Virtuelle Zockerrunden

Da hockt er nun wieder vor seinem Rechner, der arme Tropf, und daddelt vor sich hin. Und wenns ihm zu einsam wird, geht er doch mal in die Schule und überträgt das virtuelle Massaker in die Realität ... Die Horrorvorstellung aller Eltern von Computer-begeisterten Kids ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen - ob sie tatsächlich zur Verrohung beitragen, ist bei Computer-Spielen allerdings genauso umstritten wie bei Horror-Videos. Und einsam sind Computer-Spieler schon lange nicht mehr. Ob im LAN oder im Internet, richtiger Spielspaß kommt oft erst in der Gruppe auf.

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Egal ob Echtzeitstrategie-, Rollen- oder Actionspiele: Ist der Computer erst einmal besiegt, sind immer mehr Spieler auf der Suche nach neuen Kombattanten. Mit Freunden im eigenen lokalen Netz oder mit Tausenden potenzieller Mitspieler im Internet bieten Multiplayer-Games ganz neue Möglichkeiten.

Die neuen Spielversionen stellen die Zocker aber vor ganz neue Herausforderungen. Beim Spielen im Internet kommt es nicht nur auf die Hardware des lokalen Rechners an, sondern auch auf die Verbindungsqualität und die Fähigkeit der Spieleprogrammierer, den Plot auch im Cyperspace umzusetzen (siehe den Test der Online-Spiele in c't 2/2000, Seite 100 ff. und die Tabelle auf S. 122). Andererseits erfordert das Spielen im LAN erst einmal die Einrichtung des Netzes mit der richtigen Hard- und Software (siehe c't 2/2000 ab S. 112). Auch bauen viele Multiplayer-Games im LAN auf unterschiedlichen Protokollen auf; und je mehr Spieler sich im LAN beteiligen (bis hin zu über tausend Zockern auf LAN-Partys), desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass nicht mehr alle Mitspieler das Spiel ungestört genießen können (siehe c't 2/2000 ab S. 116).

Glaubt man den Prognosen über die Wachstumsraten der nächsten Jahre, ist der Markt für Online-Spiele jedenfalls eine einzige Goldgrube. Laut einer Analyse von Datamonitor für den Gamechannel (ein Jointventure von Bertelsmann mit Viag Intercom), spielten 1999 weltweit etwa 8,4 Millionen PC-Spieler online; knapp zwei Drittel davon kamen aus den USA. Im Jahre 2004 sollen über 28 Millionen PC-Spieler weltweit am Draht hängen - 55 Prozent davon aus Westeuropa.

Und das ist noch nicht alles: Für Spielekonsolen sagt die Studie sogar 45 Millionen Online-Gambler voraus. Angesichts der momentanen Situation erscheint diese Prognose allerdings etwas optimistisch. Segas Dreamcast kommt zwar schon mit einem Internet-Anschluss, soll aber erst im Laufe des Jahres 2000 richtiges Online-Spielen ermöglichen [7]. Und Sonys Playstation II oder Nintendos Dolphin dürften damit erst 2001 aufwarten. Da wurden wohl erwartete Verkaufszahlen mit Online-Spielern gleichgesetzt ...

Trotzdem: Solche enormen Wachstumsraten treiben den Medienunternehmen natürlich Freudentränen in die Augen. Die Spielhersteller gehen dementsprechend auch langsam dazu über, nur noch rudimentäre Einzelspielervarianten in ihre Programme einzubauen. Statt die klassische Variante für den isolierten PC-Zocker zu erweitern, konzentrieren sie sich ganz auf den Multiplayer- und Online-Bereich.

Wer also immer noch glaubt, dass Computer-Spieler vereinsamte Menschen sind, die sich von der Außenwelt isolieren, ist auf dem Holzweg. Allerdings sind individuelle Auswirkungen auf einzelne Spieler umstritten. Spielsucht beispielsweise ist kein neues Phänomen; setzen sich Online-Wettbewerbe wie in den USA durch, bei denen dem Sieger mehrere tausend Dollar Preisgeld winken, kann sich dieses Problem schnell auch bei den Multiplayer-Spielen verschärfen. Aber bislang ist diese Form des Zockens mit dem PC keineswegs mit Glücksspielen wie etwa Roulette gleichzusetzen, die auch in der virtuellen Sphäre des Cyberspace immer mehr Menschen anlocken (siehe c't 2/2000, S. 97), sondern entspricht eher sportlichen Wettkämpfen.

Die größte Debatte findet aber um das Aggressionspotenzial der Computer-Spiele statt. Eine Studie des australischen Forschungsprojekts Computer Games and Australians Today ermittelte allerdings für Computer-Spiele ein recht niedriges Aggressionspotenzial. Und das richtete sich, wenn überhaupt vorhanden, auch noch gegen die Maschinen - weil sie mal wieder nicht so wollten wie die Spieler. Außerdem würde am Computer inzwischen bevorzugt in einer Gruppe gespielt, begleitet von Gelächter und ständigen Gesprächen über das ablaufende Spiel. Von Sucht könne zudem auch keine Rede sein: Für die meisten sei das Spielen am PC nur eines von vielen anderen Freizeitvergnügen, dem vor allem dann nachgegangen werde, wenn andere Formen der Unterhaltung gerade nicht zur Verfügung stünden.

Ob das alles wirklich so problemlos ist wie die Studie nahe legt, wird auch weiterhin heftig diskutiert werden. Es gibt kaum einen Bereich, für den so viele Untersuchungen mit sich widersprechenden Ergebnissen vorliegen wie bei der Diskussion um das Gewaltpotenzial von Computer-Spielen. Gerade nach den Ereignissen der jüngsten Zeit mit Amok laufenden Kids taucht immer wieder der Verdacht auf, die Hersteller blutrünstiger Computer-Spiele trügen ein gut Teil Mitverantwortung. Oft steckt hinter solchen Behauptungen aber nicht viel mehr als Lobbyismus: Wenn etwa rechte Politiker in den USA Medien und Computer-Spielen die Schuld an der Verrohung von Jugendlichen geben, entheben sie sich damit auf der anderen Seite der Notwendigkeit, Sozialprogramme aufzulegen. Untersuchungen, etwa von Prof. Dr. Jürgen Fritz an der FH Köln, legen dagegen nahe, dass erhöhtes Gewaltpotenzial durch Computer-Spiele zwar gefördert, aber nie ursächlich bedingt werden kann. Andere auslösende Faktoren müssen hinzukommen. Zudem scheint ein entscheidendes Kriterium für ein mögliches Aggressionspotenzial die Realitätsnähe der Spiele-Szenarien zu sein: Je weiter die Spiele sich in Fantasy-Welten verlieren, desto weniger erfolgt eine Beeinflussung des Verhaltens von Spielern in der Realität.

Vor der Zwei- oder Mehrsamkeit stehen aber bei den Multiplayer-Spielen einige Hürden. Über das Spielen im LAN (siehe c't 2/2000 ab S. 112) hat man wenigstens noch vollständige Kontrolle, was beispielsweise die Kosten angeht. Anders sieht das schon im Internet aus - dort gilt es einige andere Gegebenheiten als in einem lokalen Netz zu beachten. Längst nicht jedes Programm bietet im Netz der Netze ungehinderten Spielgenuss. Neben der Spielbarkeit trägt die Qualität der Verbindung entscheidend dazu bei, ob bei den Online-Spielen mehr Lust als Frust vorherrscht. Daher haben wir die bekanntesten Vertreter der Echtzeitstrategie- und Rollenspiele sowie der First-Person-Shooter getestet und überprüft, ob eine analoge Modem-Verbindung ausreicht oder es wirklich ISDN sein muss (siehe auch Tabelle zu den Antwort-Zeiten beim Spielen im Internet in c't 2/2000, Seite 101 und die Übersicht zu den getesteten Multiplayer-Spielen auf S. 122).

Bisher vermiesen dem Spieler in Westeuropa jedoch die im Vergleich gerade zu den USA immer noch hohen Telefon- und Einwahlgebühren den ungetrübten Spielspaß. Optimistische Schätzungen gehen zwar davon aus, dass bereits in zwölf Monaten die Online-Kosten gegen null tendieren werden; ob sich dies wirklich so schnell entwickelt, darf aber arg bezweifelt werden. Im Unterschied zum Vorreiter USA, wo die einzelnen Telefonunternehmen ihre eigenen Kabelnetze besitzen, müssen die Anbieter in Deutschland immer noch die Leitungen der Telekom mieten - beileibe keine kostenlose Angelegenheit.

Um einen Fuß in die Tür der Multiplayer-Spiele zu bekommen, bieten immer mehr große Unternehmen kommerzielle On-line-Spiel-Server an. Sie werben mit schnellen Verbindungen und bieten so genannten Clans (Spielgruppen), die sich regelmäßig zu Turnieren treffen, private Server zum Trainieren an. Bisher sind diese teilweise kostenpflichtigen Server jedoch gähnend leer: Kein Wunder, denn wer zahlt schon gerne Geld für etwas, was es woanders kostenlos gibt.

Bevor der Spaß so richtig losgeht, muss jedes Programm erst einmal auf den aktuellsten Release-Stand gebracht werden. Im Unterschied zu den Offline-Versionen - wo man auf diese Prozedur auch schon einmal verzichten kann - müssen bei Multiplayer-Spielen zwingend alle Teilnehmer über die gleiche Programmversion verfügen. Damit man hier nicht den Überblick verliert, haben die meisten Spiele dazu eine Autoupdate-Funktion eingebaut, die automatisch die neueste Version installiert. Diese Patches beheben Programmierfehler, verbessern die Performance und bieten schon mal neue Level und Spielvarianten. Bei Programmen ohne Autoupdate-Funktion sollte man regelmäßig die Webseiten der Hersteller besuchen.

Ein lästiges Dauerthema bei Online-Spielen sind die Cheater - Zocker, die sich mit kleinen Zusatzprogrammen einen unfairen Vorteil verschaffen. Gängige Praxis ist zum Beispiel der Einsatz von automatischen Zielvorrichtungen oder etwa der Austausch von farbigen Wandtexturen durch durchsichtige bei First-Person-Shootern. Bei Echtzeitstrategiespielen können die ganze Karte aufgedeckt oder unendlich viele Ressourcen und alle Technologien freigeschaltet werden. Die Hersteller versuchen mit immer neuen Patches den Cheatern beizukommen; einen hundertprozentigen Schutz gibt es jedoch bei keinem Spiel. Wenn allzu offensichtlich gemogelt wird, spricht sich dies bei den Profispielern schnell herum: Die betreffenden Personen werden von der Weltrangliste gestrichen und bei Turnieren ausgeschlossen. Subtile Formen des Mogelns bleiben jedoch zumeist unentdeckt.

Die Einwahl ins Netz und die Verbindungsaufnahme zu den Mitspielern geht bei allen Internet-fähigen Spielen leicht von der Hand. Jedes Programm verfügt über einen eingebauten Browser oder ein Chat-Programm, mit dem man sich mit wenigen Mausklicks in ein laufendes Spiel einklinkt oder mit anderen zu einem Spiel verabredet. Bei den Online-Rollenspielen und Mankind existieren nur offizielle Server, die die Hersteller betreiben. Bei den First-Person-Shootern wird jeder privat betriebene Server bei einem offiziellen Master-Server angemeldet. Wer in ein laufendes Spiel einsteigen will, ruft dann von diesem Master-Server eine Liste mit allen laufenden Spielen ab und kann diese nach Ping-Zeiten (also der Erreichbarkeit) und Spielvarianten sortieren.

Wer mehr Komfort wünscht, dem stehen externe Spielsuchprogramme wie Gamespy [1] zur Verfügung, die alle populären First-Person-Shooter unterstützen und eine Vielzahl von Filter- und Sortieroptionen bieten. Bei Gamespy kann man sogar nach bestimmten Spielern im Netz suchen und dann aus der Liste mit einem Mausklick das entsprechende Spiel aufrufen. Etwas anders ist die Kontaktaufnahme bei den Echtzeitstrategiespielen organisiert. Da es hier unsinnig wäre, in eine laufende Partie einzusteigen, werden die Spiele über ein Chat-Programm abgesprochen. Damit die Suche nach Gleichgesinnten nicht zu chaotisch wird, existieren für die unterschiedlichen Vorlieben und Spielstärken eigene Chat-Räume.

First-Person-Shooter, die beliebteste Variante aller Action-Spiele, ist immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften setzt regelmäßig die bekanntesten Vertreter dieser Gattung auf den Index, sodass die Spiele nicht beworben und nicht an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft werden dürfen. In den letzten Jahren haben die Hersteller darauf mit speziell für den deutschen Markt entschärften Versionen reagiert. Bei Half-Life wurden in der deutschen Ausgabe alle Menschen durch Roboter ersetzt und auch id Software verzichtet in ihrem neusten Spiel Quake III Arena weit gehend auf übertriebene Gewaltdarstellungen.

Die Fans sehen auf der anderen Seite diese Spiele eher als Sportart. Sie bilden Clans und halten Wettkämpfe und Turniere ab. Es gibt regelmäßig nationale und internationale Meisterschaften. Spiele wie Unreal Tournament unterhalten sogar eine Online-Weltrangliste. Profispieler üben nicht selten mehrere Stunden pro Tag. So hat jedes Spiel seine eigene Community.

Da die Spiele äußerst schnell sind, trüben kleinste Verzögerungen bei den Netzwerkverbindungen bereits den Spielgenuss. Die Spiele arbeiten dem entgegen, indem die Clients die Bewegungen der Mitspieler vorausberechnen und so kleinere Aussetzer überbrücken. Anders als bei Echtzeitstrategiespielen, bei denen ein Spieler mit einer langsamen Verbindung alle anderen ausbremst, ist bei den First-Person-Shootern nur die eigene Verbindungsgeschwindigkeit von Bedeutung. Gute Datenraten erlauben ein flüssiges Spiel und genaue Schüsse. Bei langsamen Verbindungen ruckelt das Spiel und man dient den anderen Mitspielern nur noch als Kanonenfutter.

[1] Gamespy-Homepage

[2] Loki-Games-Homepage

[3] Hartmut Gieselmann, Gladiatorenkämpfe, c't 21/99, S. 272

[4] Michael Dees, Schwerthiebe und Donnerbalken, c't 25/99, S. 212

[5] Johannes Endres, Spontanreisen, Internet-Zugänge ohne Grundgebühr, c't 14/99, S. 104

[6] Übersicht Internet-Tarife

[7] Harald Bögeholz, Gerald Himmelein, Jürgen Schmidt, Spiel mit Träumen, Ein zweiter Blick auf Segas Spielkonsole Dreamcast, c't 25/99, S. 140c't (jk)