Klimaziel: Schweden berücksichtigt als erstes Land weltweit "graue" Emissionen

Schweden ist das erste Land, das indirekte Emissionen in sein Klimaziel einrechnet – nämlich die, die beim Konsum ausländischer Güter entstehen.

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(Bild: cybrain/Shutterstock.com)

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Von
  • Hanns-J. Neubert
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Treibhausgasemissionen werden üblicherweise dem Land zugerechnet, in dem sie entstehen. Dieses sogenannte Territorialprinzip gilt dann auch für Emissionen von Produkten, die für den Export in andere Länder bestimmt sind. Länder mit hohem Exportüberschuss, wie beispielsweise China, fühlen sich dadurch verständlicherweise benachteiligt. Es ist also durchaus sinnvoll, die Emissionsbilanz der importierten Produkte nach dem Verbrauchsprinzip zu berücksichtigen. Mitunter macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man die Treibhausgasemissionen nach dem Territorial- oder dem Konsumprinzip berechnet.

Genau letzteres will Schweden jetzt in seine Klimaziele einbeziehen – als erstes Land der Welt. Das schwedische Klimagesetz von 2017 schreibt vor, dass sämtliche Treibhausgasemissionen bis 2045 bei Netto-Null ankommen.

Wenn das Königreich den Klimarucksack seiner Importe jetzt zusätzlich in die Klimabuchführung einberechnet, dann muss es seine Reduktionsmaßnahmen noch sehr viel ehrgeiziger angehen. Denn Schweden ist ein Waren-Importland. Rund 60 Prozent seines Klimagasausstoßes ist den sogenannten "grauen" Emissionen zuzurechnen, die im Ausland entstanden sind. Dazu zählen auch Flugreisen und Schiffstransporte von und nach Schweden. Im Exportland Deutschland ist die Lage dagegen ungefähr ausgeglichen: Die Treibhausgasemissionen von exportierten und importierten Waren gleichen sich in etwa aus.

Der Klimaausschuss des schwedischen Reichstags, Miljömålsberedningen, hat jetzt den 860 Seiten langen Plan "Schwedens globaler Klimaabdruck" tatsächlich mit allen acht Volksvertreterparteien so aushandeln können, dass ihm am Ende alle zustimmten – von den rechten Schwedendemokraten bis zur Linkspartei. Am 7. April übergab Emma Nohrén, die Vorsitzende des Umweltausschusses, das umfangreiche Papier in einer Pressekonferenz an die schwedische Ministerin für Umwelt und Klima, Annika Strandhäll.

Damit ist es jetzt an der Regierung, den Weg zu dem neuen, anspruchsvolleren Ziel so schnell wie möglich in Gesetze zu fassen und mit robusten Begleitmaßnahmen zu untermauern.

Eigentlich hätte der Vorschlag schon im Januar vorliegen sollen, doch die Verhandlungen gestalteten sich am Ende offenbar doch recht zäh. Abzulesen war das Anfang des Jahres an der zunehmenden Frequenz von Partei-, Fraktions- und Lobbyistenpressekonferenzen, in denen Interessengruppen auf den letzten Drücker noch versuchten, die Ziele zu verwässern oder zu verschärfen.

So verlangten Linkspartei und Grüne als simplen Weg zum Netto-Null-Ziel, pauschal den schwedischen Konsum insgesamt zu deckeln. Die bürgerlichen Parteien dagegen, angeführt von den Moderaten und der Zentrumspartei, wollten unbedingt die Emissionen der schwedischen Exporte ganz genau bilanziert haben, um sie später einfacher von den verbrauchsbedingten Importemissionen abziehen zu können. Dabei hatten sie natürlich den "grünen" Stahl im Sinn, hergestellt mit Wasserstoff über fast kostenlosen regenerativen Strom. Der soll spätestens ab 2026 weltweit mit dem Kohlestahl konkurrieren.

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Christofer Fjellner von den bürgerlichen Moderaten gehörte noch im Januar zu denen, die warnten, dass das Gremium Gefahr laufe, das gemeinsame Ziel zu verfehlen. Jetzt sagte er bei Vorstellung des Plans aber: "Es ist erstaunlich gut gelaufen. Es gibt eine breite Übereinstimmung, und darüber bin ich froh."

Der klima- und energiepolitischen Sprecher der Zentrumspartei, Rickard Nordin, blieb jedoch beharrlich: "Es ist schwierig, bei den verbrauchsbedingten Emissionen auf Null zu kommen. Wir können diese Lücke rechnerisch aber auch mit dem Klimanutzen füllen, den wir in anderen Ländern erzielen."

Doch genau diese Rechnung aufzustellen, erfordert einen immensen administrativen Aufwand. Denn dazu müssten die Emissionen für jedes einzelne Produkt bekannt sein und damit auch deren Industrieprozesse, die verwendeten Materialien, Produktzyklen, regionale Strukturen, Transportwege und Umwelttechnologien. Wie diese Rechenaufgabe gelöst werden soll, lässt das Papier noch offen.

Letzten Endes einigten sich die Parlamentarier auf zwei Hauptziele: Die verbrauchsbedingten Emissionen sollen, egal wo sie entstehen, drastisch verringert werden. Gleichzeitig soll die schwedische Umwelttechnologie und deren Export stärker gefördert werden. Nohrén sagte dazu: "Der Klimanutzen von Exporten hängt davon ab, inwieweit schwedische Produkte weniger klimafreundliche Produkte im Ausland verdrängen und dadurch die globalen Emissionen reduzieren können."

Selbst die immer äußerst kritische, 1909 gegründete schwedische Naturschutzvereinigung (Naturskyddsföreningen) mit über 200.000 Mitgliedern, begrüßte die Vereinbarung. Doch Karin Lexén, die Generalsekretärin, befürchtet, dass das Ziel nur schwer erreichbar sein wird, wenn die Regierung jetzt nicht sehr schnell politische Instrumente vorlege, wie das Ziel erreicht werden soll. "Bisher sind diese ["grauen"] Emissionen in den schwedischen Klimastatistiken unsichtbar geblieben", sagte sie gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur TT. Sie befürchtet, dass sich die neuen Klimaziele im Verlauf der Zeit aufweichen könnten. "Die Unfähigkeit des Rests der Welt, das Pariser Abkommen zu erfüllen, könnte zu einem geringeren Ehrgeiz bei unseren eigenen Klimazielen führen."

(jle)