Im reproduktiven Supermarkt

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TR: Sind es nicht gerade Frauen, die besonders viele Vorbehalte haben?

Djerassi: ART werden häufig als eine Art Verstoß gegen die natürliche sexuelle Reproduktion betrachtet. Ich bekomme von Männern wie Frauen viel Kritik zu hören – als ob ich irgendwelche Horrorszenarien prophezeien würde. Und das, obwohl diese Techniken doch seit Jahrzehnten in Europa eingesetzt werden. Aber die Leute ignorieren die Fakten und stecken einfach den Kopf in den Sand. Tatsächlich sind es aber häufig die Frauen, die das Kinderkriegen stark romantisieren und dessen Technisierung als kaltblütig empfinden.

TR: Wenn Sex als Zeugungsmethode mit einer bestimmten emotionalen Wertigkeit an Bedeutung verliert, ist das doch nachvollziehbar.

Djerassi: Ja, das kann man betrauern, doch die kalkulierte, mechanisierte Zeugung ist bereits Wirklichkeit. In Europa liegt der Durchschnitt bei 1,5 Kindern pro Familie. Und natürlich haben Menschen nicht nur zu diesem Zwecke fünf, sechsmal im Leben Sex. Nein, sie haben selbst dann noch Hunderte Male Sex, wenn sie bereits ihre 1,5 Kinder bekommen haben. Sex und Fortpflanzung haben sich ganz ohne technische Eingriffe doch längst auseinander entwickelt. Ich finde das nicht verwunderlich, neben Bonobos sind wir die sexuellste Spezies der Welt, gerade weil Sex für uns noch so viele andere Aufgaben erfüllt als rein reproduktive – romantische, soziale, sportliche, hedonistische…

TR: Die Medizinerin Melanie, Hauptfigur in Ihrem Stück "Unbefleckt" (An Immaculate Misconception), spricht sich für reproduktive "Bankkonten" aus, in denen junge Menschen ihre Eizellen oder Spermien deponieren und später im Leben darauf zurückgreifen können. Geht mit der Technisierung zugleich die Kapitalisierung des menschlichen Lebens einher?

Djerassi: Es gibt eine merkliche Tendenz, werdendes Leben zu kommerzialisieren. Eine Fruchtbarkeitsklinik in Virginia (USA) etwa bietet eine Garantie auf das Geschlecht des Kindes an, als Bestandteil ihrer Dienstleistung. Interessant dabei ist, dass sie aus "political correctness" momentan nur bereit sind, das für weibliche Embryonen zu machen. Wenn man sich vorstellt, wie Gesellschaften das im großen Maßstab praktizieren würden, in denen männliche Kinder stark bevorzugt werden, wie in China oder Indien – das könnte katastrophale Konsequenzen haben. Schon heute gibt es dort eine riesige Schräglage der Geschlechter, wenngleich noch durch indirekte Methoden (sprich, Ultraschall mit anschließender Abtreibung). In Europa würde es kaum etwas ausmachen, weil das "europäische Ideal" zwei Kinder sind – ein Junge und ein Mädchen.

TR: Ist es die Behandlung von Zellen als Ressource, die Selektionsmöglichkeit, die vor allem Angst auslöst? In Deutschland ist man da ja schnell beim Euthanasievorwurf.

Djerassi: Es sind ganz unterschiedliche Faktoren, die gesellschaftliche Bedenken erzeugen. Viele machen sich etwa Gedanken, weil solche Konten es ermöglichen, noch nach der Menopause Mutter zu werden. Tatsächlich gibt es diese Fälle, zuletzt hat in Bulgarien eine 62-Jährige mit IVF Zwillinge bekommen. Das finden viele Menschen widerwärtig, doch ich halte das für albern, das als großes Problem zu behandeln. Natürlich ist es (medizinisch) absolut nicht anzuraten, ab 38 heißt es immer noch: Risikoschwangerschaft. Aber so etwas wird die große Ausnahme bleiben und muss nicht überbewertet werden.

TR: Aber das Aussortieren vergleichsweise schwacher Embryonen hat schon etwas Viehmarktartiges.

Djerassi: Na und? Die meisten Techniken stammen ja aus der Veterinärmedizin, und dort werden sie schon die ganze Zeit eingesetzt. Insofern gibt es bei Rindern schon längst solche Reproduktionskarteien. In der Viehhaltung wird künstliche Befruchtung sehr klug eingesetzt, ihr haben wir zu verdanken, dass es heute die männlichen, zur Fleischproduktion optimierten Tiere gibt und die weiblichen für die Milchwirtschaft.

TR: Wie lange wird es denn dauern, bis solche Methoden demokratisiert sind? Es kann sich ja sicher nicht jeder so ein Depot leisten?

Djerassi: Es werden niemals alle Menschen diese Mittel einsetzen. Zunächst werden es die Reichen und Gebildeten sein, die das überhaupt annehmen. Selbst heute wird ja keine flächendeckende Geburtenkontrolle betrieben. Im Ländermittel liegt der Anteil derer, die mit der Pille verhüten, bei rund 30 Prozent. Und es werden auch niemals 50 oder 100 Prozent werden, das wäre ja desaströs. Anders gesagt, nichts ist für alle Menschen gleichermaßen ideal. Es geht um Optionen – nicht darum, dass alle alles nutzen. Früher habe ich über den "Verhütungs-Supermarkt" geschrieben, und der fängt nun eben an, sich in einen reproduktiven Supermarkt zu verwandeln.

TR: Wenn es nicht für jeden erschwinglich ist, sondern nur für bestimmte Schichten: Handelt es sich nicht vielmehr um ein Zweiklassensystem, um ein reproduktives Delikatessengeschäft?

Djerassi: Zugegebenermaßen hat der Supermarkt von vornherein relativ wenige relativ exklusive Produkte im Angebot. Und global besehen ist zweifellos ein großes Gefälle vorhanden. Es handelt sich um ein Spektrum: Von sexueller Zeugung ohne Vorsatz bis hin zu westlichen Kulturen, in denen Spermienkonten und assistierte Reproduktionsverfahren genutzt werden. Tatsächlich gibt es also eine inhärente Ungerechtigkeit. Fortpflanzung ist aber ein Menschenrecht und sollte nicht davon abhängen, ob man es sich leisten kann oder nicht.

TR: Wäre praktisch gesprochen die Kostenübernahme für solche Technologien eine Möglichkeit zur Demokratisierung?

Djerassi: Ja, aus genau dem Grund wird das auch schon gemacht. In einigen Ländern wie Großbritannien wird In-Vitro-Befruchtung staatlich finanziert – zumindest die ersten zwei, drei Versuche. Ich bin der Ansicht, dass IVF prinzipiell von Krankenversicherungen gedeckt werden sollte. Ohnehin gibt es keinen Grund, warum die Technik so teuer sein muss, wie sie es heute ist. Wer überzeugend darlegen kann, warum IVF sinnvoll und indiziert ist, sollte es machen können, unabhängig von der eigenen Finanzlage.