Kommentar: Die Energiewende erfordert eine geopolitische Strategie

Die Welt könnte in vielen kleinen Katastrophen versinken, wenn wir den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen nicht geopolitisch managen.

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Kohlekraftwerk

(Bild: dpa, Julian Stratenschulte)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Beate Krol
Inhaltsverzeichnis
TR 7/2020

Weniger Kriege um Öl, weniger Abhängigkeiten von diktatorischen Staaten und den Despoten an ihrer Spitze, dafür bessere Chancen für sonnen- und windreiche Schwellenländer: Viele erhoffen sich von der Energiewende nicht nur eine klimafreundlichere, sondern auch eine friedlichere Welt. Doch wer sich darauf verlässt, dass es automatisch so kommt, dürfte enttäuscht werden.

Wie die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) in ihrem 2019 veröffentlichten Report "A New World. The Geopolitics of Energy Transformation" schreibt, wird die Energiewende die geopolitische Landkarte genauso stark prägen, wie es die fossilen Brennstoffe taten. Bedenkt man, dass Kohle, Gas und Öl zur Industrialisierung geführt haben und damit zur heutigen Weltordnung, wird klar, dass die Energiewende eine enorme geopolitische Dimension hat. Entsprechend muss sie geopolitisch gemanagt werden – mit neuen Kompromissen, die unter Umständen genauso unliebsam sind wie die alten.

Beate Krol arbeitet als freie Journalistin und findet es nicht vermessen, sich gleichzeitig eine Energiewende und Frieden zu wünschen.

(Bild: Privat)

Wirklich durchgesetzt hat sich diese Erkenntnis leider noch nicht. Das Green-Deal-Papier der EU enthält zwar eine kurze Passage zu den geopolitischen Gefahren und Folgen der Energiewende, sie ist jedoch vage und gut versteckt. Auch im Bundestag und bei den G7- und G20-Treffen spielt die geopolitische Seite der Energiewende keine große Rolle.

Dabei ist sie eine Herkulesaufgabe. Da sind zuallererst die 29 Staaten, die laut Weltbank von Öl, Gas und Kohle abhängig sind. Viele von ihnen sind undemokratisch regiert und ethisch schwierige Partner. Die Energiewende, so die Hoffnung, wird ihre Macht brechen, zum Segen ihrer Bevölkerungen und der Welt. Auf lange Sicht mag das so kommen. Vorher allerdings dürfte sich die Energiewende für viele Länder als Fluch entpuppen, denn die Autokraten und Despoten fallen nicht allein. Sie reißen ihre Staaten mit sich.

Nicht allen Öl- und Gasstaaten, aber doch vielen, drohen deshalb Bürgerkriege. "Wackelkandidaten, die in einem Dilemma stecken" nennt sie Transformationsforscher Andreas Goldthau vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung. Will man verhindern, dass ganze Regionen in Gewalt versinken, muss man ihre Rettung jetzt in die Wege leiten. Ein halbwegs friedlicher Übergang setzt nämlich den Aufbau neuer Wirtschaftszweige voraus.

Die Aufgabe wird schwer: Laut Michael Ross, Autor des Buchs "Der Öl-Fluch" und Professor an der University of California, hat es bisher noch kein von einem Rohstoff abhängiges Land geschafft, seine Wirtschaft erfolgreich umzustellen. Selbst in Saudi-Arabien, Oman, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Milliarden Dollar in neue Industriezweige, Infrastrukturprojekte, Forschungseinrichtungen und den Tourismus stecken, ist das Happy End nicht ausgemacht. Und da schon diese Länder Schwierigkeiten haben, heißt das nichts Gutes für deutlich ärmere Nationen. Man denke nur an das gut 200 Millionen Einwohner zählende Nigeria, wo 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus der Öl- und Gasproduktion stammen, oder den gut 42 Millionen Einwohner zählenden Irak, dessen Bruttoinlandsprodukt sich zu etwa 45 Prozent aus der Ölproduktion speist.

Weil die Staaten den Umbau allein nicht stemmen können, wird man trotz aller moralischen Bedenken weiter mit unliebsamen Regimen kooperieren und sie finanziell unterstützen müssen, sei es in Form von Krediten, Investitionen, Entwicklungshilfe oder Schuldenerlässen. Und bauen die betroffenen Länder dann mit solcher Unterstützung neue Wirtschaftszweige auf, müssen diese auch einen fairen Zugang zum Weltmarkt bekommen, sonst bringt auch die ambitionierteste Diversifizierung nichts. Das wird denen möglicherweise nicht gefallen, die die Märkte heute besetzen.

Ein anderer wichtiger Beitrag in Sachen geopolitisches Management wäre, wenn die reichen Staaten endlich Geld in Produktions- und Infrastrukturanlagen der potenziellen Solar-, Wind- und Wasserstoffmächte investieren würden. Wohlmeinende Energiepartnerschaften und Pilotprojekte reichen auf Dauer nicht. Reiche Länder müssen zudem den Umgang mit Schlüsseltechnologien bei erneuerbaren Energien überdenken. Sie zählt der Irena-Report zu den potentesten künftigen politischen Machtinstrumenten. Die Patente für diese Technologien halten Unternehmen aus den OECD-Staaten und China. Wenn die sonnen- und windreichen Schwellen- und Entwicklungsländer zu Exporteuren von Solar- und Windenergie sowie grünem Wasserstoff werden sollen, wird man ihnen die Patente zugänglich machen müssen.

Die betroffenen Unternehmen werden dann weniger verdienen. Wie sehr sie sich dagegen sträuben, sieht man bei Medikamenten. Es braucht also dringend abgestimmte Strategien – es sei denn, man will die Staaten weiter in gewohnter Manier ausbeuten: Marokko, Chile & Co. liefern billig Ausgangsstoffe, der Gewinn aus den Wertschöpfungsketten landet bei den OECD-Staaten und China.

Dringend Gedanken muss sich die Weltgemeinschaft auch um die künftige internationale Zusammenarbeit machen. Denn Energieautarkie hat eine Nebenwirkung, die gern unterschlagen wird: Sie fördert nationalen Egoismus. Dass die USA mit dem Aufblühen der Fracking-Industrie aus der Unesco, dem UN-Menschenrechtsrat, dem Pariser Klimaschutzabkommen und der WHO ausgestiegen sind und die WTO blockieren, ist kein Zufall, sondern ein Muster. Eine umfangreiche Datenanalyse von Michael Ross hat gezeigt, dass sich Staaten aus der internationalen Zusammenarbeit zurückziehen und zu aggressiverem Verhalten neigen, wenn sie energieautarker werden. "Sie haben keinen Grund, internationale Institutionen weiter zu unterstützen", so Ross. Auch wenn es sich bisweilen nicht so angefühlt hat – dass so viele Staaten auf Öl und Gas angewiesen sind und die Exportländer die Einnahmen brauchen, hat die Welt friedlicher gemacht.

Was ebenfalls gern übersehen wird: Das Ende von Öl und Gas ist nicht das Ende strategischer Rohstoffe. Für Solarzellen, Windräder und Batterien von E-Autos werden beispielsweise seltene Erden und Kobalt gebraucht. Sie kommen zum großen Teil aus China und der Demokratischen Republik Kongo. Auch wenn die Welt einen Engpass bei seltenen Erden und Kobalt besser verkraften kann, als es ihr heute beim Öl gelingt, haben die Staaten ein Druckmittel in der Hand. Mark Finley vom Baker Institute for Public Policy in Houston regt deshalb auch nationale Reserven für kritische Rohstoffe an. Außerdem fordert er Krisenpläne.

"Die Energiewende wird die globale Machtverteilung, die Beziehungen zwischen den Staaten und das Konfliktrisiko verändern", schreiben die Autorinnen und Autoren des Irena-Berichts. Noch haben wir die Chance, die Richtung zu bestimmen. Wenn wir es nicht tun, macht die weltweite Energiewende die Welt nicht zu einem besseren Ort, sondern wahrscheinlich zu einem schlechteren.

(grh)