Quanten-Update: Was bedeuten die Erfolgsmeldungen von IBM und Intel wirklich?

Intel stellt einen eigenen Quanten-Prozessor vor, während IBM mit seinem Quantenchip endlich die "wahre" Quantenüberlegenheit demonstriert.

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Tunnel Falls

Der Tunnel-Falls-Chip.

(Bild: Intel)

Lesezeit: 6 Min.

Mit dem Tunnel Falls genannten Quantenprozessor, den Intel kürzlich vorstellte, setzt der Chiphersteller auf eine spannende Quanten-Hardware – die allerdings noch in einer sehr frühen Phase steckt. Dass Intel zur Performance seines Chips keinerlei Zahlen veröffentlicht hat, lässt viel Raum für Spekulationen.

Siliziumbasierte Qubits nutzen Quantenpunkte. Klassisch sind solche Quantenpunkte winzige Inseln aus Halbleitermaterial, die in einem zweiten Halbleiter eingebettet sind. Diese winzigen Tröpfchen bilden eine Art künstliches Atom – in ihnen gefangene Elektronen können nur die Energieniveaus einnehmen, die durch die Größe und das Material der Halbleiter-Insel definiert werden. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise optische Emitter mit einstellbaren Wellenlängen (zum Beispiel für Displays) herstellen.

In dem Intel-Quantenprozessor bilden winzige FET-Transistoren die Quantenpunkte, in denen einzelne Elektronen durch ein entsprechendes Potenzial an den Elektroden gefangen werden. Für die Quantenberechnungen nutzen die Intel-Entwickler den Spin der Elektronen.

Guido Burkhard von der Universität Konstanz, der auf diesem Gebiet forscht, erklärt in einem Video die Vor- und Nachteile dieses Ansatzes: Da der Spin – so etwas wie der quantenmechanische Drehimpuls des Elektrons – nicht direkt auf elektrische Felder reagiert, sind solche Qubits vergleichsweise stabil. Die "Gate Fidelity", also die Güte, mit der sich Quantenoperationen durchführen lassen, liegt bei über 99 Prozent, die Lebensdauer der Qubits bei bis zu 250 Mikrosekunden – in speziellen Materialien noch viel mehr. (Das ist aus dem Stand mindestens konkurrenzfähig, wenn nicht sogar besser als bei supraleitenden Qubits.)

Allerdings ist es aus demselben Grund (Spins sind unempfindlich gegen elektrische Felder) schwierig, einzelne Qubits zu manipulieren. Dass die Idee grundsätzlich funktioniert, wurde 2018 erstmals experimentell demonstriert von David Zajac von IBM. Obwohl diese Arbeit bereits damals viel Aufsehen erregte, deckt sie allerdings nur den einfachsten Fall ab: Ein CNOT-Gate, das gleichzeitig auf zwei Qubits wirkt. Den Spin eines einzelnen Elektrons zu manipulieren, ist sehr viel schwieriger, denn eigentlich reagiert der Spin nur auf magnetische Felder.

Die lassen sich aber nur mit sehr großem Aufwand so herstellen, dass wirklich lokal gezielt nur ein Qubit manipuliert wird. Um Spin-Qubits mit elektrischen Feldern zu manipulieren, sind verschiedene indirekte Verfahren entwickelt worden. Welche Verfahren in dem Intel-Prozessor zum Einsatz kommen – und was für eine Performance der dann hat – wird also spannend.

Unterdessen hat IBM erstmals die sogenannte Quanten-Überlegenheit an einem praktisch relevanten Problem mit seinem 127-Qubit-Quantenprozessor demonstriert. Das "Benchmark‟-Experiment deutet laut IBM darauf hin, dass Quantencomputer "innerhalb von zwei Jahren nützliche Anwendungen in der realen Welt" haben könnten.

Vor vier Jahren hatte Google zum ersten Mal bekannt gegeben, der von ihnen konstruierte Quantencomputer könne klassische Maschinen übertreffen. Allerdings handelte es sich dabei um ein recht künstliches Problem. Die Google Forscher ließen auf 53 Qubits eine Abfolge von 14 Quantenoperationen rechnen, diese Abfolge eine Million Mal wiederholen und erhielten daraus eine spezifische statistische Verteilung der Ergebnisse. Ein klassischer Supercomputer, der das simuliert, hätte nach ihren Berechnungen 10.000 Jahre gebraucht – eine Abschätzung, der von IBM–Forschern allerdings später energisch widersprochen wurde.

In einem Paper, das am 14. Juni in Nature veröffentlicht wurde, zeigen die Forschenden, wie sie auf dem 2021 vorgestellten Eagle-Prozessor mit 127 supraleitenden Qubits die Magnetisierung eines magnetischen Modellsystems berechnen konnten. Obwohl das Modell für das magnetische Material stark vereinfacht ist, "stimmt es optimistisch, dass dies auch bei anderen Systemen und komplizierteren Algorithmen funktionieren wird", kommentiert John Martinis von der University of California, Santa Barbara, der das Google-Team zu seinem Meilenstein 2019 geführt hat.

Denn die Forschenden hatten eine neue Technik entwickelt, um Fehler durch Quantenrauschen zumindest zu minimieren. Dafür führten Abhinav Kandala und seine Mitarbeiter präzise Messungen des Rauschens in jedem ihrer Qubits durch – und fanden dabei, dass das Rauschen relativ vorhersehbaren Mustern folgt. Mit diesem Wissen konnten die Forscher zurückrechnen, wie ihre Messungen – in diesem Fall des vollständigen Magnetisierungszustands eines zweidimensionalen Festkörpers – ohne Rauschen aussehen würden. Sie waren dann in der Lage, Berechnungen mit allen 127 Qubits von Eagle und bis zu 60 Verarbeitungsschritten durchzuführen. Das ist mehr als bei jedem anderen bekannten Quantencomputerexperiment – und vor allem auch mehr, als sich mit dem leistungsstärksten klassischen Computer simulieren lässt.

In einer ersten Hype-Phase nach dem Google-Erfolg von 2019 gingen zahlreiche Unternehmen und Forschende davon aus, dass sich auch mit stark fehlerbehafteten und verhältnismäßig kleine Quanten-Prozessoren der ersten Generation nützliche Berechnungen durchführen lassen. Abgesehen von einigen Einzelfällen erwiesen sich diese Hoffnungen jedoch als verfrüht. Mittlerweile ist sich die Forschung weitgehend einig, dass Methoden zur Quantenfehlerkorrektur entwickelt werden müssen. Dafür müssen jedoch eine große Anzahl physikalische Qubits zu "logischen Qubits" zusammengefasst werden.

Die jetzt gezeigte Methode der Rauschunterdrückung könnte aber auch ohne Quantenfehlerkorrektur weitere Berechnungen ermöglichen, die selbst auf den größten klassischen Supercomputern unmöglich sind. Zudem will IBM laut seiner Roadmap noch in diesem Jahr seinen Condor-Quantenchip mit 1.121 Qubits, vorstellen. In einem begleitenden Kommentar zu dem Paper zeigt sich Nature jedoch eher skeptisch: Auch mit dem neuen Ansatz würden in naher Zukunft keine relevanten industriellen Anwendungen auf Quantencomputern gerechnet – doch er würde höchstwahrscheinlich die "Entwicklung fehlertoleranter Quantencomputer" weiter beschleunigen.

(bsc)