Missing Link: Ende des Physik-Standardmodells? Was die Myonen-Anomalie bedeutet

Seite 2: Was die Anomalie bedeutet

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Was bedeutet das Fortbestehen der Anomalie? Hochpräzise Messungen bei niedriger Energie, wie diese, ergänzen die Hochenergiephysik. Beide können ähnliche Informationen liefern, da im Prinzip alle physikalischen Effekte, die es bei hohen Energien gibt, auch bei niedrigen Energien auftreten. Es ist nur so, dass bei niedrigen Energien die Effekte sehr klein sind. Für das Myon g-2 geht es um eine Diskrepanz zwischen Experiment und Theorie in der 11. Stelle nach dem Komma.

In der Praxis bedeutet das, dass man für die Vorhersagen viele winzige Beiträge sehr genau berechnen muss, um die erforderliche Genauigkeit zu erreichen. In der Teilchenphysik werden diese Rechnungen unter Verwendung von Feynman-Diagrammen durchgeführt. Das sind kleine Zeichnungen mit Knoten und Verknüpfungen, die Teilchen und ihre Wechselwirkungen beschreiben. Sie sind ein mathematisches Werkzeug, um aufzulisten, welche Integrale berechnet werden müssen.

Je genauer die Berechnungen sein sollen, desto mehr und größere Diagramme müssen berücksichtigt werden. Für das g-2 wurden mehr als fünfzehntausend Diagramme berechnet. Und obwohl Computer bei der Aufgabe sehr hilfreich sind, sind die Berechnungen schwierig geblieben. Eine besondere Herausforderung sind dabei die hadronischen Beiträge. Hadronen sind Teilchen, die sich aus mehreren Quarks zusammensetzen. Sie werden von Gluonen zusammengehalten. Die Berechnung dieser hadronischen Beiträge zum g-2-Wert ist notorisch kompliziert. Es ist derzeit die größte Fehlerquelle auf der theoretischen Seite. Aber auch eine Reihe anderer Messungen spielen eine Rolle für die Genauigkeit der Vorhersage, denn sie hängen von den Werten anderer Konstanten ab, wie zum Beispiel den Massen der Leptonen und den Kopplungskonstanten.

Die Diskrepanz könnte daher einfach bedeuten, dass etwas mit der Rechnung nicht stimmt. Die hadronischen Beiträge sind schon lange die Hauptverdächtigen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Schwachstelle das Standardmodell selbst und nicht die Rechnung ist. Es könnten durchaus neue Teilchen sein – supersymmetrische Partner der bekannten Teilchen sind die derzeit beliebteste Erklärung. Das Problem mit dieser Erklärung ist, dass die Supersymmetrie an und für sich kein Modell ist – sie ist lediglich eine Eigenschaft einer großen Anzahl von Modellen, und die genauen Vorhersagen sind von Modell zu Modell unterschiedlich. Die g-2-Beiträge hängen nämlich unter anderem von den unbekannten Massen der hypothetischen supersymmetrischen Teilchen ab. Es ist daher derzeit nicht möglich, die Anomalie eindeutig der Supersymmetrie zuzuschreiben.

Die neue hochpräzise Messung des magnetischen Moments am Fermilab ist eine bemerkenswerte experimentelle Leistung. Aber es ist zu früh, um das Standardmodell abzuschreiben.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung der Autorin. Das englische Original ist im Scientific American erschienen.

(mho)