Neue Gentechnik: "Wichtiges Element für umweltfreundliche neue Landwirtschaft"

Das EU-Parlament hat sich für neue, lockere Gentechnik-Regeln in der Landwirtschaft ausgesprochen. Experte Christoph Tebbe sieht vor allem Chancen.

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Sommer, Sonne, Weizen, Getreide

(Bild: Bruno Glätsc, gemeinfrei)

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Inhaltsverzeichnis

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CRISPR-Cas und andere neue Gentechnik-Tools (NGT) könnten helfen, schneller und billiger als bisher besonders robuste Weizen-, Mais- und Sojapflanzen zu erzeugen – und Landwirtschaft umweltfreundlicher zu machen. Eingriffe ins Pflanzengenom sind üblicherweise streng reguliert, doch das EU-Parlament hat sich jetzt für den Kommissionsvorschlag ausgesprochen, der Lockerungen für NGT-Pflanzen vorsieht. In der Abstimmung vom 7. Februar sprachen sich 307 Abgeordnete dafür aus, 263 votierten dagegen, 41 enthielten sich.

Als im Sommer 2023 die EU-Kommission ihren Vorschlag vorgelegt hatte, begrüßten ihn Unternehmen und Wissenschaftler. Kritik kam damals unter anderem von Naturschutzverbänden und der Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen).

Wiederveröffentlichung

Das folgende Interview stammt vom 12. Juli 2023, das geführt wurde, als der Vorschlag der EU-Kommission veröffentlicht wurde. Angesichts der aktuellen Abstimmung zu Gentechnik in der Landwirtschaft veröffentlichen wir es an dieser Stelle erneut.

Christoph Tebbe ist Mikrobiologe und Experte für Bodenökologie am Thünen-Institut in Braunschweig, war zudem lange wissenschaftlicher Berater für EU-Behörden zum Thema Umweltwirkungen von Gentechnik-Pflanzen. Im Interview mit MIT Technology Review erklärt er seine Sicht auf die Argumente.

Herr Tebbe, wie unterscheiden sich die NGT, die neuen Gentechnikwerkzeuge von jenen, für die seit 2001 die EU-Bestimmungen zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) gelten?

Die mit "alter" Gentechnik veränderten Pflanzen enthalten artfremde Gene. Ein Klassiker ist der sogenannte Bt-Mais, der nach fast 20 Jahren Sicherheitstests auch in Europa zugelassen wurde. In sein Erbgut wurde ein Gen eingebaut, das für ein bioabbaubares Insektengift kodiert. Dieses Insektizid kann natürlicherweise von Bakterien gebildet werden und wird auch im Biolandbau zur Insektenabwehr eingesetzt. Solche artfremden Gene einzuführen, wird in der EU dennoch weiterhin streng reguliert bleiben.

Mit CRISPR und anderen NGTs aber werden bestimmte Eigenschaften von Pflanzen in der Regel dadurch verändert, dass eigene Gene ein- oder ausgeschaltet oder verändert werden. In der DNA werden dazu oft nur ein paar Basen vertauscht. Einige werden herausgenommen oder es werden welche hinzugefügt, aber – so steht es in dem EU-Vorschlag – letzteres eben nur innerhalb einer Art.

So könnte die Information zu einem Gen aus einem Wildapfel in einem Kulturapfel, bei dem dieses Gen durch klassische Züchtung unbeabsichtigt verändert wurde, wieder hergestellt werden. Damit können dann Sorten erzeugt werden, die besonders robust gegenüber Krankheiten, Schadorganismen oder Trockenheit sind. Gegenüber konventionellen Züchtungsmethoden sind solche molekularen Verfahren um ein Vielfaches schneller und gezielter. Und: Von herkömmlich gezüchteten Pflanzen lassen sich NGT-Pflanzen mit den typischen PCR-Techniken nicht unterscheiden.

Was bedeutet das für die Kontrolle und Kennzeichnung, um die zum Beispiel vom Land Niedersachsen geforderte Gentechnik-Freiheit auf den Äckern zu garantieren?

Da diese NGT-Pflanzen nicht von natürlichen Mutationen unterschieden werden können – weil eben keine artfremden Gene enthalten sind – ist eine Kennzeichnung des Saatguts durch die Hersteller besonders wichtig. Die fehlende Nachweismöglichkeit gilt aber auch für die sogenannten Mutagenese-Verfahren in der konventionellen Züchtung, soweit mir bekannt ist. Da wird mit Röntgenstrahlung und toxischen Chemikalien gearbeitet, um möglichst viele Mutationen zu erzwingen und damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass auch die ein oder andere gewünschte Variante darunter ist. In keinem dieser Fälle würden PCR-Tests, also Genanalysen, Hinweise zur Entstehungsgeschichte einer Sorte liefern.

Wie sieht es mit Restrisiken aus, dass mit CRISPR und Co. eben doch bedenkliche Mutationen erzeugt werden, die zum Beispiel empfindliche Ökosysteme zerstören können? Kritik dieser Art kommt von Naturschutzverbänden, vom Bundesamt für Naturschutz und auch von der Bundesumweltministerin.

Jede Mutation durch die NGT ließe sich auch durch konventionelle Züchtung erreichen. Ein höheres Risiko sehe ich daher nicht. Und der EU-Vorschlag unterscheidet ja zwei Kategorien der Genmanipulation mit diesen Techniken. In die erste Kategorie fällt Saatgut, dessen Erbgut – nach Angaben des Herstellers – an nur 20 Stellen, verändert wurde. In diesem Fall, so heißt es im Vorschlag, ist es wie in der Natur und das Saatgut wird daher behandelt wie eine natürliche Sorte, braucht also keine Regulation. Es gilt lediglich die Vorgabe, dass Firmen ihr Saatgut kennzeichnen, um der Biolandwirtschaft so zu ermöglichen, diese Pflanzen, denen sie ja ablehnend gegenüberstehen, zu vermeiden. Konsumenten können also immer noch wählen, ob sie NGT-Produkte nutzen wollen oder nicht.

Zur zweiten Kategorie zählen Pflanzen, die stärker verändert wurden. Für sie gelten strengere Regeln – aber eben oft auch nicht so streng wie nach der GVO für die "alten" Gentechnikwerkzeuge. Zum Beispiel müssen in den meisten Fällen keine Fragen zum horizontalen Gentransfer auf artfremde Arten, wie zum Beispiel Bodenbakterien geklärt werden. Denn das Risiko besteht naturgemäß nicht, wenn gar keine Gene aus anderen Organismen hinzugefügt wurden, sondern lediglich beispielsweise Gene entfernt wurden. Mit diesen Unterscheidungen wäre das Risiko für ökologische Nebenwirkungen nicht anders als bei konventionell gezüchteten Sorten.

Woher kommt das Kriterium der 20 Basenpaare als Schwelle zwischen der ersten und zweiten Kategorie?

Das ist im Grunde eine willkürliche Zahl, ein Konsens, der bei Diskussionen in den Gremien von Fachexperten ausgehandelt wird. Sie ist aber aus meiner Perspektive in der Größenordnung durchaus plausibel und wird dem Vorsorgeprinzip gerecht, weil derartige punktuelle Mutationen auch natürlich vorstellbar sind und keine erhöhte Rekombination von Genen im Vergleich zu konventionellen Sorten aufweisen.