Eclipse auf Rädern
Autos benötigen nicht nur Sprit, sondern immer mehr Software. Der offene Standard AUTOSAR soll den Herstellern bei der Entwicklung von Steuergeräteprogrammen helfen. Als technische Basis bietet sich die IDE Eclipse an, mit der sich die Werkzeuglandschaft innerhalb der Branche zusammenführen ließe.
- Barbara Lange
Mit AUTOSAR (AUTomotive Open System ARchitecture) hat die Automobilindustrie einen offenen Standard für Steuergerätesoftware im Auto entwickelt, der das Erstellen einer Architektur für Embedded-Systeme ermöglicht. Damit können Entwickler ihre Programme unabhängig von der darunterliegenden Hardware, den herstellerspezifischen Electronic Control Units (ECUs) oder Bus-Systemen modellieren (siehe Kasten „Warum AUTOSAR?“).
Warum AUTOSAR?
Die Anzahl elektronischer Steuergeräte (Electronic Control Units, ECUs) im Auto steigt stetig an. Etwa 70 ECUs kontrollieren derzeit die Funktionen unter der Haube, nicht nur den Motor, sondern auch die Klimaanlage, die Airbags, das ABS und zahlreiche andere Assistenzsysteme. Die eingebettete Software ist inzwischen so komplex, dass althergebrachte Entwicklungsmethoden den Anforderungen nicht mehr genügen.
Mit AUTOSAR hat die Automobilindustrie einen Standard geschaffen, der eine offene Softwarearchitektur fĂĽr ECUs definiert und die Hardware von der Software entkoppelt. In der Embedded-Welt waren die Systembestandteile meist innig verbunden, das heiĂźt, die eingesetzten Programme laufen nur auf genau einer ECU, einem Mikrocontroller oder einem Bus. Ihr Einsatz etwa in verschiedenen Fahrzeugmodellen war so lange ausgeschlossen.
Portable Software erfordert auch die Trennung von Kommunikation und Funktion. Im AUTOSAR-Modell erledigt das der Virtual Function Bus (VFB) im Zusammenspiel mit dem Runtime Environment (Abbildung 3 im Artikel). RTE abstrahiert von den realen Steuergeräten und regelt als Middleware den Datenaustauch zwischen den Softwarekomponenten über verschiedene Bussysteme. So können die zuerst in hochpreisigen Modellen eingesetzten Hightech-Funktionen nach und nach in andere Fahrzeugklassen einfließen, ohne dass die Software jedes Mal neu erstellt werden muss.
Dafür braucht man Werkzeuge, denn Spezifikationen allein reichen nicht. Elektrobit, Vector Informatik und Geensys beispielsweise haben Entsprechendes im Angebot. Das Problem: AUTOSAR definiert mehrere Schritte für die Systementwicklung, für die jeweils unterschiedliche Produkte existieren, etwa zur Konfiguration von Basissoftware oder zum Modellieren der Programmstruktur. Eine durchgängige Kette interoperabler Tools verschiedener Hersteller, die der Nutzer frei zusammenstellen kann, fehlt noch.
Als Basis für standardkonforme Entwicklungswerkzeuge für die Automobilbranche ist Eclipse im Gespräch. Die vielfältigen Aktivitäten gehen von zwei Seiten aus: Zum einen gibt es Industrieprojekte wie Artop und Edona, zum anderen gründet sich derzeit eine „Automotive Industry Working Group“ innerhalb der Eclipse Foundation.
Im Projekt Artop (AUTOSAR Tool Platform) beschäftigen sich Vertreter der Automobil- sowie Tool-Branche mit dem Einsatz von Eclipse (siehe iX-Link). Artop soll die Grundlage dafür schaffen, dass kommerzielle Werkzeuge zeitnah mit Versionen des Standards herauskommen können – bislang liefern die Anbieter nicht schnell genug. Darüber hinaus will man eine gemeinsame technische Basis schaffen, die Interoperabilität und Hersteller-Unabhängigkeit gewährleistet.
Standards, Referenzen, Open Source
Mitglieder der Artop User Group sind Geensys, BMW Car IT, Continental, Peugeot Citroën Automobiles, itemis, OpenSynergy und Tata Elxsi. Gemeinsam haben sie eine AUTOSAR-Referenzimplementierung vorgestellt, die das Metamodell umsetzt und Werkzeuganbietern Basisfunktionen zum Entwickeln standardkonformer Tools zur Verfügung stellt. Die erste Artop-Release erschien im Oktober 2008, im Juli 2009 schaltete man die Release 1.2 frei. Sie unterstützt die AUTOSAR-Spezifikationen ab 2.0. Artop nutzt die Programmiersprache Java und das Eclipse Modeling Framework (EMF), in Zukunft will man weitere Eclipse-Komponenten hinzufügen, zum Beispiel C/C++ Development Tooling (CDT) und Business Intelligence and Reporting Tools (BIRT).
Warum Eclipse? „Ziel ist es, eine effiziente, offene, erweiterbare Plattform zu haben, und da ist Eclipse die erste Wahl. Die einzige, die mir einfällt“, sagt Michael Rudorfer, Teamleiter Software-Infrastruktur bei BMW Car IT. Dort existierte bereits 2004 ein hausinternes Projekt namens Orpheus, das die freie Entwicklungsumgebung als Grundlage für ein prototypisches AUTOSAR-Tool verwendet.
Die Erweiterbarkeit von Eclipse durch Plug-ins, die große Community und die nicht entstehenden Lizenzkosten bieten Vorteile für Werkzeuglieferanten, Benutzer und Automobilhersteller. Alle können Produkte mit offenen Schnittstellen leichter in die firmeninterne Softwareinfrastruktur einbinden, präzisiert Rudorfer. Und durch die Unabhängigkeit von bestimmten Anbietern bleibt eine Wartung über viele Jahre hinweg möglich.
Artop hilft den Tool-Lieferanten dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, wie es auch im Grundsatz der Standardisierungsinitiative AUTOSAR heißt: „Cooperate on standards – compete on implementation“. Wobei hier wie auch in anderen Branchen umstritten ist, wie weit ein Standard geht und wo der Wettbewerb beginnt. Fraglich ist beispielsweise, ob eine Referenzimplementierung zu einem Standard dazugehört oder nicht.
Offenes und Verschlossenes
Einen weiteren Vorteil von Eclipse nennt Andreas Graf, Projektmanager bei itemis: Es gebe genug Entwickler, die in der Lage sind, firmenspezifische Anpassungen vorzunehmen. „Wenn Anforderungen mit einem Tool von Hersteller A, Programmierungen mit einem von Hersteller B und Tests mit dem Werkzeug eines dritten Herstellers erfolgen, ist der Integrationsaufwand hoch“, so Graf. Eine leicht erweiterbare Basis wie Eclipse könne hier eine durchgängige Werkzeugkette ermöglichen, die alle Funktionen von der ersten Anforderung bis zum Test abbildet.
Artop ist zwar kein klassisches Eclipse-Projekt, nutzt die Plattform aber als technisches Gerüst und orientiert sich an der Eclipse Public Licence. Allerdings dürfen nur AUTOSAR-Mitglieder die Referenzimplementierung nutzen. Hintergrund dieser Einschränkung sind AUTOSAR-Regularien, die eine Veröffentlichung für die Allgemeinheit ausschließen. Die Artop-Sources sind also nur einem bestimmten Benutzerkreis frei zugänglich. Alle nicht öffentlichen Codeteile befinden sich innerhalb des AUTOSAR Layer (AAL) (siehe obige Abbildung 2). Es wird jedoch nicht alles unter der Decke bleiben, den darunterliegenden Complementary Layer will man als Eclipse-Projekt veröffentlichen. Hinter dem Competitive Layer verbergen sich die kommerziellen Werkzeuge, die die Hersteller als Eclipse-Plug-ins entwerfen sollen.
Ein Produkt existiert bereits: Geensys bietet mit dem AUTOSAR Builder die nach eigenen Aussagen erste Artop-konforme Umgebung fĂĽr das System- und ECU-Design. Continental migriert derzeit sein Konfigurationstool CESSAR CT (Continental Engineering Services Solution for AUTOSAR Configuration Tool) auf Artop. Anfang 2010 soll der Prozess abgeschlossen sein.
Gemessen an AUTOSAR mit etwa 170 Mitgliedern ist die Zahl der an Artop teilnehmenden Unternehmen überschaubar, und es lässt sich noch nicht abschätzen, ob deren Arbeit von Erfolg gekrönt sein wird. „Es knistert, und es ist noch nichts entschieden“, sagt Stephan Eberle, Product Development Manager bei Geensys. „Derzeit haben über 500 Nutzer aus 100 Firmen Artop heruntergeladen. Die Community muss noch wachsen“, so Rudorfers Einschätzung. Die größte Herausforderung sei es, die potenziellen Kandidaten zur aktiven Teilnahme zu bewegen. Auf jeden Fall sei das Interesse größer, als es die Mitgliederzahl vermuten lässt, betonen alle für diesen Artikel Befragten.
Viele Werkzeuganbieter können jedoch nicht so einfach auf eine neue Technik wie Artop umsteigen, denn ihre Produkte stehen historisch bedingt auf einem anderen Fundament und müssen nachträglich an AUTOSAR angepasst werden. Vector Informatik und Electrobit haben dies schon hinter sich, allerdings auf Basis ihrer proprietären Technik. Vector Informatik prüft derzeit die prinzipielle Eignung der Referenzimplementierung. Da sich die Kunden offensichtlich für das Thema interessieren, gebe es mittlerweile die Vorgabe, bei der Konzeption neuer Produkte Eclipse einzusetzen, sagt Matthias Wernicke, Produktmanager AUTOSAR Tools bei dem Unternehmen. Wichtiger als Eclipse findet er jedoch den Grundgedanken des Standards: ein vereinheitlichtes Beschreibungsmodell und die XML-basierten Austauschformate.
Elektrobit setzt mit seinem Werkzeug EB tresos Studio zwar auf Eclipse, nicht aber auf Artop. Das Softwarehaus plant eine Plug-in-Version der Software. Um die Einsatzmöglichkeiten insgesamt zu verbessern, sieht Thomas Seydel, Produktmanager bei Elektrobit, die Einigung der Hersteller auf eine Eclipse-Version jeweils für ein paar Jahre als Voraussetzung. IBM bietet mit Rational Rhapsody ebenfalls ein Eclipse-Plug-in, das AUTOSAR unterstützt.
Die Eclipse Foundation selbst will, wie schon erwähnt, mit auf die Automotive-Reise. Laut Ralph Müller, Europa-Repräsentant der Stiftung, ist eine Distribution geplant, die Projekte wie Artop oder das in Frankreich beheimatete Forschungsprojekt Edona vereinheitlicht. Sie soll den gesamten Software-Entwicklungszyklus der Automotive-Branche unternehmensübergreifend abbilden. Im ersten Schritt will die sich derzeit formierende Eclipse Automotive Industry Working Group Ergebnisse aus anderen Eclipse-Projekten und -Komponenten in die Werkzeugentwicklung für den Automobilbereich integrieren. Zielgruppe sind – ebenso wie bei Artop – die Tool-Hersteller. Die angekündigte Distribution soll – im Gegensatz zu Artop – auch den Unternehmen eine Perspektive eröffnen, die nicht Mitglied bei AUTOSAR sind.
Laut Hans-Jürgen Kugler, Leiter der IWG, muss es einen „automotiven Kern“ geben, etwas, das „nach Benzin und Blech riecht“, eine „Eclipse-Version mit Rädern“. Dazu gehört zum Beispiel der „Artop Eclipse Complementary Layer“ der den nicht AUTOSAR-proprietären Teil enthält. Kugler setzt auf die Erfahrungen des Flugzeugbauers Airbus, der sich klar für Open-Source-Software ausgesprochen hat. Denn der 25-jährige Lebenszyklus und die ebenso lange Wartung eines Flugzeugs sprechen gegen die Bindung an proprietäre Werkzeuge. Airbus betreibt das Projekt Topcased, eine auf Eclipse aufbauende Tool-Kette.
Noch ist nichts entschieden
Ob sich Eclipse als Plattform für die AUTOSAR-konforme Entwicklung von Steuergerätesoftware in Kraftfahrzeugen durchsetzen wird, ist noch nicht ausgemacht. Vieles spricht für die offene Plattform: Eine große Anwenderschar, die Herstellerunabhängigkeit sowie ein Plug-in-Konzept, das die zahlreichen Produkte auf einer Plattform harmonisiert. Es gibt überdies deutliche Anzeichen dafür, dass Tool-Anbieter in Projekten wie Artop Basiskomponenten erstellen und innerhalb der AUTOSAR-Community offenlegen. Nach Einschätzung zahlreicher Fachleute wird sich dadurch sowohl die Entwicklungsgeschwindigkeit als auch die Qualität der Software im Automotive-Bereich erhöhen.
Barbara Lange
ist IT-Journalistin und Inhaberin des RedaktionsbĂĽros kurz&einfach in Lengede.
iX-Tract
- AUTOSAR hat sich als Standard in der Automobilindustrie etabliert. Die Artop User Group hat eine auf Eclipse basierende Plattform hervorgebracht, auf der Softwarehäuser Werkzeuge entwickeln können.
- Eine Arbeitsgruppe der Automobilindustrie, die sich derzeit innerhalb der Eclipse Foundation grĂĽndet, plant die Herausgabe einer eigenen Eclipse-Distribution fĂĽr die Branche.
- Mit Standards, Referenzimplementierungen und Open-Source-Werkzeugen wollen die Automobilhersteller erreichen, dass der steigende Softwareanteil im Auto handhabbar bleibt.
(jd)