Zahlen, bitte! 733.000 Kilometer Stau auf Deutschlands Autobahnen

Unschöne Begleiterscheinung der Urlaubszeit: Laut dem ADAC wurden im Jahr 2022 allein in Deutschland 733.000 Kilometer Stau verursacht. Ein Überblick zum Thema.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

In Deutschland enden allmählich die Sommerferien. Mit der Zeit verblassen Erinnerungen an die unvermeidlichen Staus auf der Autobahn hinter den zumeist schönen Urlaubserlebnissen. Dabei ist das Land der freien Fahrt für freie Bürger ein eifriger Produzent von Staukilometern, im geographischen Europa nur übertroffen vom Brexit-geplagten Großbritannien.

Nix geht mehr, ob auf der Brücke oder der Stadtautobahn: Ein typischer Rush-Hour-Baustellenstau im Jahre 2022.

(Bild: Markus Will)

Nach Angaben des ADAC kam Deutschland im Jahr 2022 auf 733.000 Kilometern Stau oder stockenden Verkehr. In 474.000 gemeldeten Staus brauchten die Verkehrsteilnehmer insgesamt etwa 333.000 Stunden Geduld. Nichts deutet darauf hin, dass es dieses Jahr weniger Kilometer werden. Nach Angaben der Schleswig-Holsteinischen Autobahnpolizei sei etwa die Abfahrt aus dem Wackener Festival-Schlammbad Ursache für einen der bisher größten Ferienstaus anno 2023 gewesen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Über den Stau an sich sind überraschend viele Theorien und psychologische Erklärungen im Umlauf. Es gibt eherne Staugesetze wie jenes, das besagt, dass in Hamburg IMMER Stau ist. Es gibt verwegene Behauptungen, die besagen, dass es eine heimliche Sehnsucht nach Staus gibt und irgendwo immer der Freudenschrei Endlich Stau! erklingt, nicht nur, wenn Gummibärchen auf der Autobahn liegen. Detlef Groening vom NDR hat zumindest für die nördliche A7 eine Theorie über einen Stau-Verursacher: Karl-Heinz und Rosi.

Und natürlich gibt es bald eine Künstliche Intelligenz, die Staus verhindern soll. Ganz sicher. Noch eine Seltsamkeit: Ein Drittel aller Staus werden Phantomstaus genannt, obwohl sie sehr real sind. Sie entstehen bei einem unerwarteten Manöver unter hohem Verkehrsaufkommen. Dabei kann ein Verbremser ausreichen, der im dichten Verkehr und unter unzureichenden Abständen eine Kettenreaktion auslöst, sodass einige Fahrzeuge dahinter bereits die Autos zum Stehen kommen können.

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Dann gibt es noch die Wissenschaft, die den Autobahnverkehr und seine Staus untersucht. Man denke nur an das Forschungsprojekt "Sichere Intelligente Mobilität Testfeld Deutschland“ (simTD), das 2013 seinen Abschlussbericht (PDF-Datei) vorlegte. simTD untersuchte und simulierte, wie die direkte Car-to-Car-Kommunikation Gefahrenlagen und Staus verhindern könnte. Die Wissenschaftler kamen seinerzeit zu dem Schluss, dass ein volkswirtschaftlicher Nutzen von 4,9 Milliarden Euro jährlich durch die Reduzierung von Staustunden und durch die Vermeidung von Umweltbelastungen erzielt werden können.

Bei den vermiedenen Verkehrsunfällen sollte gar ein volkswirtschaftlicher Nutzen von 6,5 Milliarden Euro entstehen. Bleibt nur die Frage, warum sich die Car-to-X-Kommunikation bisher nicht durchgesetzt hat. Gut Ding staut sich halt: Das entsprechende Konsortium gab im Oktober 2022 bekannt, dass die Autobahn GmbH bis Ende 2023 alle Sicherheits-Hinweistrailer mit C-ITS ausrüsten wird, dem "Cooperative Intelligent Traffic System", das Warnungen direkt in die Autos übertragen kann.

Wer noch weiter zurückgeht, wird auf das seltsame Akronym ASDA/FOTO stoßen. Ausgeschrieben ist das im besten Denglisch die "Automatische StauDynamik Analyse und Forecasting of Traffic Objects", eine Software, die im Jahr 2010 für das Projekt "Staufreies Hessen 2015" entwickelt wurde. Die Software basierte auf der Dreiphasen-Verkehrstheorie (PDF-Datei) des russisch-deutschen Verkehrsforschers Boris Kerner. Dabei wird versucht, neben dem freie Verkehr die beiden Verkehrszustände des gestauten Verkehrs, den synchronisierten Verkehr (synchronized flow) und den sich bewegenden breiten Stau (wide moving jams) zu erkennen.

Weniger wissenschaftlich wurde in Hessen versucht, bei den dreispurigen Autobahnen bei den ersten Anzeichen eines Staus die Standspur als Fahrspur zu öffnen und den Stau zu verhindern. Das Projekt Staufreies Hessen 2015 war ein Prestigeprojekt des damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch und erwies sich als Wunschtraum, weil sich der Stau dann auf vier Spuren breit machte: Der Rückfluss der Daten zur Verkehrssteuerung war viel zu langsam. Das bewusste Umsteuern auf andere Verkehrsmittel wie bei dem Projekt "Mobiles Hessen 2020" stand seinerzeit nicht zur Debatte.

Eine Rettungsgasse ermöglicht den Rettungs- und Einsatzkräften schnell die Unfallstelle zu erreichen und sorgt dafür, dass im Notfall Leben gerettet werden und der Stau nicht länger als nötig dauert. Sie wird gebildet zwischen der innersten Spur, dessen Fahrzeuge sich links orientieren, und der Spur rechts daneben deren Fahrzeuge nach rechts für Platz sorgen.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Partynia)

Man kann das Stauproblem mit vielen weiteren Theorien erklären. Es gibt das Braes-Paradoxon aus dem Bereich der Spieltheorie, es gibt das General Motors-Modell für Staus in der Stadt. Und wer jetzt im Stau steht, kann sich mit dieser Stausimulation die Zeit vertreiben – oder von der Zukunft träumen. Denn da wird die 5G Automotive Association ihre schnelle Technologie der "Cellular Vehicle-to-Everything" (C-V2X) fertigstellen und C-ITS europaweit zur Verfügung stehen. Schon heute schwärmt die Bundesanstalt für Straßenwesen von einem C-ITS-Korridor der sich von Rotterdam über Frankfurt am Main bis nach Wien erstrecken soll. Beim Klick auf den Link zum deutschen Teil des Korridors kommt eine dieser Internetstaumeldungen.

Bei allen technischen Innovationen ist allerdings eines gewiss: Die nächste Urlaubszeit und damit der nächste Superstau kommt bestimmt.

(mawi)