Tote Innenstädte?

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Größere Läden wollen den gefürchteten Warteschlangen hingegen mit Selbstbedienungskassen begegnen. Laut EHI Retail Institute sind in Deutschland derzeit knapp 300 Märkte damit ausgestattet. Vorreiter sind Ikea und Real. Eine der bundesweit 90 Real-Filialen mit "Self-Checkout" befindet sich in Hannover-Linden. Es ist später Freitagnachmittag, und vor den normalen Kassen bilden sich kleine Schlangen. Die vier Scan-Stationen sind trotzdem meistens frei. Real berichtet, dass je nach Markt 10 bis 50 Prozent der Kunden die Selbstbedienungskassen nutzen. Hier und jetzt sind es deutlich weniger.

An der Technik selbst liegt es jedenfalls nicht – die funktioniert tadellos. Eine Stimme aus dem Lautsprecher sagt mir, was zu tun ist. Wenige Piepser später ist alles gebucht und bezahlt. Müsste ich allerdings den gesamten Wocheneinkauf einer Großfamilie erledigen, wäre ich – trotz Warteschlange – mit einer Kassiererin aus Fleisch und Blut besser bedient, denn die ist erfahrungsgemäß etwa doppelt so schnell.

Für Großeinkäufe eignen sich Handscanner besser, mit denen Kunden jeden Artikeln erfassen, während sie ihn in den Einkaufskorb legen. Etwa 25 Märkte in Deutschland bieten ihren Kunden diese Handscanner an. Um sie auszuprobieren, fahre ich nach Koblenz zu einem zweistöckigen Konsumklotz der Warenhauskette Globus. An der Infotheke muss ich zunächst ein Formular für eine Kundenkarte ausfüllen, denn ohne funktionieren die Scanner nicht. Am Drehkreuz gibt es eine große Ladestation für die Handscanner. Ich greife mir einen und mache mich auf den Weg durchs Einkaufsparadies. Pieps, pieps, pieps – die Liste auf seinem Display-Rücken füllt sich. Fehlgriffe lassen sich problemlos stornieren. Leider kann das Gerät nicht viel außer scannen und piepen. Mir würde in dem Riesenladen ein Navigator helfen, der mich zu den gewünschten Artikeln führt.

Am Checkout marschiere ich direkt auf die Selbstbedienungskasse zu. Sofort fängt mich eine freundliche Globus-Mitarbeiterin ab: Ich müsse erst auf einer Tafel einen Balkencode für "Einkauf beenden" einscannen, dann das Handgerät zurück in eine Dockingstation stellen, und anschließend könne ich an der Kasse meine Kundenkarte einscannen und zahlen. Ach so. Wenn man's einmal weiß, funktioniert's wie am Schnürchen. Beim Bier ist allerdings Schluss mit Selbstbedienung: Das muss die Mitarbeiterin manuell freischalten. Jugendschutz.

Mein Eindruck ist ähnlich wie bei Real: Das System ist gut durchdacht und bequem, scheint bei den Kunden aber nicht übermäßig gut anzukommen. Von den 75 Handscannern am Eingang waren während meiner Visite an einem Dienstagmittag höchstens ein Dutzend unterwegs. Lohnt sich dafür der Aufwand? "Sie müssen mal am Wochenende kommen", sagt mir eine Mitarbeiterin am Checkout. "Dann sind wir hier zu zweit, sonst schaffen wir das gar nicht." Auch das entspricht den Erkenntnissen anderer Ketten: Personal lässt sich damit kaum einsparen – schließlich muss stets jemand Kunden helfen, Altersfreigaben machen und die Einkäufe stichprobenartig kontrollieren. "Wenn Sie Kundenzufriedenheit wollen, machen Sie's", sagt Oliver Kluth von der Supermarktkette Dornseifer. "Wenn Sie Return on Investment wollen, lassen Sie's."

Immerhin: Globus berichtet, dass Selbstscan-Kunden im Schnitt mehr einkaufen. Und noch ein weiteres Motiv dürfte dahinterstehen: Da die Scanner fest mit der Kundenkarte verbandelt sind, bekommt der Konzern deutlich mehr Einblicke in das Kaufverhalten seiner Kunden. "Zeitpunkt der Entnahme und Rückgabe der Erfassungsgeräte, Anzahl und Zeitpunkt der Scanvorgänge, Stornierungen sowie Ergebnisse von Kontrollen werden (…) erfasst", heißt es auf dem Formular, das ich unterschrieben habe. Was geschieht mit diesen Daten? "So können wir zukünftig differenziert über Produktneuheiten und Aktionen informieren", sagt Bernd Grande, IT-Leiter von Globus.

Gerade bei solchen Kundendaten hat der stationäre Handel den größten Nachholbedarf gegenüber seinen Online-Konkurrenten. Denn die wissen dank Cookies in der Regel sehr genau, über welche Wege die Kunden zu ihnen kommen, was sie sich wann angeschaut oder weggeklickt haben. Entsprechend gut können sie ihr Angebot optimieren. Das treibt bisweilen bizarre Blüten: Über Google Shopping-Ads etwa bekommen Kunden oft günstigere Preise als auf der Webseite der Anbieter selbst.

Deckenkameras, Eye-Tracker, Kassendaten, Kundenkarten und Verbraucherbefragungen liefern heute auch stationären Läden verlässlichere Einblicke darüber, wie der Käufer tickt. Einige Ergebnisse lasse ich mir wieder bei GS1 in Köln zeigen. Neben der kleinen Boutique gibt es dort einen Mini-Supermarkt mit 800 Produkten. Er dient unter anderem dazu, sogenannte Category Manager auszubilden. Diese übersetzen Erkenntnisse über das Kundenverhalten in eine verkaufsfördernde Platzierung von Produkten. Dabei müssen sie sich von manchem jahrzehntealten Vorurteil verabschieden. So glaubten ganze Generationen von Händlern: Die Süßigkeiten gehören vor die Kasse, weil sich die Kunden nach dem anstrengenden Einkauf belohnen wollen. "Schokoriegel sind aber typische Impulskäufe", erklärt Betz.

"Also gehören sie dahin, wo man sie am besten sieht." Im GS1-Einkaufslabor stehen sie deshalb ganz vorn. Zwischen 3 und 30 Prozent lassen sich die Umsätze in einer Kategorie durch solche Optimierungen steigern, sagt Betz.

Noch tiefere Einblicke verspricht sich die Branche von Bluetooth-Beacons. Deren eigentliches Potenzial sehen viele Experten ohnehin nicht mehr in ortsbasierten Werbebotschaften. "Bevor es damit losgeht, sollten Händler erst mal ihre Kunden richtig kennenlernen", empfiehlt René Hentschel vom Hersteller Beaconinside. Und dazu können Beacons, ähnlich wie Cookies im Online-Handel, einiges beisteuern: Selbst wenn sich die App nicht meldet, kann sie doch übermitteln, wann, wie oft und wie lange sich der Kunde wo aufgehalten hat.

Dabei gibt es allerdings ein Problem: Wenn überhaupt, laden sich vor allem Stammkunden die App eines Händlers herunter – keine wirklich repräsentative Gruppe. Beaconinside arbeite deshalb "mit großen Publishern zusammen, um mehr Reichweite zu bekommen", so Hentschel. Soll heißen: Die Bluetooth-Ortung wird Huckepack auf eine bereits weit verbreitete App eines Medienhauses aufgesetzt. Wäre das nicht so etwas wie ein Tracking-Trojaner? "Nein – das geht natürlich nur, wenn man dem Kunden das auch erklärt und ihm konkreten Nutzen bietet", sagt Hentschel. Beispielsweise indem der Nutzer an bestimmten Orten kostenlos Zugriff auf bestimmte Dienste bekommt. Konkreter möchte sich Hentschel nicht dazu äußern. Im November soll das Projekt offiziell bekannt gemacht werden.