Public Knowledge: Nach US-Wahlen mehr direkte Demokratie

Die Midterm Elections sind ein Wegweiser zu mehr direkter Demokratie in den USA, meint Harold Feld von der Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge. Heise online sprach mit ihm über Netzneutralität, Probleme mit VoIP, Überwachung, und die mögliche Rückkehr von SOPA und PIPA.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Harold Feld: "Die Demokraten haben versagt." Insbesondere in der Technologiebranche hätten die Demokraten viele Unterstützer verärgert.

(Bild: Daniel AJ Sokolov / heise online)

"Man könnte mit (Volksabstimmungen) auf Ebene einzelner Bundesstaaten womöglich mehr erreichen, als mit viel Einsatz auf Bundesebene." Diese Lehre zieht Harold Feld, Vizepräsident von Public Knowledge, aus dem aktuellen US-Wahlergebnis. Denn in einzelnen Staaten hat sich das Volk für höhere Mindestlöhne oder eine Freigabe von Marihuana ausgesprochen, "sogar in Staaten, die mehrheitlich republikanisch geworden sind", betont Feld. Public Knowledge setzt sich für digitale Bürgerrechte und Verbraucherschutz ein.

In einer ganzen Reihe von US-Bundesstaaten ist es Kommunen verboten, in eigene Breitbandnetze zu investieren. Das haben große Telecom-Unternehmen durchgesetzt, um neue Konkurrenz zu verhindern. Die Bundesregulierungsbehörde FCC möchte diese Einschränkungen nun bekämpfen, doch die republikanische Partei ist für diese Verbote. Und die Midterm Elections haben den Republikanern eine Mehrheit in beiden Kammern des Bundesparlaments und einer Reihe einzelner Staaten gebracht.

"Um die kommunalen Breitbandnetze wiederzubeleben ist es daher vielleicht besser, Volksabstimmungen auf Staatenebene einzuleiten, als auf die FCC zu hoffen", meint Feld. Wenn das Volk in einer Abstimmung ausdrücklich etwas verlangt würden sich die Abgeordneten schwer tun, das abzuwürgen. "Für manche Themen funktionieren Volksabstimmungen in den Staaten aber nicht, etwa Immaterialgüterrecht oder Netzneutralität."

Im Bereich des Festnetzes könnten Volksabstimmungen durchaus Erfolge bringen, glaubt Feld. Die Umstellung des Festnetzes von analog auf Voice-over-IP sei nämlich von Problemen geplagt, juristischen und technischen.

Wahlplakate am Wahlabend in Washingten, D.C.

(Bild: Daniel AJ Sokolov / heise online)

Bisher sind IP-Netze weitgehend von der Regulierung ausgenommen. Die Republikanische Partei möchte das auch so belassen. Doch gerade am dünn besiedelten Land, wo mehrheitlich republikanisch gewählt wird, würde sich eine Deregulierung stark auf die Wähler auswirken. So wären die Netzbetreiber nicht mehr verpflichtet, überhaupt Festnetz Anschlüsse anzubieten.

Die Wünsche der Bürger gehen aber in die entgegengesetzte Richtung: Verlässliche Festnetztelefonie sowie günstige, leistungsfähige Breitbandanschlüsse im ganzen Land. "Wir (von Public Knowledge) waren erfolgreich dabei, die Diskussion in Richtung Regulierungs-Transformation zu lenken, anstatt Regulierung versus Deregulierung als Thema zu haben", berichtete Feld aus seiner eigenen Arbeit. Die lange inaktive Regulierungsbehörde FCC werde noch im November ihre erste Verordnung über den Umstieg zu All-IP herausgeben.

Denn Feldversuche hätten große Probleme aufgedeckt: Sicherheitslücken, Ausfälle beim Notruf, Probleme beim Verbindungsaufbau und SWATing. "VoIP bringt alle Schwächen der IP-Welt ins Festnetz. Und das ist darauf nicht vorbereitet", meint Feld, "Beim Notruf wird das System komplexer und letztendlich ist niemand dafür verantwortlich. Die Lokalisierung der Notrufe funktioniert schlecht. Und SWATing mit gefälschten Telefonnummer liegt im Trend."

SWATing? Unterbelichtete Zeitgenossen rufen mit gefälschter abgehender Telefonnummer den Notruf. Dort geben sie eine schwerwiegende Straftat samt Notlage vor. Dann freuen sie sich einen Ast ab, wenn ein schwer bewaffnetes Einsatzkommando jenes Gebäude stürmt, in dem der fälschlicher Weise angezeigte Telefonanschluss registriert ist. Dessen Bewohnern wird dabei ein ordentlicher Schrecken eingejagt.

Zu bestimmten Tageszeiten gäbe es außerdem Probleme mit der Zustellung von Anrufen, die aus Ballungszentren zu ländlichen Anschlüssen gehen sollen. "Diese Anrufe werden umgeleitet, um Gebühren zu umgehen. Das bringt mehr Latenz, womit das alte Telefonnetz nicht umgehen kann. Der Anruf stirbt während der Netzbetreiber versucht, eine billigere Leitung zu finden. Das betrifft gerade jene Regionen, die besonders republikanisch sind."

Die Anrufer hätten von diesen Fehlschlägen lange nichts gemerkt, weil deren Netzbetreiber gefälschte Klingelzeichen eingespielt hätten. Beim Angerufenen habe aber in Wahrheit gar nichts geläutet. Diese "false ringbacks" hat die FCC inzwischen verboten. Trotzdem könnte ein republikanisches Parlament viele Verbraucherschutzmaßnahmen abschaffen, fürchtet Feld.

"Alle wollen das Telecom-Gesetz neu schreiben", betonte er am Tag nach der Wahl. Nur über das Wie gäbe es keine Einigung. Die Regierung Obama habe ihren bisherigen Handlungsspielraum kaum genutzt. Der Wechsel an der Spitze der FCC habe sich lange gezogen, dann seien zwei Bomben geplatzt: Ein Gericht hat die Regeln zu Netzneutralität aufgehoben, und Comcast und Time Warner haben Fusionspläne bekanntgegeben. Da seien dann andere Themen liegen geblieben.

Außerdem gäbe es Differenzen innerhalb der Regierung Obama, etwa zur Freigabe zusätzlichen Spektrums für unlizenzierte Dienste wie WLAN. Die FCC sei dafür, die Militärs dagegen. Und jetzt, mit einem republikanisch dominierten Parlament, werde es die Regierung noch schwieriger haben, etwas weiterzubringen. Lichtblick: Die Meinungen zur Telecom-Regulierung teilten sich nicht unbedingt entlang der Parteigrenzen. "Die Republikaner müssen sich plötzlich um Dinge wie die Zustellung von Telefonanrufen, Breitband am Land und mehr WLAN-Spektrum kümmern."

Feld hält folgende Entwicklung für möglich: Die Republikaner beschneiden die Befugnisse der FCC im Bereich der Fusionskontrolle, und stimmen im Gegensatz der Finanzierung von Breitband am Land, Notrufen und einem Festnetz-Universaldienst zu. "Vielleicht gibt es auch eine Verfahrensreform. Das könnte die FCC ausbremsen."

Und das Thema Datenschutz könnte zur weitaus größeren Handelsbehörde FTC verschoben werden. Der Hintergedanke dabei: "Sie können mit viel mehr (Rechtsverletzungen) davonkommen, wenn der Bereich ein kleiner Teil einer großen Behörde ist, als wenn eine spezialisierte Einrichtung dafür zuständig ist."

Die Verschärfung des Copyright ist als Gesetzesvorschlag am starken Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Es wurde sogar ein gegenläufiges Gesetz verabschiedet: Eine Legalisierung des Entsperrens SIM-gesperrter Mobiltelefone. "Das war eine Überraschung", sagte Feld, "Es gab eine Bürgerbewegung die stark genug war, um die Dinge in die andere Richtung zu bewegen."

Intensiv beteiligt war daran auch der Republikaner Derek Khanna. Er wurde vor zwei Jahren durch seine Entlassung bekannt. "Jetzt arbeitet er an einer Bewegung innerhalb der republikanischen Partei", schilderte Feld, "Er versucht, das Thema der Immaterialgüterrechte neu zu definieren: Weg vom geliebten Eigentum hin zur bösen Regulierung."

Wenn Hollywood seine Wünsche im Parlament nicht durchsetzen kann, dann vielleicht auf einem Umweg: "Verschärfungen wie SOPA und PIPA kommen eher durch so etwas wie (das Handelsabkommen) TPP (Trans-Pacific Partnership)." Das ginge dann so: Die Regierung handelt einen Staatsvertrag aus und erklärt anschließend dem Parlament, dass es nun verpflichtet sei, die neuen Regeln in staatliches Recht zu umzusetzen.

Die bisherige Leistung der Regierung Obama bewertet Feld vernichtend: "Die Demokraten haben versagt. Sie haben die NSA-Überwachung nicht zurückgeschraubt. Und die schwachen Reformversprechen wurden durch (die demokratische Senatorin) Dianne Feinstein untergraben. Bei der Netzneutralität ist der Vorschlag (des neuen FCC-Chefs) Tom Wheeler ein Schlag ins Gesicht jener, die sich dafür einsetzen."

Und auch aus einem Bereich in der er nicht tätig ist, brennt ihm ein Beispiel auf der Zunge: "Die Latinos wurden (mit ihrem Anliegen einer Einwanderungsreform) vertröstet." Das habe sie nicht gerade zu den Wahlurnen getrieben.

Insbesondere in der Technologiebranche hätten die Demokraten viele Unterstützer verärgert. "Überwachung, Copyright und das Ausbleiben einer Patentreform" nannte Feld drei Themen, die im spendenfreudigen Silicon Valley für großen Unmut sorgten. "Jetzt umgarnen die Republikaner wieder die Technologiebranche. Dort gibt es viele Libertäre."

Dieser Artikel ist Teil einer Serie zur Lage nach den US-Wahlen. Heise online/c't trifft dazu in der US-Hauptstadt Washington, DC, Experten mit unterschiedlichen Einstellungen und Arbeitsgebieten. Die Midterm Elections haben der republikanischen Partei deutliche Mandatsgewinne gebracht. Sie haben nun auch im Senat eine Mehrheit. Auch in vielen Staaten konnten sie reüssieren. Die Demokraten, die Partei US-Präsident Barack Obama, sind nun in beiden Kammern auf republikanische Zustimmung angewiesen. (ds)