Hühnchen aus dem Labor im Michelin-Restaurant

Verbraucher erhalten erste Kostproben von im Labor hergestelltem Fleisch – auch in der hohen Gastronomie.

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(Bild: UPSIDE Foods)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Casey Crownhart
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Der Kellner hebt den Deckel mit Schwung an. Im Inneren des goldfarbenen Keramikbehälters befindet sich auf einem Bett aus Blütenblättern ein kleiner schwarzer Teller mit zwei Hähnchenteilen. Beide sind mit einer dunklen Kruste überzogen – ein "recado negro tempura", wie später zu erfahren war. Weitere essbare Blüten und Blätter sind darauf verteilt. Wer über Themen wie Klima und Energie schreibt, kommt üblicherweise nur selten in ein Nobelrestaurant in San Francisco.

Doch hier passt es einmal. Denn die Bar Crenn, ein mit einem Michelin-Stern ausgezeichnetes Lokal, ist eines von nur zwei Restraurants in den USA, in denen derzeit Fleisch aus dem Labor serviert wird. Und die beiden Häppchen auf dem Teller vor dem Autor dieser Zeilen waren genau das: eine Kostprobe von im Labor gezüchteten Hühnerfleisch. Es stammt vom Start-up Upside Foods und wiegt knapp 33 Gramm.

Es wird ganz besonders angerichtet: So steigt geheimnisvoller Rauch vom Teller auf. Er kommt von einem kleinen Trockeneisreservoir in dem Zylinder, in dem das Laborfleisch serviert wird. Das kann man symbolisch verstehen: Wird sich der Hype um Laborfleisch in Luft auflösen? Oder wird es zum neuen Grundnahrungsmittel?

Cultivated Meat, auf Deutsch kultiviertes oder schlicht im Labor gezüchtetes Fleisch genannt, ist Fleisch, das aus tierischen Zellen hergestellt wird – aber eben nicht aus den Tieren selbst. Upside Foods und ein weiteres Unternehmen mit Sitz in den USA, Good Meat, haben Anfang des Jahres von den Aufsichtsbehörden grünes Licht für den Verkauf von Hühnerfleisch aus dem Labor an Verbraucher erhalten. Beide Unternehmen haben sich dafür entschieden, ihre Produkte zunächst in gehobenen Restaurants einzuführen.

Good Meat, eine Tochtergesellschaft von Eat Just, serviert sein Hähnchen im China Chilcano, einem Lokal in Washington, D.C., das von Chefkoch José Andrés geleitet wird. Upside Foods landete mit seinen Produkten wiederum in der Bar Crenn in San Francisco.

Keinem der beiden Restaurants kann man vorwerfen, billig zu sein, aber die Platzierung dieser Produkte auf einer kommerziellen Speisekarte ist dennoch so etwas wie ein Meilenstein in Sachen Erschwinglichkeit von kultiviertem Fleisch. Der erste im Labor gezüchtete Burger der Welt, der 2013 serviert wurde, kostete sage und schreibe Hunderttausende von Dollar. Upside Foods hat nicht verraten, wie viel das Hühnchen auf dem Teller in der Herstellung gekostet hat, aber die Bar Crenn verkauft das Gericht für 45 Dollar à la carte. Es gibt auch andere Gerichte, die nicht aus dem Labor kommen, darunter eine Kürbistarte mit vergoldeten Kürbiskernen und ein gegrilltes Austerngericht, das aus zwei "Austernbäuchen" mit geräucherter Sahne und eingelegtem Tapioka besteht.

Die Bar Crenn hatte 2018 das meiste Fleisch von der Speisekarte gestrichen, eine Entscheidung, die laut der Website des Restaurants mit "den Auswirkungen der Massentierhaltung auf Tiere und den Planeten" begründet wird. Meeresfrüchte werden jedoch weiterhin serviert – daher auch die "Austernbäuche". Das Huhn von Upside ist also das einzige "Tier" vom Land, das auf der Speisekarte steht. Es wird allerdings nur in begrenztem Umfang serviert. Einmal im Monat kann man für einen speziellen Upside-Foods-Abend reservieren, und die sind schnell ausverkauft.

Nachdem ein paar Fotos geschossen worden waren, war es an der Zeit, zuzugreifen. Es gibt zwar Silberbesteck, aber die Kellner fordern die Besucher auf, die Hähnchenstücke mit den Fingern zu essen. Der Geschmack ist würzig, ein wenig rauchig von der verbrannten Chili-Aioli. Bei all den Gewürzen, Saucen samt Grünzeug darauf war es schwer zu erkennen, aber ein gewisser Hühnchengeschmack war feststellbar.

Mehr als der Geschmack konnte die Textur faszinieren. Das ist oft das, was ich bei alternativem Fleisch nicht ganz korrekt ist – wer schon einmal einen pflanzlichen Burger wie den von Impossible Foods probiert hat, wird wissen, dass das Produkt etwas weicher ist als eines aus herkömmlichem Fleisch.

Upside Foods hat sich eine schwierige Aufgabe gestellt, wenn es um die Textur geht: Sie wollten kein Hähnchen-Nugget, keinen Burger oder ein anderes "Mixed"-Produkt herstellen, sondern ein ganzes Hähnchenfilet. Vollständiges Fleisch wie Hähnchenbrust oder Steak besteht aus komplizierten Strukturen aus Eiweiß und Fett, die sich beim Wachsen und Arbeiten der Muskeln bilden. Das ist schwer zu reproduzieren, weshalb sich so viele Unternehmen, die alternative Fleischsorten anbieten, auf Burger oder eben Chicken Nuggets konzentrieren.

Aber Upside Foods wollte als erstes Produkt ein im Labor gezüchtetes Hühnerfilet anbieten. Und das Ergebnis ist zumindest teilweise gelungen. Beim Anschneiden der Probierportion aus der Bar Crenn zeigte sich eine etwas faserig aussehende Struktur. Und obwohl die Bissen immer noch weicher waren als eine Hähnchenbrust, waren sie definitiv hähnchenähnlicher als andere Fleischalternativen.

Das Problem ist: Nur weil einige wenige Menschen bereits Fleisch aus dem Labor gegessen haben, heißt das noch lange nicht, dass es in absehbarer Zeit für alle erhältlich sein wird. Eine der größten Herausforderungen, vor denen die Branche steht, ist die Skalierung der Produktion, also der Anbau großer Mengen künstlichen Fleischs in riesigen Reaktoren. Upside Foods hat mit der Arbeit begonnen, um diese großen Maßstäbe zu erreichen. Das Unternehmen hat eine Pilotanlage in Kalifornien gebaut, die nach eigenen Angaben 50.000 Pfund Fleisch pro Jahr produzieren kann.

Bei den Produkten, die in den Restaurants sind, geht es jedoch im Moment noch um kleinere Maßstäbe. Die Produkte von Upside Foods, die in der Bar Crenn serviert werden, werden nach Angaben des Unternehmens in kleinen Zwei-Liter-Gefäßen hergestellt. In einem kürzlich erschienenen Artikel von Wired über den Prozess wurde beschrieben, dass das Fleisch in einer Reihe von arbeitsintensiven Schritten "fast von Hand" hergestellt wird.

Ein Teil der Schwierigkeit liegt darin, ein Produkt im Ganzen herzustellen. In einem Blogbeitrag vom September sagte Uma Valeti, CEO von Upside: "Wir wissen, dass ein vollständiges Filet nicht unser erstes Produkt für den Massenmarkt sein wird."

Das Unternehmen wird in den nächsten Jahren daran arbeiten, leichter zu produzierende Optionen zu entwickeln. Es ist also nicht klar, wann – und ob überhaupt – das Huhn, das es in San Francisco zu essen gibt, auf dem weiteren Markt erhältlich sein wird.

(jle)