Der Futurist: Straf-Gaming

Was wäre, wenn Kriminelle nur noch virtuell im Gefängnis sitzen?

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Straf-Gaming

(Bild: Grafik: Mario Wagner)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

„David, ich hab Scheiße gebaut. Ich muss ins Gefängnis.“

„Was?“, fragte David Demain in sein Handy hinein. „Wieso das denn?“

„Steuerhinterziehung.“ Andi seufzte. „Ich war naiv. Ich dachte, ich könnte das Finanzamt täuschen.“

David wusste nicht, was er sagen ­sollte. „Und jetzt?“

„Der Richter bietet mir an, die Strafe in Augmented Reality abzuleisten. Du kennst dich doch mit diesem Technikkram aus. Soll ich das machen?“

Digitaler Strafvollzug war die neueste staatliche Sparmaßnahme.

„Wie lange musst du sitzen?“, fragte David.

„Drei Jahre.“

Der Futurist

(Bild: 

Mario Wagner

)

"Was wäre, wenn ...": TR-Autor Jens Lubbadeh und die Redaktion lassen in der Science Fiction-Rubrik der Kreativität ihren freien Lauf und denken technologische Entwicklungen in kurzen Storys weiter.

„Mach es“, sagte David. „Du im Bau, das wird die Hölle. AR dagegen funktioniert ähnlich wie eine elektronische Fußfessel.“

Wenige Wochen später waren er und Andi zu einem Spaziergang im Park verabredet. Schon vom Auto aus sah er Andi am Eingang stehen. David suchte einen Parkplatz, fand aber nichts. Schließlich stellte er den Wagen auf dem Gehweg ab. Er würde in maximal einer Stunde wieder zurück sein.

Als er auf Andi zuging, reagierte sein Freund nicht. Andi schien ihn nicht zu erkennen. Selbst als er direkt vor ihm stand.

„Andi?“

„Oh, hallo David!“

„Was ist los? Erkennst du mich nicht?“

„Ich hab dir doch geschrieben, du sollst mich ansprechen.“

„Ich dachte, das sei ein Witz.“

„Witz? Die AR ist alles andere als ­lustig – ich kann keine Gesichter mehr sehen, David! Für mich siehst du aus wie ein Ei mit Augen.“

„Was?“

„Sie haben mir Retina-Chips implantiert. Sie filtern alles weg. Überall nur noch Eierköpfe. Selbst wenn ich in den Spiegel schaue.“

Sie gingen durch den Park. Plötzlich zuckte sein Freund zusammen und zog ihn hektisch ins Gebüsch.

„Verdammt, was ist los, Andi?“

„Psst.“

Sie hielten einige Momente inne, und David sah, dass ein Mann am ­Gebüsch vorbeilief. Nach einer Weile flüsterte Andi: „Das war ein gesuchter Nazi-Terrorist.“

„Was?“, fragte David. „Woher weißt du das? Ich dachte, du kannst keine Gesichter mehr sehen?“

„Die Gesichter von gesuchten ­Verbrechern verpixeln sie nicht. Wir können uns Boni verdienen, wenn wir sie festnehmen. Wir bekommen auch ihre Vergehen eingeblendet und wie viele Punkte sie bringen. Der Terrorist hätte 1000 Punkte gebracht. Dafür hätte ich eine Woche Entpixelung oder wahlweise eine Woche Haftverkürzung bekommen.“

„Aber...ist das nicht gefährlich?“

Andi nickte. „Ja, klar, je gefähr­licher, desto mehr Punkte. Aber der war mir echt zu heikel.“

Sie stiegen wieder aus dem Gebüsch und setzten ihren Spaziergang fort.

David schüttelte den Kopf. „Ist das nicht Aufgabe der Polizei?“

„Tja, du weißt doch, wie das ist. Überall wird gespart. Wir Verbrecher sollen uns jetzt gegenseitig fangen.“

Sie kamen an einen Imbiss und bestellten sich Pommes frites.

„Ich finde das wirklich pervers.“

„Ja, vielleicht“, sagte Andi.

Plötzlich blickte er auf und sah David mit großen Augen an.

„Was ist?“, fragte David.

„Ich... ich... kann dein Gesicht sehen.“

„Wirklich? Aber wie kann das sein?“

„Falsch parken. 50 Punkte.“

Andi zog ein paar Handschellen aus der Tasche. Bevor David reagieren konnte, war er an den Tisch gekettet.

„Sorry, David. Aber dafür kriege ich einen halben Tag Entpixelung.“

(jlu)