Mutterzellen

Zwei Arbeitsgruppen aus Kanada und Australien berichten, dass sie die begehrten Stammzellen aus Brustgewebe gewonnen haben.Eine der beiden Gruppen ließ sogar aus einer einzelnen kleinen Zelle eine voll funktionsfähige Brustdrüse nachwachsen.

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Von
  • Edda Grabar
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Nun haben sie sie endlich. Ihre erste Stammzelle. Eindeutig isoliert und gekennzeichnet. Sie entstammt dem Brustgewebe von erwachsenen Mäuseweibchen. Hat nichts mit Klonen und Embryonen zu tun – und ist deswegen ethisch völlig unbedenklich. Seit Jahren schon wissen Forscher von diesen "Urzellen" im Blut, der Leber, im Gehirn aber eben auch im Brustgewebe von Menschen und Mäusen, die sich noch in die verschiedenen Zelltypen ihres Gewebes verwandeln können. Nur: Sehen konnten sie sie nicht. Bis jetzt.

Diese Woche berichten gleich zwei Arbeitsgruppen aus Kanada und Australien im Magazin "Nature", dass sie nicht nur die begehrten Stammzellen aus dem Brustgewebe gewonnen und eindeutig identifiziert haben, die Kanadier ließen sogar aus einer einzelnen kleinen Zelle eine voll funktionsfähige Brustdrüse nachwachsen. Dies sei nach ihrem Kenntnisstand das erste Mal, dass ein vollständiges Organ aus einer einzelnen im Gewebe vorliegenden Stammzelle wieder hergestellt werden konnte, schreiben Mark Shackleton vom Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research Institute in Victoria. Und es eröffnet Wissenschaftlern und Medizinern mannigfaltige neue Forschungsansätze. Nun können sie im Detail zum einen studieren, wie wohl so eine Stammzelle kontrolliert, an und wieder abgeschaltet wird, was beim Wachstum der Brust vor sich geht und welche Faktoren bei Brustkrebs eine Rolle spielen. Für Forscher, die Gewebe züchten, ergeben sich aber noch weitere Visionen: Möglicherweise lassen sich in weiter Zukunft Testgewebe erzeugen, um neue Medikamente zu erproben.

Stammzellen – davon gehen die Experten heute aus – ruhen in fast jedem Gewebe. Im Brustgewebe galt ihre Existenz jedoch als gesichert. Schließlich beginnen die Brustdrüsen unvermittelt nach ganz bestimmten äußeren Reizen aktiv zu werden: In der Pubertät und während der Schwangerschaft. Bis dahin ruhen die Anlagen für die Brustdrüsen. Lediglich ein paar Drüsengang-Anlagen und das dazugehörige Fettgewebe sind bereits vorhanden. Das erste Mal während der Pubertät geben die weiblichen Hormone Östrogen und der so genannte epidermale Wachstumsfaktor den Startschuss zur Ausbildung der Drüsengänge. Die Schwangerschaftshormone, vor allem das Prolaktin, steigern den Effekt noch und füllen den gesamten Brustbereich mit Milch abgebenden Zellen aus. Sobald jedoch das Prolaktin ausbleibt, sterben die Zellen durch gezielten Suizid innerhalb von 24 bis 48 Stunden ab und die Brustdrüsen bilden sich zurück. "Und das wiederholt sich bei jeder Schwangerschaft - es muss also irgendwo Vorläufer geben, die sich in verschiedene Zelltypen ausbilden können", sagt Bernd Groner und Leiter des Georg Speyer-Hauses der Universität Frankfurt.

Dass die Fahndung nach den Stammzellen in der Brust nun gelang, haben die Forscher nicht nur ihrer unermüdlichen Suche, sondern auch neuer Techniken zu verdanken. Sie entnahmen zwei bis drei Wochen alten Mäusen alle Zellen, die für die Ausbildung des Brustgewebes verantwortlich sind, bis nur noch ein kleines Fettpölsterchen übrig blieb. Anschließend kamen so genannte High-Speed-Zellsortierungsmaschinen zum Einsatz. Mit ihnen markierten die Wissenschaftler nach dem Ausschlussprinzip alle ihnen bekannten Zellen, die auf keinen Fall zu der gewünschten Beute gehören konnten – und fischten sie heraus. Diesen Vorgang wiederholten Shackleton und seine Kollegen so lange, bis eine übersichtliche Zahl von Zellen übrig blieb, die sie verdünnten und vereinzelt wieder in die Mäuse pflanzten. Dabei stießen sie auf genau den Zelltyp, der sich aus einer einzelnen Zelle zu einer ganzen Milch produzierenden Drüse weiter entwickelte und alle Eigenschaften von Stammzellen vorwies: Sich in andere Zellarten zu verwandeln und im Körper unveränderten liegen zu bleiben und sich zu vermehren.

Solche Zellen aber, die ein ganzes Leben lang im Menschen – oder Mäusen – ruhen, bergen auch ein gewisses Risiko. Sie sind Veränderungen aus der Umwelt permanent ausgesetzt und können daher schneller als andere Zellen entarten – und Tumore bilden. "Stammzellen sind durch ihre sich selbst erhaltenden Eigenschaften dafür prädestiniert, sich krebsartig zu verändern", so Groner. Für den Brustkrebsspezialisten liegt die größte Bedeutung dieser Arbeit daher in der Krebsforschung. Es gebe gutartige Geschwüre und Tumore in Brustdrüsen, die auf eine einzige mutierte Ausgangszelle zurückverfolgt werden könnten. "Die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um Stammzellen handeln könnte", sagt Groner. Die Arbeit der Kanadier scheint das zu belegen. So injizierten sie ihre isolierten Zellen auch gentechnisch veränderten Mäusen, die eine Veranlagung für Brustkrebs in sich tragen. Und beobachteten, dass sich die Stammzellen besonders in den Tumoren anreicherten.

Sollten tatsächlich diese lebenden Zellahnen eine erhebliche Rolle bei Krebserkrankungen spielen, könnte diese Erkenntnis wichtige Konsequenzen für die Therapie nach sich ziehen. Stammzellen sterben nicht. Sie reagieren nicht auf die Signale ihrer Umwelt, sich gezielt selbst umzubringen, wenn etwa die Stillzeit vorüber ist. Viele Krebsmedikamente sind jedoch genau darauf ausgerichtet, diesen Zelltod herbei zu führen. "Sie wären also unwirksam", sagt Groner. Aussichtsreicher erscheint ihm, an den nun gefundenen Stammzell-Markern anzusetzen. Einer dieser Marker ist der so genannte Beta-Integrin-Rezeptor, "ein sehr häufig vorkommendes Protein an der Zellaußenseite", so Groner. Ihn würde sehr wundern, wenn man einen ähnlichen Rezeptor nicht auch beim Menschen finden würde.

Auch für die Wissenschaftler, die mit gezüchteten Geweben neue Behandlungsmethoden finden möchten, sehen ihre Ansätze gestärkt. "Die Arbeit eröffnet sehr interessante Perspektiven und Visionen", sagt Frank Emmrich, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig. Dort wollen die Wissenschaftler Wege finden, wie man Organe zur Selbstheilung stimuliert. So könne er sich vorstellen, dass man Brustkrebspatientinnen, denen viel Gewebe entnommen wurde, ihr eigenes gezüchtetes Gewebe wieder einsetzen könnte. "Denkbar wären jedoch auch Organmodelle, an denen Pharmafirmen ihre Medikamente testen – vor allem die Auswirkungen auf die Milchproduktion bei Schwangeren", erklärt Emmrich. Noch allerdings sei man im "Maus-Stadium". Und zunächst müssten sich die Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen, "was bislang allerdings fast immer gelang". Um jedoch bis dahin zu kommen, seien noch viele kleine Schritte notwendig. Und in die Vorstellung einer autark Milch gebenden Einzelbrust mischt sich noch ein wesentlicher Haken: "Es fehlt die Brustwarze", sagt Groner. Milchproduzieren können stammzellgenerierten Drüsen zwar – nur am Abgeben der Milch, daran scheitern sie noch.

Von Edda Grabar (wst)