Patenter Irrsinn
Den Auseinandersetzungen um Softwarepatente. gebührt ein Spitzenplatz in der Kategorie „akzeptierter Wahnsinn“.
- Christian Kirsch
Bei manchen Alltagsphänomen mag sich der Beobachter um den Geisteszustand der Beteiligten sorgen: im Dschungel dümpelnde C-Sternchen, Promotionen fälschende Politiker und Prozesse um Maschendrahtzäune etwa. Der Spitzenplatz in der Kategorie „akzeptierter Wahnsinn“ gebührt jedoch zurzeit den Auseinandersetzungen um Softwarepatente.
Dankenswerterweise hat Oracle der Öffentlichkeit den Blick ins Irrenhaus ermöglicht. Es klagt seit einem Jahr gegen Google, das mit seinem mobilen Betriebssystem Android gegen sieben Java-Patente verstoßen soll. Betroffen sind über 160 einzelne Ansprüche, und Oracle möchte rund 2,6 Milliarden Dollar Schadenersatz.
Von solchen Summen trennt man sich ungern. Also warf Google die Schutzschriften dem US-Patentamt (USPTO) zu und verlangte eine erneute Prüfung. Die ist mittlerweile für fünf Patente erledigt, und bis auf eines wurden sie ganz oder in Teilen für ungültig erklärt.
Die komplette Lektüre der betreffenden Dokumente kann nur jenen geraten werden, die unter schwerer Schlaflosigkeit leiden. So manches Detail verdient jedoch wache Beachtung – als Illustration der mentalen Ausnahmesituation, in der sich viele Beteiligte inzwischen befinden. So hält das USPTO nun ein Patent für ungültig, weil wesentliche Aspekte bereits 30 Jahre vor seiner Beantragung Teil des Unix-Vorgängers Multics gewesen seien. Bei einem anderen Patent verweist es unter anderem auf Maurice Bachs Standardwerk „The Design of the Unix Operating System“ aus dem Jahr 1986. 17 Jahre nach dessen Erscheinen hatte Sun seine Schutzschrift eingereicht.
Immer geht es dabei um den Stand der Technik, auf Amerikanisch „prior art“: Der lässt sich nicht patentieren, weshalb ein Patent ungültig ist, wenn es nur das allgemein Übliche beschreibt. Offenbar kann aber das USPTO den Stand der Technik nur feststellen, wenn ihm eine interessierte Partei Spickzettel zuschiebt: Ohne Googles Vorarbeiten hatte die Behörde weder Multics noch Bach entdeckt. Was hier deutlich wird, dürfte nur die Spitze des Prior-Art-Berges sein: Die Juristen von Groklaw behaupten, dass das USPTO über 90 Prozent aller überprüften Patente aufhebe.
In der zweiten Runde schlägt Oracle zurück: Sicher, das Eine oder das Andere und auch das Dritte habe es schon gegeben. Auch in den Kombinationen A/B, B/C und A/C. Aber alle drei in einem Produkt – das sei damals einzigartig und patentwürdig gewesen. Heute sehe das vielleicht anders aus, aber hinterher sei man eben immer klüger.
Microsoft wiederum möchte auch ein Stück vom Android-Kuchen, und es hat Patente. Statt aber gegen Google zu klagen, hält es bei den Geräteherstellern die Hand auf. Gegen einige prozessieren die Redmonder wegen angeblich verletzter Patente, mit anderen haben sie Lizenzabkommen geschlossen. Deren Details, auch die betreffenden Patente, bleiben geheim.
Anderswo gibt man offen zu, dass man nichts weiß: Das MPEG-LA-Konsortium sucht nach Patenten, die Googles VP8-Codec betreffen könnten. Denn die Suchmaschinenfirma bewirbt diese Technik als patentfrei, ohne dafür einen Beweis zu haben. Nur eine Klage würde Patentansprüche offenbaren. Ein kluger Rechteinhaber wartet damit, bis möglichst viele den vermeintlich freien Codec einsetzen, um dann richtig abzukassieren.
Derweil droht das Rechtssystem mit Kapitulation. Der Richter im Oracle-Google-Verfahren forderte zunächst eine Reduktion der Klage auf lediglich drei Ansprüche, denn über alle könnten die Geschworenen ohnehin nicht in angemessener Zeit entscheiden. Darauf wollte sich Oracle nicht einlassen. Jetzt möchte der Richter das Verfahren am liebsten verschieben, bis das USPTO erneut über die Patente entschieden hat. Dazu können sich die Beteiligten äußern, aber bitte nicht zu lange, das Gericht habe noch anderes zu tun.
Das wäre wohl das beste Ende, das man dieser Truppe von Zweitverwertern, Anwälten, Prozesshanseln, Ahnungslosen, Trollen und Überforderten wünschen könnte: den Zusammenbruch des Systems, weil keiner mehr durchblickt oder Lust hat, sich mit dem Quatsch zu befassen. (ck)