Pro & Contra: Alte Zöpfe abschneiden?

Apple stellt Standards wie den Dock-Connector gerne mal ohne Vorwarnung ein. Ist das der richtige Weg?

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Artikel aus Mac & i Heft 5/2014, S. 7

Für Wolfgang Reszel überwiegen die Vorteile, überholte Technologien über Bord zu werfen und Platz für Neues zu schaffen.

Apple wirft Bewährtes nicht einfach aus einer Laune heraus über den Haufen. Der Wechsel zum Lightning-Anschluss räumte mit vielen Unzulänglichkeiten des Dock-Connectors auf. Ich kann ihn beidseitig nutzen, er sitzt deutlich stabiler, erlaubt kompaktere Geräte, ist schneller und liefert mehr Strom. Ohne Lightning würde ich Apple heute wohl lange Ladezeiten und vergleichsweise dicke Tablets vorwerfen.

Die Entscheidung, Aperture und iPhoto durch eine zeitgemäße App zu ersetzen, kann ich nur begrüßen. Warum zwei sehr unterschiedliche Programme für dieselbe Aufgabe pflegen, wenn man doch alle Funktionen in einer modularen Anwendung unterbringen kann?

Apple stellt neue Macs natürlich mit dem derzeit aktuellen Betriebssystem vor. Die Vorgänger funktionieren nicht mehr. Doch Treiber für die neue Hardware nachzuliefern, wäre nur die halbe Miete. Für volle Kompatibilität müsste Apple auch Architekturänderungen wie von MobileMe zu iCloud doppelt unterhalten. Die meisten Anwender aktualisieren sowieso kostenlos auf das aktuelle OS X. Neue Entwickler-Frameworks erleichtern dabei nicht nur den Programmier-Alltag, sondern bringen mir als Anwender moderne, stabile und performante Apps, die neue Hardware optimal ausnutzen.

Und wenn Apple bei einem Update gar alte System-Bibliotheken beiseite räumt, heißt das auch: weniger potenzielle Fehlerquellen und Sicherheitslücken. Die Entwickler werden meist schon Jahre zuvor informiert. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln, wenn das von 2008 bis 2011 gepflegte QuarkXPress 8 genau wegen des 2005 als veraltet erklärten „Open Transport“ nicht mehr unter OS X 10.9 läuft.

Klar, nicht alles Neue ist auch automatisch besser, doch in der Summe profitiere ich vom Fortschritt. Ohne Apples Mut würden wir heute noch auf hoffnungslos komplexen Smartphones ohne Multitouch rumfummeln. Oder arbeitet noch jemand mit Disketten? (wre)

Johannes Schuster wünscht sich von Apple nicht nur Innovationen, sondern auch
Investitionssicherheit und Kompatibilität.

Sicherlich ist mancher harte Schnitt begrüßenswert, sonst würden wir vielleicht immer noch auf den PowerPC-G5 mit 2 GHz für PowerBooks warten, während sich alle Windows-Nutzer über schnelle Prozessoren von Intel und AMD freuen. Doch ist es wirklich nötig, quasi über Nacht eine Sammlung teurer Peripherie zu altem Eisen zu machen? Weitere Beispiele sind Thunderbolt statt FireWire, SD-Cards statt PCMCIA, DVI statt Apple-Display-Connector sowie der Wegfall von Zip- und CD/DVD-Laufwerken. Externe Lösungen und Adapter dienen zwar als Zwischenlösung, sie kosten aber Geld und irgendwann landet die einst teure Peripherie doch in der Schublade beim übrigen Elektroschrott.

Kein Aperture-Anwender, der seinen Foto-Workflow auf den Raw-Konverter eingestellt hat, ist von dessen Einstellung begeistert. Final-Cut-Profis vermissen in der neuprogrammierten Version nach wie vor viele Funktionen. iMovie, Pages, Numbers und Keynote wurden von Grund auf überarbeitet. Hinterher konnte die alte Version Dateien, die einmal mit der neuen, funktionsärmeren Software geöffnet worden waren, nicht mehr verwenden.

Wenn es nach mir ginge, würde Apple bei neuen Rechnern nicht auf neueste Betriebssysteme bestehen. Mancher Mac-Käufer möchte lieber ältere Versionen verwenden, weil seine Arbeitsumgebung mit Software, Skripten und Hardware-Treibern noch nicht auf dem aktuellen OS X läuft. Es kann doch nicht sein, dass sich Anwender von Quark & Co. gebrauchte Apple-Rechner kaufen müssen.

Und wieso vermögen selbst Benutzer von Windows XP ihr nagelneues iPhone oder iPad mit iTunes für PCs synchronisieren, wenn auf einem Mac mindestens 10.6.8 verlangt wird? Innovationen sind schön, aber Investitionssicherheit und Kompatibilität zählen bei Profis und treuen Amateuren mindestens genauso viel. Wer Zöpfe abschneidet, muss lange warten, bis
das Haar nachgewachsen ist. (jes)

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