Lauterbachs Pläne für die Gesundheitsdaten-Revolution auf der Zielgeraden

Am Donnerstag wird über Digital- und Gesundheitsdatennutzungsgesetz abgestimmt, um den Zugang zu Gesundheitsdaten zu vereinfachen. Die Pläne in der Übersicht.

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Arzt mit Stethoskop in der Hand

(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

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Mit mehreren Gesetzesvorhaben will die Bundesregierung die Digitalisierung des Gesundheitswesens beschleunigen und den Pharmastandort stärken. Aus Sicht von Datenschützern und Sicherheitsforschern geht das Vorhaben zulasten von IT-Sicherheit und Datenschutz. Am Donnerstag wird der Vorschlag in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beraten.

Zentraler Baustein des Projekts: die elektronische Patientenakte (ePA). Sie soll endlich genutzt werden. Theoretisch gibt es die ePA seit 2021, aber erst 892.134 gesetzlich Versicherte haben sie, wie aus dem TI-Dashboard der Gematik hervorgeht (Stand 13.12.2023). Die Patientenakte wird von der Krankenkasse angelegt und in der Telematikinfrastruktur des Gesundheitswesens gespeichert. Dort wird sie verschlüsselt auf Hochsicherheitssystemen gespeichert. Mit der ePA will das Gesundheitsministerium die Versorgung verbessern, Doppeluntersuchungen und Fehlmedikationen vermeiden. Was in der ePA landet, soll künftig aber auch der Arzneimittelforschung zur Verfügung stehen. Wer das alles nicht will, muss Widerspruch einlegen - wenn er kann. Was geplant ist – und warum die Pläne noch scheitern könnten.

Einer hat gut lachen: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Denn der Gesundheitsökonom, der vor zwei Jahren als Pandemie-Erklärer ins Gesundheitsministerium einzog, muss sich vorerst keine Gedanken machen. Seine Patientendaten werden nach dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz nicht verarbeitet und auch nicht mit Forschungsunternehmen geteilt. Denn Lauterbach ist, wie fast alle Beamten, privat versichert, und für Forschungszwecke sollen vorerst nur die Daten der gesetzlich Krankenversicherten zur Verfügung stehen. So will es Lauterbach, der seine Daten eigentlich gerne teilen würde, so steht es im Gesundheitsdatennutzungsgesetz.

Der Zugang zur ePA ist dabei so geregelt, dass die Patienten im Einzelfall den Zugriff über ihre elektronische Patientenakte erlauben müssen. Die Versicherten müssen für den Zugriff auf ihre ePA eine PIN eingeben. Jeder Zugriff wird dabei protokolliert, die Krankenkassen selbst haben keinen Zugang. Genutzt wird das System in der Praxis allerdings kaum. Bislang gibt es die elektronische Patientenakte nach dem Opt-In-Prinzip: Nur wer sie wirklich nutzen will, erhält sie auch. Ob Ärzte sie auch nutzen, ist ihnen überlassen. Als Hauptgrund dafür hat das Ministerium das "aufwendige Antragsverfahren" ausgemacht. "Auf der anderen Seite ist die ePA häufig nur unzureichend oder gar nicht in den Praxissystemen der Leistungserbringer integriert", sagt ein Sprecher des BMG. "Für Ärztinnen und Ärzte ist die ePA daher im Praxisalltag nur wenig relevant." Das soll sich nun ändern.

Die bisherige Bilanz der Nutzung digitaler Gesundheitsversorgung ist miserabel. Die Versicherten sehen bisher kaum einen Nutzen, die Ärzte füllen die ePA nur in Ausnahmefällen aus, und in den Abrechnungsdaten der Krankenkassen, die dort heute schon verfügbar sind, fehlen viele wesentliche Informationen. Auch deshalb werden je nach System weiterhin analoge Akten und digitale Zusatzlösungen von Arztpraxis zu Arztpraxis getragen – und das kostet das Gesundheitssystem viel Geld. Denn fehlt ein Laborbefund, ist ein Röntgenbild nicht vorhanden oder kann das Dokumentenformat vom neuen Arzt nicht geöffnet werden, ist eine erneute Untersuchung nötig – und die kann dauern. Zufrieden ist mit der aktuellen Situation niemand.

Der neue Ansatz für die elektronische Patientenakte sieht daher umfangreiche Änderungen vor: Sie soll für alle gesetzlich Versicherten als Standard kommen – und später auch für Mitglieder der privaten Krankenversicherung. Mit einem weiteren Änderungsantrag drohen Ärzten zudem Sanktionen, wenn ihre Praxis-IT 2025 nicht über ein Interoperabilitätszertifikat verfügt. Die Ampelkoalition will auch die Heilberufe zur Nutzung verpflichten: Ärzte aus Kliniken und Praxen müssen mit dem neuen Gesetz die Medikation, Arztbriefe, Befunde von bildgebenden Verfahren und Laborbefunde in die elektronische Patientenakte übertragen. Auch von Daten aus vorangegangenen Behandlungen der Versicherten ist dabei die Rede. Daten von Wearables und Fitnesstrackern sollen ebenfalls in die ePA fließen. Die Funktion für das 2024 flächendeckend geplante E-Rezept soll künftig auch in die ePA-App integriert werden. Bisher durfte nur die Gematik eine E-Rezept-App anbieten.

Die elektronische Patientenakte soll so für die Zukunft zum Dreh- und Angelpunkt der Behandlungen werden – und dem System viel Geld, den Krankenversicherten unnötige Untersuchungen und Behandlungsfehler sowie seit jeher Fehlmedikationen (er)sparen. Die Versicherten sollen von dem Wechselwirkungs-Check in der ePA und dem integrierten Medikationsplan profitieren.

Automatisiert soll im ePA-System erkannt werden, wenn zwei Medikamente, die vielleicht von unterschiedlichen Ärzten verschrieben werden, für den Patienten gefährlich sein können. Das BMG verspricht chronisch kranke Menschen durch das Zusammenspiel aus Behandlungsplan, elektronischem Medikationsplan (eMP) und E-Rezept Wechselwirkungen schneller erkennen zu können. Die Zahl der Menschen, die mehrere Medikamente parallel nehmen müssen, soll in den kommenden Jahren massiv ansteigen. Denn ältere Menschen haben statistisch deutlich häufiger mehrere Erkrankungen gleichzeitig als Jüngere. Und die Babyboomer-Generation ist bereits oder kommt in den nächsten sieben Jahren ins Rentenalter und damit in die kritische Lebensphase. "Wir werden dadurch nicht alle diese Fälle verhindern können", sagt SPD-Gesundheitspolitiker Mathias Mieves. "Aber mit einem ganz einfachen Mittel können wir sie deutlich herunterbringen."