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Quer gedacht: Wie bei Audi der Fünfzylinder zurückkam

Clemens Gleich

(Bild: Audi)

Lange pausierte der Reihenfünfzylinder im Audi-Programm. 2009 kehrte er im Audi TT RS fulminant zurück, aus Gründen des Bauraums im Querbaukasten.

Als 2009 nach einer zwölfjährigen Pause die Fünfzylinder ins Audi-Programm zurückkehrten, dachte ich wie wahrscheinlich viele Fahrzeugfans, das habe mit entsprechenden Wünschen der Kundschaft zu tun, die lauthals in die Foren geklagt wurden. Doch die waren es gar nicht. Die Wiederkehr des Fünfzylinders geschah wie seine Ureinführung aufgrund technischer Umstände. Audi wollte in der Entwicklungsphase des TT RS in den frühen Nullerjahren einen Mehralsvierzylindermotor anbieten.

Leser des ersten Teils [1] erkennen bereits die Parallele. Diesmal ging es nicht um das Frontlastproblem, sondern um den Bauraum. Audi baut den TT auf der Querplattform. Die Kurbelwelle liegt dabei orthogonal (90° quer) zur Rollachse (Fahrtrichtung). Diese Konfiguration eignet sich hervorragend für Frontantrieb und kompakte Bauweisen. Mit ihnen gehen jedoch üblicherweise auch beengte Platzverhältnisse einher.

Audis V-Motoren passten aufgrund ihrer Zylinderspreizung schlicht nicht richtig hinein in den TT. Ein Turbo-Vierzylinder war Audi jedoch zu schnöde. So etwas hatte schon jeder. Aber ein Fünfzylinder, das wäre doch geil, denn … der Fünfzylinder passte. So erschien 2009 der renovierte TT RS mit einem direkt einspritzenden 2,5-Liter-Turbo-Reihenfünfzylinder der quattro GmbH, der 340 PS (250 kW) Nennleistung lieferte. Dieser Motor siegte beim Motorjournalisten-Preis "Engine of the Year" ab 2010 siebenmal in Folge. Audi hatte voll ins Schwarze getroffen: Nicht nur gelang der Motor wunderbar, auch die Konkurrenz war gering, denn anderswo (Ford, Volvo) war der Fünfzylinder auf dem Rückzug.

Die Wiederkehr passierte unter den Hürden moderner Abgas-, Geräusch- und Sicherheitsvorschriften, die zusätzliche Ingenieursaufmerksamkeit forderten. Es ist zum Beispiel gar nicht so einfach, beim Fünfzylinder eine gute Stoßaufladung im Turbolader hinzubekommen. Bei der Stoßaufladung (anders als bei der Stauaufladung) führen möglichst kurze Rohre die Stoßwelle des Abgases aus dem Auslassventil an den Lader. Was beim Vierzylinder mit seinen gleichmäßigen Zündungen noch gut berechenbar ist, gestaltet sich mit einem Zylinder mehr schon deutlich kniffliger. Laut Audi ist der Unterschied im unteren Lastbereich deutlich bemerkbar, wenn auch wahrscheinlich eher auf einem Analysestand als im Endkundenfahrzeug, wo ein zusätzlicher Zylinder und der entsprechende Mehrhubraum den leichten Durchhänger überkompensieren.

Noch jung, aber schon ein Meilenstein der Audi-Geschichte: Der TT RS von 2009 brachte den Fünfzylinder zurück.

(Bild: Audi)

Ingolstadt garnierte den TT RS für Puristen mit einer Handschaltung. Die Presse lobte das, der Kunde kaufte es jedoch kaum – eine häufige Konstellation. Stattdessen erfreute sich das Doppelkupplungsgetriebe bald beinahe exklusiver Beliebtheit. Audi stellte einen 2009er-Handschalter bei der Veranstaltung zur Verfügung, den ich jedoch zugunsten anderer Fahrzeuge stehen ließ. Ich hatte das Gefühl, über dieses Auto a) schon einiges zu wissen, denn b) ist es ja noch nicht soo alt. Ein TT RS aus pflegender Hand könnte Sie jederzeit in Mobile.de als zuverlässiger, einigermaßen junger Gebrauchter anspringen. Deshalb muss ich Sie hier mit Fahreindrücken von Kollegen versorgen.

EA 855 Evo (0 Bilder) [2]

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Der TT RS brachte seine hohe Motorleistung natürlich per Allradantrieb auf den Boden. Damit das Auto dynamischer fuhr, schloss die Lamellenkupplung zur Hinterachse früh. Damit fuhr der RS natürlich nicht wie ein Mittelmotor-Porsche, aber doch mehr als anständig und in Verbindung mit Elektronik und Allradantrieb vor allem: einfach. Der TT war seit seiner Einführung ein egalitäres Modell, das vielen Arten von Menschen gefiel. Manche wollten Vollgas. Andere wollten eher mit offenem Dach cruisen (Roadster).

Für beide und alles dazwischen musste das Auto passen, selbst als RS(+)-Version, die ja mindestens ebenso oft aus Liebe gekauft wird wie aus dem Need for Speed. Nur der Serienbereifung schenkte Audi wie so oft in dieser Zeit (je nach Charge) mehr Taschenrechnerkalkulation als Performance-Hingabe. Hier gab es ab Werk manch unpassende Bereifungen.

2016 startete der Fünfzylinder als EA 855 "Evo" mit grundsätzlichen Überarbeitungen neu durch. Wie beim Sport quattro damals fertigte Audi das Motorgehäuse nun aus Aluminium. Zusammen mit anderen Gewichtsreduktionen wie etwa einer Ölwanne aus Magnesium sank das Motorgewicht insgesamt um 26 kg gegenüber dem Vorgänger mit dem Graugussblock – leicht kompensiert durch den aufgrund der neuen Abgasregeln nötigen Partikelfilter.

Audi variiert im Ventiltrieb nicht nur den Hub des Auslassventils, sondern schaltet zusätzlich zwischen zwei Nockenprofilen per Bolzen um (Honda-Fahrer horchen auf [4]). Mit Crack-Pleueln, elektrischer, steuerbarer Kühlmittelpumpe (fördert auch bei stehender Kurbelwelle), Zylinderlaufbahnen aus hauchdünn plasmagespritztem Stahl und einer marktselektiv fein austarierten Kombination aus Direkt- und Saugrohreinspritzung schaffte Audi hier einen bemerkenswerten Spagat zwischen regulativen Umweltanforderungen und Hochleistung, der obendrein einen ganz eigenen Charakter zeigt.

Audi RS3 (3 Bilder) [5]

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Der RS3 zeigt, was die aktuelle Kombination von quattro mit Turbo-Fünfzylinder kann.

(Bild: Audi)

Am beeindruckendsten demonstriert das der neue Audi RS3, bei dem eine Mitfahrt neben einem Rennfahrer auf einer abgesperrten Rallye-Etappe winkte. Mit 400 PS und 500 Nm Drehmoment markiert dessen Motor die aktuelle Spitze des Angebots. Das überarbeitete Chassis lässt ihn glänzen. Das neue voll steuerbare Hinterachsdifferenzial mit Torque Vectoring beeindruckt. War man beim Vorgänger-RS3 noch (Stig forbid!) versucht, das eigenwillige Fahrzeug zu zwingen, fährt der aktuelle RS3 herrlich neutral oder (Drehrädchen) lustig, aber einige Zehntel der Freude opfernd übersteuernd. Erinnerungen an Toyotas wunderbaren GR Yaris werden wach, und das ist ein großes Kompliment. Kein Wunder, dass es Frank Stippler damit schaffte, für Audi den Kompaktklassen-Bestwert von 7 Minuten 40,7 Sekunden auf der Nordschleife zu fahren.

Im öffentlichen Straßenverkehr dagegen fahre ich erst das TT RS als Coupé, dann als Roadster (Cabrio), letzteres mit einer Schramme aus einem Missgeschick des vorher Fahrenden, die an die schwierigen, gefährlichen Strecken voller Steinschlag, Tiere und kurvenschneidender Lastwagen erinnert. Obwohl der Motor schon in der Mitte viel Fleisch liefert, dreht er herrlich freudig aus. Auf der gemütlicheren Fahrt zurück ins Hotel fahre ich mit offenem Dach, was der Motor mit einem vorher noch nicht bemerkten Geräusch belohnt, das die Felswände zurückwerfen: Beim Lastwechsel niest er, *tschieh!*, süß. Das fiel in der Kabine des Coupé mit Soundmodul und Klappengekasper gar nicht auf.

Audi TT RS Roadster (4 Bilder) [7]

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Ohne Dach ist vieles schöner. Der Fünfzylinder-Sound kommt echter an, weil die Soundmodule (an deren Kriminalisierung wir hart lobbyieren) nicht dominieren können.
(Bild: Audi)

Am Ende eines langen Tags im Zeichen der 5 ist klar, warum dieser Motor den Schreiberkollegen so gut gefiel: Er kann alles, auf seine eigene, herzige Art. Das Wichtigere am Markt jedoch: Es gibt keine anderen Reihen-Fünfer mehr. Fiat hat 2007 aufgehört. Alfa Romeo hielt bis 2010 durch. Volvo verabschiedete die auch in Fords RS-Modellen verbauten Fünfzylinder 2015, und Ford selber schickte 2019 still und leise den letzten Fünfzylinder-Diesel in Rente. Selbst bei den Exoten (es gab ja mal R5-Motoren von Honda und Land Rover) gibt es nichts mehr.

Wer heute einen Reihen-Fünfzylinder möchte, erhält ihn in der Serienfertigung neu nur von der Volkswagen AG. Ich konnte hier nicht "nur von Audi" schreiben, denn es gelang kürzlich ausgerechnet der Konzernmarke Seat das, woran selbst der VW Golf scheiterte: den Cupra Formentor gibt es mit quattro-Antrieb und Turbo-Fünfzylinder. Vielleicht hören wir also künftig doch wieder mehr Reihenfünfzylinder röhren.

(cgl [9])


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[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Abschlussbericht-Dauertest-Honda-VFR-800-F-3244481.html
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6221953.html?back=6221182
[6] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6221953.html?back=6221182
[7] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6221964.html?back=6221182
[8] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6221964.html?back=6221182
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