Missing Link: Bis ans Ende der Zeit – die Geschichte unseres Universums, Teil 1

Vor 13,8 Milliarden Jahren begann die Geschichte unseres Universums. Im vorletzten Teil der Kosmologie-Reihe blicken wir darauf, was seitdem geschehen ist.

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Die Entwicklung des Universums bis heute.

(Bild: ESO/M. Kornmesser, CC BY 4.0)

Lesezeit: 29 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wie groß ist das Universum? Woraus besteht es? Wie ist es entstanden und wie wurde es so, wie wir es heute kennen? Mit diesen Themen beschäftigt sich die Kosmologie, die Lehre von der Entstehung und Entwicklung des Universums. Sie ist derzeit eine der spannendsten Disziplinen der Naturwissenschaft und sie spannt einen Bogen von der Physik des Allerkleinsten zu den größten Strukturen, die wir kennen. In dieser Reihe möchte ich den derzeitigen Stand des Wissens skizzieren und darlegen, warum die große Mehrheit der Kosmologen scheinbar so absurden Ideen anhängt wie etwa, dass leerer Raum eine abstoßende Gravitation habe, dass das Universum aus dem Nichts entstanden sei, und dass wir den Stoff, aus dem 95 Prozent des Universums bestehen, noch nie gesehen haben. In den letzten beiden Teilen der Serie beschäftigen wir uns mit der Evolution des Universums bis in die fernste Zukunft und starten mit einem Rückblick.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wenn man älter wird, wird einem zunehmend bewusster, dass alles vergänglich ist, insbesondere die eigene Existenz. Hat man in jungen Jahren noch alle Zeit der Welt und erscheinen einem Jahre als sehr lange Zeiträume, so wundert man sich in der zweiten Lebenshälfte zunehmend, wie lange Ereignisse, die doch erst "neulich" passierten, tatsächlich zurückliegen. Die Euro-Krise, das Jahr-2000-Problem, der Tod von Lady Diana Spencer, der Fall der Mauer, das Misstrauensvotum gegen Kanzler Schmidt, die Entführung der Lufthansa-Boeing "Landshut". Und dass unbequeme, verdrängte Ereignisse, die in der Zukunft liegen, wie die schwierige Dienstreise, die unangenehme Untersuchung, der Verlust der Eltern – sowie schließlich der eigene Tod unabwendbar näher rücken, und uns schließlich einholen. "Learning that we're only immortal for a limited time" – wir lernen, dass wir nur für eine begrenzte Zeit unsterblich sind, wie es "Professor" Neil Peart von der kanadischen Band Rush getextet hat, der nun leider auch schon von uns gegangen ist.

Angetrieben von der erbarmungslos ansteigenden Entropie werden wir und alles um uns herum vom Zeitpfeil unaufhaltsam mit in die Zukunft gerissen, in der wir nie ankommen. Unser Universum wird insgesamt nicht so bleiben, wie es ist, und die Kosmologie erlaubt uns heute einen Ausblick, wie es sich voraussichtlich weiter entwickeln wird. Anscheinend erlebt es aktuell seine beste Zeit und die Zukunft wird düster werden. Das Ende von allem, was wir kennen, wird unvermeidlich sein. Aber es ist auch unvorstellbar fern.

Doch bevor wir uns in die Abgründe der Zukunft stürzen, möchte ich mit einem Rückblick beginnen, so wie ihn uns die Kosmologie im ΛCDM-Modell lehrt.

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Die unendliche Geschichte unseres Universums beginnt rund 13,8 Milliarden Jahre vor der Jetztzeit abrupt und brachial. Wir wissen nicht genau, was der Anlass war und werden es womöglich nie ergründen. Die ersten Sekundenbruchteile sind für uns zurzeit nicht experimentell nachvollziehbar, aber ein möglicher Ablauf könnte in Extrapolation der bekannten Naturgesetze etwa so ausgesehen haben: Aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation, die im Mikrokosmos verbietet, dass alle physikalischen Größen einen konstanten Wert, wie etwa 0 annehmen, entstand aus einer Quantenfluktuation der Raumzeit aus Nichts spontan ein minimal kleines Volumen vom Durchmesser einer Planck-Länge (ca. 10‑33 cm), noch Hunderttausendmal kleiner im Verhältnis zu einem Proton als dieses im Verhältnis zu uns.

So, wie es wohl schon unzählige Male geschehen war, bevor das Volumen stets nach wenigen Planck-Zeiten von 10-44 s wieder kollabierte und spurlos verschwand, um sofort wieder zu erscheinen. Mal etwas größer, mal kleiner, mal mit mehr Vakuumenergie, mal mit weniger, wie der Zufall es gerade wollte.

Aber dieses Mal war alles anders. Denn das winzige Volumen von 4·10-99 cm³ hatte diesmal eine immense Vakuumenergie mit einem Masseäquivalent von 0,0000000000000000004 (4·10-19) Gramm, was jedoch in dem submikroskopischen Volumen eingeschlossen einer Dichte von 1050 Sonnenmassen pro Kubikzentimeter entsprach – weitaus dichter als die Masse des gesamten beobachtbaren Universums auf einen Kubikzentimeter komprimiert, entsprechend einer immensen Temperatur von 100 Quadrilliarden Kelvin – kurz 1029 K. Aber es war doch nur ein Quäntchen eines "falschen" Vakuums, mithin nichts als leerer Raum, der gemäß den Gesetzen der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht anders konnte, als mit immenser Wucht auseinander zu bersten, mit einer Vehemenz jenseits menschlicher Vorstellungskraft.

Während nur 10-35 Sekunden wuchs es um einen Faktor von wenigstens 1030 an, so als ob ein Wasserstoffatom in diesem Bruchteil eines Augenblicks auf 30.000 Lichtjahre aufgeblasen würde. Vielleicht war dieses Wachstum aber auch schon seit Urzeiten im Gange und produzierte fortwährend mit dieser abartigen Geschwindigkeit Raum in unerschöpflicher Menge – wir wissen es nicht.

Wie auch immer, das inflationäre Wachstum kam an mindestens einem Punkt zum Ende und fiel stattdessen auf ein wesentlich gemächlicheres Expansionstempo der heutigen, viel kleineren Vakuumenergie zurück. Die im falschen Vakuum verborgene Vakuumenergie wurde als Strahlung frei und heizte das neue, echte Vakuum um den Faktor 100.000 auf (von 1022 K auf 1027 K). Das Higgsfeld landete dabei wie eine Roulettekugel auf einem Wert, der für uns einen Hauptgewinn bedeutete und uns die fein abgestimmten Naturkonstanten bescherte, die unsere Welt erst ermöglichten.

Ähnliches war "vorher" oder "anderswo" möglicherweise schon unzählige Male passiert. Dies sind Begriffe, die nur in einem Multiversum sinnvoll sind, da sie sich auf Zeiten und Orte außerhalb unseres Universums beziehen, dessen Raumzeit mit dem Urknall erst begann. Aber das Higgsfeld hatte meistens nur eine expandierende, von formloser Strahlung erfüllte Blase hervorgebracht, in der außer Abkühlung nichts weiter passierte. Oder es entstanden nur Teilchen, die nicht miteinander interagieren konnten und ihre eigenen Wege gingen, unfähig, Bindungen miteinander einzugehen und Strukturen aufzubauen. Wie etwa Universen voller Dunkler Materie.