Jim Benson im Interview zu Personal Kanban

Seite 2: Unterschiede

Inhaltsverzeichnis

heise Developer: Was ist der Unterschied zwischen Personal Kanban und Kanban, wie man es von David Anderson kennt?

Benson: Es gibt mehrere Unterschiede, aber lass uns auf einige wenige konzentrieren. Der erste Unterschied besteht darin, das sich Personal Kanban stark auf dich als Individuum bezieht, darauf, wie du dich als Person bei deiner Arbeit fühlst. Darüber hinaus sehen andere, an was du gerade arbeitest, und du selbst weißt, welche Arbeit gerade vor deiner Nase liegt und was du selbst zu liefern in der Lage bist. Kanban ("Capital K Kanban") ist mehr auf den ständigen Fluss von Geschäftswert in einer Wertschöpfungskette fokussiert.

Ein anderer Unterschied liegt in der Granularität. Personal Kanban ist fein-granular und richtet sich mehr auf die einzelnen Aufgaben oder sogar Unteraufgaben aus, wohingegen sich Kanban eher auf die User-Story- oder Feature-Ebene bezieht.

Und der letzte Unterschied ist, dass es bei Personal Kanban um psychologische Messgrößen geht. Zum Beispiel: Wie fühlst du dich bei der Aufgabe? Wie viel kannst du erledigen, ohne dich zu überlasten? Dagegen geht es bei Kanban mehr um die Messung von Geschäftszahlen. Zum Beispiel: Was war die Durchlaufzeit? Oder: Wie viele neue Funktionen konnten seit der letzten Woche erstellt werden?

Davids Kanban und Personal Kanban passen sehr gut zusammen, es greift einfach gut ineinander. Wenn ich mit Teams oder Firmen zusammenarbeite, setze ich mit den Teams ein Kanban Board für jedes Team auf und für jeden einzelnen oder jede einzelne Untergruppe ein Personal Kanban Board. So kann jeder sein persönliches WiP-Limit verwalten, während er Teil eines größeren Teams ist, das ebenfalls sein WiP-Limit verwaltet.

heise Developer: Ich habe gelesen, dass du dich auch für das Thema "kognitive Wahrnehmungsverzerrungen" ("cognitive biases") interessierst? Um was geht es dabei?

Benson: Das Thema hat viel mit Management und mit Selbstbetrachtung zu tun. Wir messen uns selbst an einem idealisierten Standard, und es ist schwer, gegen ein Ideal zu bestehen. Wir verstehen dabei aber nicht, warum es uns so schwer fällt. Der Grund dahinter sind Wahrnehmungsverzerrungen. Kognitive Wahrnehmungsverzerrungen sind ein Teil der kognitiven Psychologie. Wenn du bei Wikipedia danach suchst, findest du eine Liste von über 160 katalogisierten Wahrnehmungsverzerrungen. Diese finden in unserem Kopf statt und sind dafür verantwortlich, dass wir uns etwas weniger vorhersagbar verhalten und weniger unser eigener Herr sind, als wir denken.

Eine der für mich größten kognitiven Wahrnehmungsverzerrungen wird Planungsfehlschluss ("planning fallacy") genannt. Sie bezieht sich auf das Hofstadter-Gesetz von Douglas Hofstadter. Es besagt, dass Menschen jede Aufgabe, die sie übernehmen, in ihrem Aufwand unterschätzen, selbst wenn sie sich der kognitiven Verzerrung bewusst sind. Diese Wahrnehmungsverzerrung wurde überall auf der Welt getestet, sie scheint über alle Kulturen hinweg zu existieren.

Wir Menschen tendieren also dazu, Aufgaben zu unterschätzen, mit denen wir in Kontakt kommen. Wenn wir uns in den Bereich der Softwareentwicklung oder Wissensarbeit begeben, sehen wir, dass wir uns dort regelmäßig damit selbst geißeln, weil wir eine Aufgabe unterschätzt haben. In Wahrheit ist das einfach nur nicht unsere Stärke. Es gibt eine Million Gründe, warum das nicht unsere Stärke ist, und ich könnte Stunden darüber reden.

Für Personal Kanban, genauso wie für Kanban, ist dieser Sachverhalt wichtig, da uns beide Vorgehensweisen erlauben zu messen, wie lange etwas wirklich gedauert hat. Basierend auf diesen Messungen kannst du in der Zukunft bessere Schätzungen durchführen, indem du deine Annahme, wie lange etwas dauern sollte, damit vergleichst, wie lange es wirklich gedauert hat. Das ist eine riesige Veränderung.

Eine weitere meiner Lieblings-Wahrnehmungsverzerrungen wird Grundirrtum der Zuordnung ("fundamental attribution error") genannt. Er besagt, dass unser Gehirn dazu tendiert, den letzten, den es zu einem Sachverhalt gesehen hat, für den Zustand der Sache verantwortlich zu machen. Stell dir vor, die Entwicklung vieler neuer Funktionen hat 250 Tage gedauert, das Testen dauerte 6 Tage. Wenn die Funktionen nicht rechtzeitig live gehen können, werden die Leute immer die Tester beschuldigen, da sie die letzten waren, die daran gearbeitet haben. Durch die Visualisierung wird dir Kanban eher dabei helfen, systemische Einsichten zu gewinnen, warum du mit dem Testen hinterher hängst, warum etwas geschieht oder warum bestimmte Aktionen bestimmte Effekte auslösen. Auf diese Weise hilft uns Kanban, unsere kognitiven Wahrnehmungsverzerrungen abzumildern und unseren Alltag realistischer zu planen.