Open Source: Einmal Utopia und zurück

Fast das gesamte Internet läuft auf offener Software. Trotzdem haben einige wenige Konzerne so viel Macht wie nie. Wie passt das zusammen?

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Einmal Utopia und zurück

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 11 Min.
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Stellen Sie sich vor, Sie klicken einen Link an. Mit großer Wahrscheinlichkeit beruht Ihr Browser auf Open Source – ebenso wie Ihre WLAN-Basisstation, Ihr Android-Handy und Ihre Set-Top-Box fürs Fernsehen. Die Daten wandern dann weiter über Server und Router, auf denen ebenfalls überwiegend quelloffene Programme wie Apache laufen. Auch die Webseite, die Sie aufrufen, ist wahrscheinlich mit freier Software wie Typo3 oder WordPress erstellt worden. Und die benutzten Datenbanken und Cloud-Speicher sowieso.

Ohne großes Aufsehen hat sich in den letzten Jahren also eine veritable Vision realisiert: Freie Software für freie Bürger, kostenlos, ohne Hintertüren, an alle Bedürfnisse anzupassen. Sie hat – so viel darf ohne Übertreibung festgehalten werden – zu einer Demokratisierung des Webs geführt. Ohne quelloffene Software sähe das Internet heute jedenfalls deutlich anders aus.

"95 Prozent aller Software ist Open Source. Wir haben gewonnen – wir haben Utopia erreicht!", sagte Neil McGovern, Geschäftsführer der Gnome Foundation, im Januar auf der Fosdem-Konferenz in Brüssel – um dann nachzusetzen: "Aber warum fühlt es sich nicht so an?"

Tatsächlich ist der Community wenig nach Feiern zumute. Denn trotz der Omnipräsenz von Open Source wird das Netz heute von wenigen großen Konzernen dominiert, die ihre Spielregeln weitgehend beliebig durchsetzen können. Und das gern mit eigener, proprietärer Software. Gerade auf dem Smartphone ist die neue Offenheit noch nicht angekommen. Android ist zwar prinzipiell quelloffen, aber die meisten Apps mitnichten. Von Rabattprogrammen der Supermärkte bis zu millionenfach gebrauchten Alltagswerkzeugen wie WhatsApp – Nutzer haben lediglich die Wahl, den Anbietern zu vertrauen oder eben mehr zu zahlen oder umständlicher zu kommunizieren. Das muss man sich leisten können und wollen.

Selbst dort, wo Open Source bereits Fuß gefasst hat, muss es mitunter wieder weichen. So rüsten Behörden wie die Münchener Stadtverwaltung und die niedersächsische Finanzverwaltung ihre Desktop-Rechner wieder von Linux zurück auf Windows um.

Wie passen die beiden Befunde zusammen – einerseits so viel technische Offenheit wie nie, andererseits tendenziell immer weniger Freiheit für den einzelnen Nutzer?

Der Widerspruch erklärt sich zum Teil dadurch, dass Open Source heute nur noch wenig mit idealistischen Hackern zu tun hat, die nach Feierabend noch für den guten Zweck coden. Open Source ist Big Business geworden. 2019 machte etwa IBM 34 Milliarden Dollar für den Linux-Distributor Red Hat locker. Und die Software-Entwicklungsplattform GitHub, eine zentrale Anlaufstelle für viele Open-Source-Programmierer, wurde 2018 für 7,5 Milliarden Dollar übernommen – ausgerechnet von Microsoft, dessen Ex-Chef Steve Ballmer das offene Betriebssystem Linux einst als "Krebsgeschwür" bezeichnet hatte.

www.freecodecamp.org

Auch bei der Produktion des Codes geben Großkonzerne die Richtung vor. Bei einer Analyse der rund 30 Millionen auf GitHub registrierten Programmierer stellte sich heraus, dass die meisten Code-Lieferanten bei Microsoft und Google angestellt waren. Erst auf Platz drei folgt das erste Open-Source-Unternehmen: Red Hat – das aber inzwischen wie erwähnt IBM gehört. Das starke Engagement allein muss nichts Schlechtes sein – im Gegenteil: "Wenn große Softwarefirmen hinter Open-Source-Projekten stehen, schafft das mehr Alternativen und Auswahl", sagte David Habusha, Vizepräsident beim Open-Source-Dienstleister WhiteSource, gegenüber dem Magazin "Forbes". "Entwickler können immer noch Teil der Projekte sein und deren Zukunft beeinflussen. Es schafft außerdem Transparenz, wie diese Projekte geschrieben und gepflegt werden, und liefert bessere Qualität und Sicherheit."

Ob und wie sich Konzerne und Community gegenseitig befruchten, hängt allerdings stark vom jeweiligen Unternehmen ab. Das Online-Magazin "The New Stack" hat 1.700 GitHub-Entwickler gefragt, welche Erfahrungen sie bei der Zusammenarbeit mit den Großen gemacht haben. Das Ergebnis: Generell waren die meisten Befragten skeptisch gegenüber den Konzernen und unterstellten ihnen überwiegend egoistische Motive. Einige Firmen genießen allerdings einen vergleichsweise guten Ruf – allen voran Google, gefolgt von IBM und Microsoft.

Dass Wirtschaftsunternehmen nicht aus reinem Altruismus die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter für Open-Source-Projekte abstellen, dürfte wenig überraschen. Und dass quelloffene Software auch kommerziell benutzt werden darf, war schon Teil der frühesten Lizenzmodelle. Problematisch wird das Ganze vor allem dann, wenn Open Source lediglich als Quelle billiger Software dient und der ursprüngliche Freiheitsgedanke dabei verloren geht. "Cloud-Giganten profitieren enorm von anderen populären Projekten auf GitHub", schreibt das Marktforschungsunternehmen CB Insights. "Sie übernehmen den Quellcode, machen – wenn überhaupt – ein paar kleinere Änderungen, benennen die Software um und verkaufen sie ihren Kunden als proprietären Dienst."

(Bild: Bitkom Research)