TR Online 2016: Von toten Dieseln, Hobbykeller-Waffen und einer Simulation des Bewusstseins

Der zweite Teil der Technology-Review-Online-Jahresrückschau – von Juli bis Dezember. Welche Beiträge haben die Leser 2016 am häufigsten angeklickt?

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Inhaltsverzeichnis

Im Internet zu publizieren hat den bekannten Vorteil gegenüber anderen Mediensegmenten, dass sich sofort überprüfen lässt, welche Themenbereiche die Leser am meisten schätzen. Wir haben für Sie in unser Redaktionssystem geschaut und die zwölf am häufigsten abgerufenen Beiträge des Jahres 2016 von Januar bis Dezember zusammengetragen.

In der Rangliste der Popularität ganz oben finden sich diesmal fünf Beiträge zum Thema Energie, drei Artikel aus dem Bereich Transport, zwei Texte aus dem Gebiet Leben und je einer aus den Ressorts Infotech und Umwelt. Insgesamt eine interessante Mischung, wie wir finden. Viel Spaß bei diesem Rückblick auf TR Online 2016, der zwei Teile hat: Am gestrigen Dienstag beschäftigten wir uns mit den Monaten Januar bis Juni, am heutigen Mittwoch mit den Monaten Juli bis Dezember.

Basteln und ballern

Die Vereinigten Staaten sind bekanntermaßen (auch) ein Waffenland: Auf jeden Amerikaner kommt im Schnitt mindestens ein Schießeisen. Die Debatte, ob man das vergleichsweise liberale Waffenrecht verschärfen sollte, tobt seit Jahren. Wer fürchtet, dass der Staat ihm oder ihr die Knarre wegnimmt, greift zunehmend aber auch zu Alternativen, wie TR-Autor Ulrich Hottelet schreibt. Der der Verkauf von Ausrüstung für Hobby-Waffenschmieden schieße nach oben. "Selbstgebaute Waffen werden nicht registriert. Damit entfällt die Überprüfung des Käufers."

Zu den bekanntesten Szenevertretern gehört Cody Wilson, Gründer der Organisation "Defense Distributed" in Austin, Texas. "Defense Distributed" hat sich die Förderung von Open-Source-Waffen auf die Fahne geschrieben, sogenannten Wiki Weapons, um das Recht auf Waffenbesitz gegen die Regierung durchzusetzen. Doch der Staat schlägt zurück: Kalifornien reagierte bereits im Januar 2016 mit einer Gesetzesvorlage, wonach alle Teile, die klar als Komponenten einer Waffe identifizierbar sind, unter die Definition einer Schusswaffe fallen. Der TR-Beitrag zu Waffenbastlern in den USA wurde im Juli 2016 am häufigsten gelesen.

Was ist wirklich real?

Blaue Pille oder rote Pille? Wie in "The Matrix" kommt einem die Welt manchmal vor. Der Philosoph Thomas Metzinger vertritt gar die Theorie, dass unser Selbst nicht wirklich existiert. Im Interview mit Technology Review erläutert er, was er damit mit. "Das Gefühl, Sie selbst zu sein, also Ihr Ich-Bewusstsein, ist nach meiner Theorie eine Simulation Ihres Gehirns, ein inneres Modell mit vielen Schichten." Das Gehirn berechne aus allen Informationen, die ihm zur Verfügung stehen, was die beste Hypothese, die wahrscheinlichste Variante der Wirklichkeit sei – "und die präsentiert es Ihnen". So gesehen mache Mutter Natur die beste Virtual Reality.

Das habe etwa mit dem subjektiven Erleben zu tun. "Natürlich existieren der physische Körper und eine Außenwelt. Aber nach meiner Theorie gibt es beispielsweise keine farbigen Gegenstände vor Ihren Augen, sondern Mischungen von Wellenlängen", so Metzinger, der entsprechende Versuche mit Virtual-Reality-Anwendungen gemacht hat. Wie unser Gehirn die Welt sieht (oder sehen könnte), schildert der meistgeklickte TR-Artikel im August 2016 – das Gespräch mit Thomas Metzinger.

Kampf gegen das Vergessen

Schwere Demenzerkrankungen wie Alzheimer sind für die Betroffenen und ihr Umfeld eine Katastrophe. Bislang existieren noch keine oder nur schwach wirksame Therapieansätze – echte Medikamente fehlen. Ein von der Firma Biogen entwickelter Antikörper zur Bekämpfung von Ablagerungen im Gehirn könnte zur ersten echten Therapie gegen Alzheimer werden und eine lange Diskussion über die wahren Ursachen dieser Krankheit beenden, schreibt TR-Autor Antonio Regalado.

In Tests des Medikaments namens Aducanumab an 165 Patienten seien die Amyloid-Plaques bei denjenigen Probanden, die mit der Höchstdosis behandelt wurde, laut des Unternehmens Biogen fast vollkommen verschwunden. Die Ablagerungen gelten allgemein als der Faktor, der Nervenzellen sterben lässt und zum Gedächtnisverlust führt. Allerdings gibt es Nebenwirkungen. Bei manchen Patienten ließ es das Gehirn anschwellen, so dass sie aus der Studie ausscheiden mussten. Dies könnte das Anwendungspotenzial verringern, wenn das Mittel den Markt erreichen sollte. Der TR-Beitrag zur neuen Alzheimertherapie war meistgelesener Artikel im September 2016.

Energiespeicher im Berg

Erneuerbare Energien lassen sich im Gegensatz zu fossilen Energieträgern bekanntlich nicht immer konstant produzieren – die Sonne scheint mal mehr und mal weniger und auch der Wind bläst unterschiedlich stark. Entsprechend wichtig sind Zwischenspeichersysteme. Eine besonders interessante Anlage diesen Typs entsteht im württembergischen Gaildorf: Ein Kombinationskraftwerk, das aus Windrädern mit eingebautem Pumpspeicher besteht.

TR-Autor Daniel Hautmann erläutert, dass der Sockel der vier Windturbinen, die in einen Bergrücken gebaut werden, gleichzeitig als Wasserspeicher dienen. "Über Rohrleitungen sind sie mit einem Kraftwerk und dazugehörigem Unterbecken 200 Meter tiefer im Tal verbunden." Die Idee dabei: Wenn man sowieso schon gigantische Betonfundamente auf einem Berg errichtet, kann man sie auch gleich zu Wasserbecken ausbauen. Der TR-Beitrag zum gigantischen Wasserspeichersystem in Gaildorf kam im Oktober 2016 bei den Lesern am besten an.

Zum Mars und darüber hinaus

Elon Musk ist ein faszinierender Charakter: Der PayPal-, Tesla- und SpaceX-Gründer gibt sich mit einer Firma, einer Erfindung oder auch nur einem Projekt nie zufrieden. TR-Autor Peter Glaser beschäftigt sich in seinem gewohnt spaßigen "Verriss des Monats" mit den Milliardärsfantasien Musks. "Er möchte nämlich gern zum Mars und seine Mama muss ihm möglichst schonend beibringen, dass es damit wohl vorerst nichts wird. Denn der kleine Elon regt sich über Realitätskorrekturen an seinen vermeintlichen Visionen immer furchtbar auf."

Glaser spießt hier vor allem die Tatsache auf, dass Musks Mars-Pläne bislang noch keineswegs durchfinanziert sind. Als Fahrzeug hinüber auf den Roten Planeten solle eine 10 Milliarden Dollar teure Rakete mit einer 100-köpfigen Besatzung dienen, aus der dann eine Kolonie von einer Million Menschen hervorgehen könne. "Weshalb Behörden, Unternehmen oder andere Organisationen sich veranlasst sehen sollten, in ein solches Projekt zu investieren, sagte er nicht. Dass jemand freiwillig sein Leben auf dem Mars verbringen möchte, erscheint ähnlich wahrscheinlich wie sein Leben in der Antarktis verbringen zu wollen." Peter Glasers satirischer Musk-Verriss war meistgeklickter TR-Online-Beitrag im November 2016.

Ökowettbewerb der Stromer

Brennstoffzellen gelten seit Jahren als Antriebsform der Zukunft. Statt mit dicken Batterien sollen Elektroautos ihren Strom am besten gleich selbst erzeugen. Doch lohnt sich die Technik wirklich und ist sie ökologisch genug? Forscher haben für das Jahr 2035 berechnet, welche Variante die günstigste ist – anhand einer kalifornischen Modellstadt.

Die Analyse der Stanford University und der TU München kommt zu dem Schluss, dass gegenüber 2015 Autos mit Batteriezellen 40 Prozent an CO2-Einsparungen liefern werden, Brennstoffzellenautos 41 Prozent dagegen im Vergleich mit verbrennungsmotorisch betriebenen Fahrzeugen. Bei diesen ähnlichen Werten war es "allerdings interessant, dass dies mit Batterie betriebenen Fahrzeugen deutlich günstiger zu erreichen war als mit Brennstoffzellenautos", so einer der Autoren. Der TR-Beitrag zur Diskussion um die E-Auto-Antriebe war populärster Artikel im Dezember 2016.

(bsc)