Ideen gehören allen!

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INSPIRATION DURCH REMIX

Nun werden Ökonomen und andere dem Kapitalismus Geneigte einwenden, dass diese erweiterte Regulierung gar nicht notwendigerweise schlecht ist. Sie werden vielmehr betonen, dass es in vielen Fällen der Allgemeinheit nützt, wenn Eigentümer mehr Kontrollgewalt (oder "Unterscheidungsmöglichkeiten") über den Gebrauch ihres Eigentums erhalten. Wir sollten deshalb die verstärkte Kontrolle durch DRM im Cyberspace nicht rundweg verdammen, solange sie die ganze Gesellschaft bereichert.

Ich will nicht mit den Ökonomen zanken (obwohl ich auf Richard Epsteins Kritik antworte, siehe Artikel Seite 87). Mein Anliegen ist bescheidener: Ich möchte schlicht anmerken, dass die Aussicht auf solch strikte Kontrolle noch vor drei Jahrzehnten bizarr gewirkt hätte, und dass wir schleunigst darüber nachdenken und entscheiden sollten, ob wir solche Kontrollen in der kulturellen Welt wollen. Wenn das Internet den Copyright-Inhabern die perfekte Kontrolle über ihre Inhalte erlaubt, dann wird jeglicher Gebrauch genehmigungspflichtig, weil alles automatisch urheberrechtsgeschützt ist. Wir werden nicht mehr in einer freien Kultur leben, sondern in einer Kultur "nach Einverständnis". Und diese Einverständnisse werden nicht mehr von Gerichten und Gesetzen kontrolliert, sondern von Programmcode. Können wir sicher sein, dass der Nutzen dieser Praxis die Kosten überwiegt? Wissen wir überhaupt genug, um die Kosten abzuschätzen? Gegen DRM sprechen zwei Einwände, ein bekannter und ein nicht so offensichtlicher. Der bekannte Einwand: Vielleicht werden zu viele Menschen vom Markt ausgeschlossen, womöglich wird der Preis für die Lektüre eines E-Books zu hoch sein. In Entwicklungsländern ist dies eine reale Gefahr, denn dort sind geschützter Softwarecode und kommerzielle Kultur völlig unerschwinglich für die meisten Menschen. Dennoch können die Apologeten des Markts diesen Einwand leicht abschmettern (siehe Replik von Richard A. Epstein Seite 83).

Aber der zweite, fundamentalere Einwand gegen DRM entgeht den Apologeten des Marktes meist: DRM beschneidet unsere persönliche Freiheit und hemmt die Verbreitung von Kultur. Um das einzusehen, muss man vorläufig das Digitale beiseite lassen und stattdessen die gesamte menschliche Kultur betrachten. Mit der Teilnahme am kulturellen Leben geht eine Tätigkeit einher, die man "Remix" nennen könnte -– Neuabmischen. Man liest ein Buch. Man erzählt dessen Geschichte seinen Freunden. Man lässt sich von einem Film inspirieren und teilt diese Inspiration mit der Familie.

Remix nutzt die Früchte fremder Kreativität, ohne dem neu abgemischten Werk notwendigerweise einen Gefallen zu tut. Es gibt keine Bedingung, das Werk respektvoll oder freundlich zu behandeln. Die Freiheit zum Remix ist die Freiheit, zu veralbern oder zu huldigen. Nicht Fairness, sondern Freiheit ist der Maßstab. Eine Kultur, die den Menschen diese Freiheit verweigert und dennoch gedeiht, ist fast undenkbar. Kultur entsteht durch Remix. Wir schaffen kulturelle Dinge, indem wir lesen, kritisieren, loben oder missbilligen. Das gilt für kommerzielle und nichtkommerzielle Kultur: Man kann das Remixen nicht auf den frei zugänglichen Raum beschränken. Die Freiheit zum Remix folgt einer langen Tradition, egal ob das Ausgangsmaterial unter Copyright steht oder nicht.

Diese Freiheit war jedoch früher auf Worte beschränkt. Wir benutzen Worte, um unsere Kultur neu zu schaffen. Wir nutzen Worte, um zu kritisieren oder zu integrieren. Kultur entsteht üblicherweise als Text. Niemand beschränkte die Freiheit der kulturellen Neuschaffung, weil es - zumindest in freien Kulturen - niemandem in den Sinn kam, Menschen im normalen Umgang mit Worten zu beschränken. Was also geschieht, wenn sich die üblichen Werkzeuge des Remix ändern? Ändert sich damit auch das Recht auf Remix?

Kehren wir zurück zu den Jugendlichen in Porto Alegre. Sie hoffen, Computer zum kulturellen Remix nutzen zu können. Für die meisten von uns sind Computer schnelle Schreibmaschinen. Für die meisten von ihnen werden Computer Maschinen zum Sprechen sein, die Klänge und Bilder verarbeiten, synchronisiert oder neu gemischt, um damit Kunst zu schaffen oder Politik neu zu kreieren.