Lebende Herzklappen sollen Babys Folgeoperationen ersparen​

Bisher gab es für Säuglinge mit Herzklappenschäden nur Ersatzklappen von toten Spendern ohne lebende Zellen. Sie wachsen nicht mit und müssen ersetzt werden.​

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(Bild: Marko Aliaksandr/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Dem kleinen Jungen gehe es ein Jahr nach der Operation gut, versichert Herzchirurg Joseph Turek vom Duke University Medical Center in North Carolina. Die neuen Herzklappen funktionierten gut und seien sogar etwas gewachsen. Letzteres ist keine Selbstverständlichkeit. Bisher gibt es für Babys und Kinder nur Ersatzklappen, die das Wachstum des Herzens nicht mitmachen können: Herzklappen von verstorbenen Spendern aus Gewebebanken, die keine lebenden Zellen mehr enthalten. Sobald sie zu klein geworden sind, muss man sie ersetzen. Das sei nicht nur eine große Belastung, so Turek, sondern bei jeder Operation mit hohen Risiken und einem jährlich um 15 Prozent steigenden Gesamtsterberisiko behaftet.

Die Aussichten des kleinen Jungen, der schwere angeborene Herzfehler hatte, seien besonders schlecht gewesen. Er brauchte nicht nur zwei neue Herzklappen. Dazu musste auch ein Loch in der Trennwand zwischen den beiden Herzhälften geschlossen werden. Zuguterletzt mussten die Chirurgen aus einem gemeinsamen Auslassgefäß am Herzen wieder zwei getrennte machen, damit sich das sauerstoffreiche Blut für den Körper nicht mit dem sauerstoffarmen vermischt. Tureks Team entschied sich deshalb für eine neue Strategie, um ihm die Folgeoperationen zu ersparen.

Die Ärzte verpflanzten dem Baby im Alter von 18 Tagen zwei lebende Herzklappen aus einem frischen Spenderherz eines anderen Neugeborenen. "Wir nennen es eine Teilherz-Transplantation", sagt Turek. Vielleicht etwas hochgegriffen, zumal sie dieselbe Operationstechnik nutzten, mit der auch tote Herzklappen eingesetzt werden, aber es soll zeigen, dass es sich um lebendes Gewebe handelt. Mit den Klappen wurde auch ein Stück der angrenzenden Arterien verpflanzt, was das Einnähen erleichtert. Die Ärzte haben den Fall im Fachjournal Journal of the American Medical Association veröffentlicht.

Genau deshalb braucht der kleine Empfänger allerdings auch ein Medikament, das sein Immunsystem bremst und es davon abhält, die neuen Klappen abzustoßen. "Statt der vollen Dosis von zwei immunsuppressiven Medikamenten brauchen wir aber nur die halbe Dosis von einem", sagt Turek. Die Gefahr eine Abstoßung der Herzklappen hält der Herzchirurg für relativ gering: "Wir denken, dass sie ziemlich – man nennt es immunprivilegiert – sind. Wir glauben nicht, dass sie in demselben Maß für Abstoßung sorgen wie ein ganzes Herz." Trotzdem sind sie nötig. Allerdings muss man natürlich jeweils passende Spender finden.

Der Herzchirurg hofft, dass die neuen Herzklappen sehr lange halten, viel länger als ganze Spenderherzen. "Wenn wir einem Neugeborenen ein neues Herz verpflanzen, hält das nur etwa 20 Jahre", sagt Turek. Das liege allerdings am Herzmuskel, der langsam versagt, nicht an den Herzklappen, die dann immer noch fit seien. Insgesamt wurden bislang 13 Kinder im Alter von bis zu drei Jahren mit der neuen Methode operiert, neun davon durch Tureks Team.

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Die neue Methode hat auch die Möglichkeit von sogenannten Domino-Transplantationen eröffnet, sagt der Herzchirurg. Braucht ein Kind mit schwerer Herzmuskelschwäche ein neues Herz, seien die Herzklappen meist noch in einem guten Zustand. Sie könnten gespendet werden, sobald das Kind ein neues Spenderherz erhält. Manchmal gingen die Herzklappen dabei an verschiedene Empfänger, sodass ein neues Herz durch den Domino-Effekt zwei oder mehr Leben retten kann. Es bedeutet auch, dass Kinder mit lebensbedrohlichen Herzklappenfehlern nicht auf ein komplett gesundes neues Herz warten müssen.

"Der Vorteil der neuen Methode ist, dass die Klappen als lebendiges Material theoretisch mitwachsen können", sagt Arjang Ruhparwal, Leiter der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover. "Ob sie mitwachsen, muss man im Langzeitverlauf schauen. Es ist immer so undankbar bei Herzklappen, weil man dann erst zehn, 20 Jahre später weiß, ob das, was man sich da überlegt hat, auch zutrifft."

Der wesentliche Nachteil sei allerdings, "dass man das Immunsystem wie bei einer Herztransplantation unterdrücken muss." Ruhparwal ist nicht überzeugt, dass die Herzklappen mit dem angrenzenden Gefäßstück nur ein geringes Abstoßungsrisiko haben. "Ob das so ist, das muss man in Studien zeigen. Es wird im Grunde ein lebendiges, fremdes Herzgewebe implantiert und dieses wird genauso abgestoßen, als wenn man ein ganzes Herz nimmt", sagt der Herzspezialist. Es sei wichtig zu zeigen, dass es sich bei den bisherigen Fällen nicht um Zufall gehandelt hat.

Tatsächlich plant Tureks Team eine klinische Studie mit Säuglingen, die jeweils eine neue Herzklappe brauchen. Sie soll mindestens zwei Jahre laufen und zeigen, dass die Methode mitwachsende Herzklappen ermöglicht und eine geringere Immunsuppression ausreicht.

(jle)