser Größe noch zu teuer", sagt Kingham beinahe entschuldigend. Doch immerhin sollen sie im Plasma ein Magnetfeld von drei Tesla erzeugen – das stärkste, das es bisher in einem sphärischen Tokamak gab.

Auf 20 Millionen Grad soll das Plasma in diesem Reaktor kommen – bei einer Energie-Einschlusszeit von mehr als einer Sekunde. "Damit kommen wir nahe an die Fusionsbedingungen heran", sagt Kingham.

Wenn alles funktioniert wie geplant, wird die übernächste Reaktorgeneration dann mit supraleitenden Magneten ausgerüstet. Der ST60 soll zum ersten Mal auch ein Fusionsplasma zünden. Aber um so weit zu kommen, muss das Unternehmen zunächst neues Geld einsammeln. Der Bau des ST40 wird fünf Millionen Pfund verschlingen.

Sieht man sich die Liste der privaten Unternehmen an, die an Fusion forschen, scheint Geld nicht das Problem zu sein. Offenbar gibt es genügend Investoren, die stattliche Summen auf die neue Energiezukunft verwetten. Am meisten Geld hat ein lange sehr mysteriös agierendes Unternehmen namens Tri Alpha eingesammelt: rund 150 Millionen Dollar. Als Geldgeber beteiligen sich etwa die Investmentbank Goldman Sachs und das Unternehmen von Microsoft-Mitgründer Paul Allen, Vulcan.

Die 1998 von den Plasmaphysikern Norman Rostoker von der University of California sowie Irvine und Hendrik J. Monkhorst von der University of Florida gegründete Firma gilt als extrem verschlossen. Bis heute betreibt Tri Alpha nicht einmal eine Website. Im Juni aber lüftete das Unternehmen zumindest ein klein wenig den Schleier: Zum ersten Mal veröffentlichte es wissenschaftliche Ergebnisse zu seinen Experimenten. Demnach verwendet Tri Alpha die "Field-Reversed Configuration"-Methode (FRC). Die Idee dabei ist, Plasmaringe zu erzeugen, die sich selbst stabilisieren, weil ihr eigenes Magnetfeld sich mit einem äußeren Feld externer Magnetspulen so überlagert, dass sich geschlossene Feldlinien bilden.