Missing Link: Ein Zufall namens Stanisław Lem

Seite 3: Die Geschichte vom Supercomputer Golem

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Die Geschichte vom Supercomputer Golem, die erstmals 1973 und später überarbeitet 1983 erschien, entfernt sich noch mehr vom Genre der Science Fiction. Golem hat die Klugheitsbarriere durchbrochen und besitzt eine eigenständige Vernunft. Golem hält für Menschen eine Vorlesung über die Entwicklung der Menschheit ab. Er kommuniziert noch mit den Menschen in einer dem Menschen verständlichen Sprache. Eine bessere Version von Golem ist Annie. Sie lehnt den Kontakt mit den Menschen ab und kommuniziert ausschließlich mit anderen Supercomputern. "Die künstliche Vernunft hat innerhalb der ihr vorgegebenen Entwicklung die Stufe der militärischen Probleme hinter sich gelassen, und diese Anlagen haben sich aus Militärstrategen in Denker verwandelt."

Es gibt in diesem Werk von Lem eine gewisse Ähnlichkeit der von Golem ausgedachten Evolutionstheorie mit dem egoistischen Gen von Richard Dawkins, der bei der Lektüre irritiert. Schließlich entstand das Buch im Jahre 1973, während Dawkins mit seinen Thesen 1976 bekannt wurde. Es mag damit zusammenhängen, dass Stanisław Lem begann, sich von der Buchproduktion abzuwenden und sozialdarwinistischen Thesen den Vorzug zu geben.

In den 80er- und 90er-Jahren war er weniger Autor denn Kulturkritiker. Als Beispiel kann man diesen Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1992 lesen: Operation Sex Wars – Stanislaw Lem über Strategien gegen Aids, Überbevölkerung und Klimakatastrophen. Auch dem Internet stand der späte Lem recht kritisch gegenüber, wie hier zu lesen ist: "Das Internet bietet weder einen Wegweiser zur Hölle noch die "endgültige Lösung" unserer Probleme. Das Neugeborene, welches noch in Windeln steckt, wird uns höchstwahrscheinlich nicht erwürgen. Es wäre aber klüger, diesen Sprößling, während er aufwächst, an der Kandare zu halten und misstrauisch zu beobachten, sonst kann er uns recht peinlich gedeihen. Aber da ich hier bereits vom 21. Jahrhundert rede, muss ich verstummen."

Auch dieser Text ist in einer gewissen Weise stumm: Mangels Verständnis fehlen die Kriminalromane von Stanisław Lem. Keine Frage ist jedoch, dass Lem als Autor der Bücher und als Futurologe seinen Platz als wichtiger Anreger zu den stattfindenden Entwicklungen dieses Jahrhunderts einnimmt.

(bme)