Interview mit Ubuntu-Initiator Mark Shuttleworth

Mark Shuttleworth über seine Rolle bei der Ubuntu-Entwicklung, die Bedeutung von Debian und die Vorzüge von Ubuntu für den Einsatz im Unternehmen.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Bernd Butscheit
Inhaltsverzeichnis

Auf dem LinuxTag 2006 in Wiesbaden hatten wir Gelegenheit zu einem Gespräch mit Mark Shuttleworth. Der südafrikanische Multimillionär, der 2002 als zweiter Weltraumtourist zur International Space Station (ISS) flog, erklärt seine Rolle bei der Ubuntu-Entwicklung, erläutert, warum Debian so wichtig ist, und preist die Vorzüge von Ubuntu für den Einsatz im Unternehmen.

Mark Shuttleworth auf dem LinuxTag 2006

heise open: Herr Shuttleworth, was ist Ihrer Meinung nach der Zusammenhang zwischen Open Source und Geld? Die Kurzfassung: Sie wurden Millionär...

Shuttleworth: ...Milliardär...

heise open: ...und ein paar Wochen später erblickte eine neue Linux-Distribution das Licht der Welt. Das scheint mir doch ein Beispiel dafür zu sein, dass mehr dazu gehört als etwas Freizeit und der regelmäßige Austausch mit Gleichgesinnten, wenn man ein professionelles Betriebssystem auf die Beine stellen will. Wie viel Geld braucht man, um so etwas wie Ubuntu zu entwickeln?

Shuttleworth: Ubuntu ist teuer. Die Distribution kostet mich einige Millionen Dollar im Jahr. Ich kann das jedoch bezahlen, denn vor zehn Jahren, als ich noch an der Uni von Capetown in Südafrika studierte, war ich vom Internet fasziniert. Linux gab mir die Möglichkeit, mit den besten Firmen der Welt zu spielen, ohne Hindernisse zwischen mir und dem Erfolg. Das hat mich zum Milliardär gemacht; dadurch konnte ich in das Weltall fliegen und viele andere wunderbare Dinge tun. Ich möchte etwas zurückgeben – ich möchte dabei helfen, das Spielfeld auch für andere Leute zu ebnen. Und ich glaube, dass im Bereich der Desktop-Betriebssysteme die Messlatte ruhig etwas höher gelegt werden sollte.

Mit der Frage, ob freie und quelloffene Software wirklich von Hobbyisten und Freiwilligen gemacht wird, sprechen Sie einen sehr interessanten Punkt an. Die beste freie Software wird von Leuten in ihrer Freizeit geschrieben, ohne den Druck, der im Geschäftsumfeld herrscht. Sie entwickeln etwas, was sie lieben, hinter dem sie stehen können, zu dem sie eine Beziehung haben. Freizeitentwickler haben die besten Ideen, von ihnen stammen die interessantesten Neuerungen.

Aus der geschäftlichen Perspektive gesehen, ist ein solches Vorgehen jedoch nicht sonderlich produktiv oder effizient. Man neigt dazu, ohne wirklichen Plan eine Menge Ideen auszuprobieren – eine Vielzahl davon funktioniert nicht, zumindest nicht ohne weiteres. Darum hat es auch 30 Jahre gedauert von den ersten Anfängen in der Software-Bewegung bis heute, wo wir fast eine komplette Desktop-Umgebung haben.

Linux-Software wird inzwischen von Zehntausenden festangestellten Profis in vielen Unternehmen entwickelt. Ihre Arbeit ist gut, robust und zuverlässig. Sie verrichten eine Menge Arbeit, die in einem kommerziellen Rahmen gemacht werden muss. Was ich aber spannend finde: Diese Entwickler haben nicht die innovativsten Ideen. Die kommen nach wie vor von Leuten, die nachts vor ihrem Rechner sitzen und denken: "Toll! Das braucht die Welt!"

Weil freie Software oft schon eine hohe Qualität hat, werden viele solcher Ideen als i-Tüpfelchen auf bestehenden Entwicklungen geboren. Nimm zum Beispiel Firefox: Das ist ein sehr guter Browser, vielleicht sogar der beste, den es im Moment gibt. Wenn man eine gute Idee hat, kann man diesen tollen Browser nehmen und ihn relativ leicht noch besser machen. Dabei ist es völlig unerheblich, ob man als Entwickler in Deutschland, Äthiopien oder China sitzt.

Während also große Unternehmen Riesenmengen an Geld in freie Software pumpen, kommt die wirkliche Innovation nach wie vor von Amateuren, von Leuten, die es aus Liebe tun, die eine Leidenschaft haben.

heise open: In Ihrer Keynote sagten Sie, dass Sie die Leute nicht führen möchten, sondern ihnen helfen wollen, Entscheidungen zu treffen. Ist das der typische Balance-Akt zwischen Unternehmen wie Novell oder IBM und freier Software?

Shuttleworth: Nein, das ist eher unüblich. Wir hatten bis jetzt drei Ubuntu-Releases. Jedes davon hat weniger neue Technik eingeführt. Dapper Drake, das jetzt anstehende Release, wird äußerst stabil und zuverlässig sein und damit sehr geeignet für den Produktiveinsatz. Ich bin die treibende Kraft dahinter. Ich habe die Richtung vorgegeben. Und jetzt, beim Folge-Release Edgy Eft, sagen wir den Entwicklern: Nun seid ihr dran, Jungs! Jetzt bestimmt Ihr, was passiert. Danach übernehme ich wieder und gebe die Zielrichtung einer nächsten Unternehmens-Version vor.

Entwickler können viel besser große Sprünge machen als ich. Darum lassen wir das Pendel bei Edgy Eft in Richtung mehr Risiko und weniger Stabilität schwingen. Dieses kommende Release, das für November geplant ist, wird gewagt sein. Es wird eine Vielzahl neuer Features enthalten, nicht 110 Prozent ausgereift sein, und es wird dafür auch keine fünf Jahre Support wie für Dapper Drake geben. Ein solches Ubuntu kann ich nur machen, wenn ich den Entwicklern freies Spiel lasse und sage: "Habt Spaß!"

heise open: In gewisser Hinsicht sind es zwar Sie, die Ubuntu machen, aber es ist nicht Ihre Vision. Sie wollen den Leuten vielmehr eine Plattform geben?

Shuttleworth: Ja, das ist mein Anliegen. Und diese Plattform soll sich selbst tragen können, sodass ich wieder in den Weltraum zurück kann.

heise open: Es gab einige Unruhe in der Kubuntu-Community, weil Sie zu sehr die Richtung des Projekts vorgegeben hätten. Aber das klingt gar nicht nach Shuttleworth, wenn ich Sie richtig verstanden habe...

Shuttleworth: Es gibt immer beides. Bei manchen Releases sage ich ganz deutlich: Als Community, als Organisation müssen wir die Erwartungen unserer Partner erfüllen. Das gilt zum Beispiel für Ubuntu 6.06 LTS (Long Time Support) Dapper Drake, das im Juni erscheinen wird. Bei dem nächsten Release sage ich dann aber: "OK, Jungs, vergesst die Partner, das ist euer Release. Macht, wozu Ihr Lust habt, experimentiert mit neuen Features, mit coolen Sachen, mit den wirklich spannenden Dingen."

Dapper Drake hat zum Beispiel KDE 3 an Bord. In der nächsten Version werden wir KDE 4 nehmen, dem wir dann für die nächste Unternehmensversion von Ubuntu wieder etwas mehr Feinschliff geben müssen.

heise open: Können Sie uns sagen, wie wichtig Debian noch für Ubuntu ist?

Shuttleworth: Extrem wichtig!

heise open: Wenn Debian morgen sterben würde...

Shuttleworth: ...dann sind wir ebenfalls tot. Wir brauchen ein starkes Debian. Und ich sage: Debian braucht ein starkes Ubuntu!

heise open: Wieso eine andere Distribution, wenn Debian so wichtig ist?

Shuttleworth: Was kann Debian gut? In meiner Vorstellung gibt es nichts, worin eine Freie-Software-Community nicht am besten sein könnte, aber eine Community kann nicht am besten in allem sein. Mit Ubuntu definieren wir die Ziele genauer, wir reduzieren die Anzahl der Archiktekturen, für die wir entwickeln, wir schränken die Zahl der Anwendungen ein, sodass wir sie noch besser machen können. Debians größte Stärke ist meiner Ansicht nach die enorme Diversität der Distribution. Sie läuft auf sehr vielen Plattformen und es gibt eine Riesenmenge an Anwendungen.

Ich glaube an Partnerschaften, in denen die Beteiligten ihre jeweiligen Stärken ausspielen können. Problematisch ist, wenn man nicht nur all das macht, was man selbst kann, sondern auch noch all das machen will, was der andere gut kann. Dann ist man zum Scheitern verurteilt. Eine starke Partnerschaft gelingt nur, wenn man sich gegenseitig ergänzt. Dabei muss jeder Beteiligte von der Wichtigkeit, dessen, was er macht, überzeugt sein. Der Grund, weshalb unser Code so einfach in Debian übernommen werden kann, ist, dass es gut für uns ist, wenn dies geschieht. Und für Debian ist es auch gut.

heise open: Wir können also der Welt versichern, dass Sie nicht den Untergang von Debian planen?

Shuttleworth: Ja! Ich brauche ein starkes Debian! Und Debian braucht ein starkes Ubuntu. Im Moment gibt es mehr Anwender, die Ubuntu einsetzen, als solche, die ein reines Debian benutzen, wenn man es so sehen will. Für mich sind es alle Debian-Benutzer.

heise open: Man könnte also sagen, Ubuntu sei nur ein anderes Debian?

Shuttleworth: Ja, so sehe ich das. Und man darf nicht vergessen: Irgendjemand bringt Debian auf ein Nokia-Smartphone, jemand anderes auf einen Palm-Handheld. Ich sehe eine Parallele zwischen Debian und Linux. Debian ist für das Betriebssystem, was Linux für den Kernel ist: Beide sind frei verfügbar, auf eine große Zahl an Plattformen portiert, und es laufen unzählige Anwendungen darauf. Ich stehe nicht in Konkurrenz zu Debian, genauso wenig wie Red Hat gegen Linus Torvalds konkurriert.

heise open: Nein, aber gegen Novell?

Shuttleworth: Genau! Also trete ich gegen Xandros an und gegen Linspire. Ich stehe nicht in Konkurrenz zu Debian. Ich bin Debian.

heise open: Jetzt, wo wir gerade von Red Hat und Novell sprechen: Wieso sollten sich Unternehmen für Ubuntu entscheiden?

Shuttleworth: Erstens haben wir ein sehr kostengünstiges Modell: Ein Anwender kann jedes Ubuntu-Release einsetzen und braucht dafür nichts zu bezahlen. Auch Sicherheits-Updates sind umsonst. Und wer einen kommerziellen Support-Vertrag haben möchte, der bekommt einen. Im Gegensatz zu Red Hat, wo man für alle Systeme eine Lizenz kaufen muss, kann sich ein Unternehmen mit Ubuntu genau aussuchen, für welche Maschinen es einen Support-Vertrag haben möchte. Damit bieten wir ein sehr effizientes Modell für Firmen, die eine große Anzahl Systeme haben, aber nicht für alle Support brauchen.

Zweitens haben wir den besseren Desktop. Wir sind fest davon überzeugt, dass unsere Desktop-Umgebung besser ist, wir neue Hardware besser unterstützen, eine bessere Integration der Anwendungen bieten und einen besseren KDE-Desktop, wenn man KDE mag, und ein besseres Gnome, wenn man Gnome bevorzugt. Das kommt, weil wir keine Kompromisse eingehen: Wir versuchen nicht, aus zwei guten Sachen eine zu machen. Wir wollen einfach den bestmöglichen KDE-Desktop und den bestmöglichen Gnome-Desktop bieten.

heise open: Dass es Ubuntu mit drei verschiedenen Desktop-Umgebungen gibt, ist also kein Zufall, sondern eine Frage der Philosophie? Wenn Du KDE willst, dann nimm KDE, aber vermische die Sachen nicht?

Shuttleworth: Eine Gnome-Anwendung läuft problemlos unter Kubuntu. Wir glauben jedoch nicht, dass das dem Benutzer die beste Experience bringt. Die gibt es nur innerhalb einer Desktop-Umgebung.

heise open: Aber gibt es wirklich einen Desktop in Ubuntu, den ich in anderen Linux-Distributionen nicht bekomme? Ich stelle diese Frage, weil Sie sagten: "Unser Desktop ist besser!"

Shuttleworth: Wenn man die großen Komponenten betrachtet, sind sie grundsätzlich alle gleich. OpenOffice, Firefox, KDE, Gnome... der Code unterscheidet sich nicht. Wir glänzen bei der Integration, bei dem Leim zwischen den großen Puzzlestücken, der dafür sorgt, dass alles rund läuft und funktioniert. Das ist die Kombination aus unserem wirtschaftlichen Modell und der Technik. (akl)