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Microsoft und Novell kooperieren

| Dr. Oliver Diedrich

Microsoft empfiehlt ab sofort den Suse Linux Enterprise Server. Die Interoperabilität zwischen Linux und Windows vor allem in virtualisierten Umgebungen soll verbessert werden. Hinzu kommt ein Schutz vor Patentansprüchen seitens Microsoft.

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Novell-Chef Ron Hovsepian und Steve Ballmer von Microsoft.

Dieser Tage wird der Linux-Markt ordentlich durchgeschüttelt. Nachdem Oracle letzte Woche angekündigt hatte, eine eigene Version von Red-Hat-Linux [1] zu vertreiben, platzte am heutigen Freitag die nächste Bombe: Microsoft und Novell kooperieren – bis zum Jahr 2012 zumindest. Wie Holger Dyroff, Vizepräsident für Produktmanagement und Marketing Suse Linux bei Novell, im Gespräch mit heise open sagte, ging die Initiative zu der Kooperation von Novell aus. An den Details habe man monatelang gefeilt.

Microsoft und Novell wollen in einem gemeinsamen, noch einzurichtenden Labor an technischen Lösungen arbeiten, um die Interoperabilität zwischen dem Windows Server und Suse Linux Enterprise Server (SLES) zu verbessern – gegenseitige Virtualisierung, vereinheitlichtes Management, Active-Directory-Integration und Dokumentenaustausch via OpenDocument Format (ODF) und OpenXML stehen auf dem Programm. Die IT-Welt applaudiert: Von Intel-Chef Ottelini bis AMD-Chef Ruiz, von Dell-CTO Kevin Kettler bis Shai Agassi von SAP, von HP bis IBM, alle freuen sich über mehr Interoperabilität zwischen Linux und Windows, Erleichterungen beim Betrieb gemischter Umgebungen, mehr Freiheit bei der Wahl der Betriebssystemplattform und mehr Akzeptanz für offene Standards.

Zudem stellt das Abkommen zwischen Microsoft und Novell die Unternehmen und ihre Kunden von wechselseitigen Patentansprüchen frei – und nicht nur die: Auch die Open-Source-Community soll nun keine Angst vor Patentklagen durch Microsoft mehr haben müssen. Und um dem Ganzen das i-Tüpfelchen aufzusetzen: Microsoft wird Kunden zukünftig den SLES anbieten; Novell spricht in seiner Pressemitteilung von einer "Vielzahl gemeinsamer Marketingaktivitäten".

Verkauft und bewirbt Microsoft jetzt also eine Linux-Distribution? Ganz so weit geht man dann doch nicht: Microsoft-Chef Steve Ballmer betonte bei der Vorstellung der Kooperation, dass sein Unternehmen seinen Kunden nach wie Windows für alle Lebenslagen nahelegt. Aber: Microsoft wird ganz offiziell den SLES empfehlen, wenn ein Kunde partout Linux einsetzen will, und wird Novell bis zum Jahr 2012 70.000 SLES-Gutscheine pro Jahr abnehmen, um sie an Kunden weiterzugeben. Holger Dyroff bezeichnete gegenüber heise open die damit verbundene Stärkung der Wettbewerbsposition seines Unternehmens als wichtigsten Vorteil der Kooperation für Novell. Kein Wunder: Microsoft als Vertriebschannel für Suse Linux, das eröffnet neue Möglichkeiten.

Und was hat Microsoft davon? Interoperabilität lautet das Schlagwort. Michael Groezinger, National Technology Officer Microsoft Deutschland, betonte im Gespräch mit heise open, dass die meisten Kunden in großen Unternehmen heterogene Umgebungen einsetzen – und das sollen sie am besten "auf unserer Plattform" tun. Im Zentrum der technischen Zusammenarbeit steht daher die Virtualisierung. Die beiden Unternehmen wollen sicherstellen, dass der SLES virtualisiert unter der kommenden Generation des Windows Server läuft (im Sommer hattte man bereits eine Kooperation mit XenSource [2] angekündigt mit dem Ziel, dass Longhorn xenisierte Linux-Instanzen in virtuellen Maschinen ausführen kann). Eine Reihe wichtiger Entwickler im Xen-Projekt – der kommende Standard [3] für Virtualisierung unter Linux – steht bei Novell auf der Gehaltsliste.

Die Vereinbarung mit Novell geht aber darüber hinaus. Wie Dyroff erklärte, zielt die Kooperation darauf ab, auch Windows paravirtualisiert in einer virtuellen Maschine (VM) unter Linux laufen zu lassen. Das erfordert Anpassungen an Windows, sorgt aber für eine bessere Performance als eine vollständige Virtualisierung à la Vmware, wo die Gastsysteme unmodifiziert laufen. Letztlich hätte der Kunde damit die Wahl, ob er als Hostsystem Windows Server oder SLES einsetzt: Unter beiden Wirtssystemen werden Windows wie Linux perfomant als Gast in einer VM laufen. Laut Dyroff soll der Novell Open Enterprise Server (OES) im nächsten Jahr sowohl Windows als auch Netware paravirtualisiert als Gastsystem ausführen können.

Bei der gegenseitigen Virtualisierung, ergänzte Andreas Hartl, Leiter Plattform Strategie bei Microsoft Deutschland, geht es auch um Fragen des geistigen Eigentums (intellectual property, kurz IP), die bei der Implementierung der Schnittstellen berührt sind. Die technische Zusammenarbeit, so Hartl, geht zudem über die gegenseitige Virtualisierung hinaus: Ein weiteres Entwicklungsziel ist die Verwaltung vor allem der virtuellen Systeme via Web Services. Laut Dyroff will Novell dazu auch seine Managementlösung Zenworks auf Web Services umstellen. In einem gemeinsamen offenen Brief an die Open-Source-Community [4] heißt es, Novell werde Tools zur Verwaltung von Windows-VMs entwickeln und Microsoft Tools zur Verwaltung von Linux-VMs.

Ein dritter Punkt, so Hartl, bei dem Windows und SLES interoperabel werden sollen, ist Microsofts Active Directory. Ziel ist es, in einer Directory-Struktur Windows- und Linux-Maschinen abzubilden. Novells eigenes eDirectory soll sich leicht mit einem Active Directory verbinden lassen.

Ein weiterer Aspekt von Interoperabilität, der Anwender beim Einsatz gemischter Linux- und Windows-Umgebungen besonders schmerzt, sind inkompatible Dokumentenformate. Hier soll die Arbeit an einem Tool vorangetrieben werden, das zwischen dem Open Document Format (ODF) und Microsofts OpenXML-Format übersetzt. Dyroff hält auch entsprechende Import- und Exportfilter in MS Office und OpenOffice für möglich. Über den Dokumentenaustausch hinaus, so Dyroff, gebe es in Richtung Desktop allerdings keine Vereinbarungen oder auch nur Absichten.

Grundsätzlich, so Hartl gegenüber heise open, könne sich Microsoft durchaus vorstellen, auch mit anderen Anbietern ähnliche Abkommen in Sachen Interoperabilität zu schließen – sie müssten nur nachfragen. Konkrete Gespräche gebe es derzeit allerdings nicht. Red Hat zumindest hat schon abgewinkt: In seinem Kommentar [5] zu dem Novell-Microsoft-Abkommen erklärt das Unternehmen, Interoperabilität sei eine Angelegenheit offener Standards und bedürfe keiner bilateraler Absprachen zwischen zwei Unternehmen.

Das zweite große Thema der Vereinbarung sind Patente. Seit Jahren schon geht in der Open-Source-Szene die Angst um, Microsoft könnte sein Partentportfolio gegen Open-Source-Software einsetzen. Vor allem rund um das Mono-Projekt wurde (und wird) über diese Gefahr diskutiert [6] – auch wenn bis heute kein einziger Fall bekannt geworden ist, in dem MS mit Patentklagen gegen ein Open-Source-Projekt oder einen Anbieter vorgegangen wäre.

Jetzt haben Novell und Microsoft vereinbart, dass sie keine Patentansprüche gegeneinander oder gegen die Kunden des anderen geltend machen wollen. Dabei geht es vor allem um drei Projekte: OpenOffice, Samba und – natürlich – Mono, dessen Entwicklung als .NET-kompatible Entwicklungsumgebung von Novell massiv vorangetrieben wird. In all diesen Bereichen hält Microsoft einschlägige Patente. Laut Holger Dyroff von Novell ist die Angst vor möglichen Patentansprüchen ein Argument, das (potenzielle) Kunden immer wieder vorbringen – wobei Novell selbst freilich keineswegs mit leeren Händen da steht: Vor allem im Bereich Netzwerke, aber auch bei Office-Anwendungen verfüge sein Unternehmen über wichtige Patente, so Dyroff.

Derartige Vereinbarungen nach dem Motto "Tust du mir nichts, tu ich dir nichts" sind im IT-Markt durchaus üblich, auch wenn meist nicht laut darüber gesprochen wird. Zwischen Novell und Microsoft wird im Rahmen der Patentvereinbarung Geld fließen: Beide Unternehmen leisten eine Vorauszahlung für die gegenseitige Freistellung von Patentansprüchen; und da die Redmonder mit ihren Produkten einen deutlich höheren Umsatz machen, fällt ihre Zahlung höher aus. Andererseits verpflichtet sich Novell zu Lizenzzahlungen für die verkauften Open-Source-Produkte. Wie bei solchen Deals üblich, bewahren beide Seiten Stillschweigen über die genauen finanziellen Details.

Darüberhinaus verspricht Microsoft, weder individuelle "nicht-kommerzielle" Open-Source-Entwickler noch Personen, die zu Novells Open-Source-Distribution OpenSuse [7] beitragen, mit Patentansprüchen zu verfolgen. Dyroff sieht darin eine massive Verbesserung der Lage für die Open-Source-Community insgesamt: "Die Rechtssicherheit für Novell-Kunden hat sich verbessert. Am wichtigsten ist aber der Schutz für Entwickler, die zu Open-Source-Projekten beitragen."

Für niemanden sei die Situation jetzt schlechter als vorher, so Dyroff. Zumindest Novell-Wettbewerber dürften das etwas anders sehen: Red Hat beispielsweise hat schon reagiert und eine erweiterte Entschädigungsregelung für seine Kunden im Fall von Patentklagen angekündigt. Offenbar befürchtet man Wettbewerbsnachteile durch die Vereinbarung zwischen Novell und Microsoft. Und eines zumindest ist klar: Wer mit Open Source Geld verdient und weder bei Novell angestellt ist noch seinen Code in das OpenSuse-Projekt einbringt, profitiert nicht von dem Abkommen.

Der bereits in einigen Kommentaren geäußerten Befürchtung, Microsoft könne jetzt alle anderen Open-Source-Anbieter mit Patentklagen überziehen, tritt Andreas Hartl entgegen: Microsoft habe nicht vor, sein defensives Verhalten in Sachen Patente zu ändern. Allerdings sieht er die Vereinbarung mit Novell als "Präzedenzfall dafür, dass ein Schutz von geistigem Eigentum notwendig ist". Bislang habe die Open-Source-Community dieses Problemfeld ignoriert; Novell habe jetzt anerkannt, dass IP auch bei Open Source ein Thema ist.

An diesem Punkt hagelte es allerdings auch Kritik. Während SCO mit seinen Versuchen, Lizenzgebühren von Linux-Anwendern einzufordern, gerade baden gehe, führe jetzt Novell Lizenzzahlungen für Linux ein, interpretiert beispielsweise der Open-Source-Aktivist Bruce Perens das Abkommen. Groklaw [8], unermüdlicher Beobachter (nicht nur) des SCO-Prozesses, setzt seinen Bericht über das Novell-Microsoft-Abkommen unter die Überschrift: "Ausverkauf bei Novell".

Eben Moglen, Anwalt der Free Software Foundation, bringt einen ganz anderen Aspekt ins Spiel. Er sieht in der Absprache einen Konflikt mit der GPL, unter der der Linux-Kernel und zahlreiche Linux-Anwendungen stehen. Paragraph 7 der GPL sagt ausdrücklich, dass eine GPL-Software, bei der die durch die GPL garantierten Freiheiten (freie Nutzung und unmodifizierte oder modifizierte Weitergabe) durch andere (beispielsweise Patent-) Ansprüche eingeschränkt werden, gar nicht mehr weitergegeben werden darf. Das heißt: Sobald irgendjemand Patentansprüche gegen eine GPL-Software erhebt, darf niemand mehr diese Software weiterverbreiten – egal, ob ein Freistellungsabkommen existiert oder nicht. (odi [9])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-222001

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/Oracle-will-den-Linux-Markt-aufrollen-Update-221993.html
[2] http://www.heise.de/open/news/meldung/75587
[3] http://www.heise.de/open/news/meldung/76972
[4] http://www.novell.com/linux/microsoft/openletter.html
[5] http://www.redhat.com/promo/believe/
[6] http://www.heise.de/open/news/meldung/68162
[7] http://www.opensuse.de
[8] http://www.groklaw.net
[9] mailto:odi@ix.de