Internet: Kampf um die Anonymität

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Dabei aber muss es nicht bleiben. Scheuermann ist überzeugt, dass sich datenbasierte Industrie und Privatsphäre in Einklang bringen lassen. Der Forscher arbeitet an Verfahren, die es möglich machen sollen, Nutzerverhalten anonym auszuwerten. "Stellen Sie sich vor, Sie wollen wissen, wie viele der Autos, die über eine bestimmte Auffahrt auf eine Autobahn gefahren sind, an einer anderen Abfahrt die Autobahn wieder verlassen." Anstatt Kennzeichen zu speichern, könne man spezielle Analysemethoden nutzen, die nur statistische Aussagen über die Fahrzeuggruppe zulassen, erklärt Scheuermann. So ließen sich Daten für wirtschaftliche Zwecke gewinnen, ohne den Einzelnen auszuspähen.

Dieses Prinzip lasse sich auch auf Smart Homes oder Kundenkarten anwenden. Eine solche – anonyme – Kundenkarte entwickelt Scheuermann sogar schon, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. "Die eingesetzten Datenschutztechniken gehen über eine reine Pseudonymisierung, wie sie andere nicht-personalisierte Kundenkarten haben, deutlich hinaus." Bei der Pseudonymisierung wird der Klarname schlicht durch ein Pseudonym ersetzt, wie viele Menschen das heute auf Facebook oder in Foren tun. Doch ist das Pseudonym einmal dem Klarnamen zugeordnet, fällt damit sofort die Anonymisierung. Ein Ziel sei deshalb, dass zwischen mehreren Einkäufen derselben Person kein Zusammenhang hergestellt werden kann. "Vielfältige statistische Informationen über die Gesamtheit der Nutzer – auch über die Grenzen einzelner Einkäufe hinweg – gewinnen wir dennoch", sagt Scheuermann. "So können wir Angebote und Empfehlungen erzeugen."

Auch große Telekommunikationsanbieter entdecken offenbar die Anonymisierung als Geschäftsmodell. So sagte Thomas Kremer, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom, im August 2015, es schade europäischen Unternehmen, wenn Google und Facebook sich Länder als Standort aussuchen, die niedrigere Datenschutzstandards haben. Denn so bestehe die Gefahr, dass "Daten als Rohstoff exportiert [werden], um sie als veredelte Produkte wieder zurückzukaufen." Der europäische Datenschutz solle deshalb Anreize für Lösungen setzen, "die auf Pseudonymisierung und Anonymisierung beruhen". Die Verknüpfung von Pseudonym und Person solle nur dann möglich sein, wenn der Nutzer dies explizit erlaube. Noch, so erlebt es auch Scheuermann, sind Forderungen aus der Industrie nach mehr Anonymisierung kaum vernehmbar.

Unter Sicherheitsforschern sei das Thema aber heute sehr populär und helfe, Forschungsgelder einzuwerben. Und bei der Bevölkerung scheinen sie damit ohnehin auf Interesse zu stoßen. "Ich habe keine Angst vor Überwachung", sagt die ältere Dame im ICE noch, bevor sie aussteigt. "Ich will aber, dass der Staat und die Bösewichte mich einfach in Ruhe lassen."

Am Ende ist die Einhaltung der Privatsphäre natürlich eine Frage des Vertrauens: gegenüber Firmen, die unsere Daten erheben und behaupten, damit sorgsam umzugehen. Gegenüber den Behörden, die zusichern, nur mit richterlichem Beschluss darauf zuzugreifen. Und gegenüber dem Staat, der die Spiel- regeln des Datenschutzes überwachen soll. Aber den Menschen anonyme Wege im Web zu ermöglichen, ist ein entscheidender Schritt, um dieses Vertrauen zu gewinnen. (bsc)