Kommentar: Wie Altmaier Stromprognosen als politische Verhandlungsmasse benutzt

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erhöht seine Prognosen für den Stromverbrauch. Bisher hatte er damit immer gerne seine eigene Untätigkeit kaschiert.

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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

(Bild: © BPA/Steffen Kugler)

Lesezeit: 3 Min.

Überraschung! Der Stromverbrauch wird steigen! Was die meisten Experten seit Jahr und Tag vorrechnen, hat sich nun auch bis ins Bundeswirtschaftsministerium herumgesprochen. Es hat seine Prognose für 2030 von 580 auf 655 Terawattstunden (TWh) erhöht. Grund dafür seien verschärfte Klimaziele, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Diese führten unter anderem zu mehr E-Autos und Wärmepumpen.

Das Überraschendste daran ist, dass diese Entwicklung für das Ministerium offenbar überraschend kommt. Schließlich besteht ein zentraler Hebel der Verkehrs- und Wärmewende darin, fossile Energiequellen durch Strom zu ersetzen. Insofern ist ein steigender Strombedarf per se keine schlechte Nachricht, solange der Verbrauch an fossiler Energie dadurch insgesamt sinkt.

Doch für Altmaier war das Beharren auf einem stagnierenden Stromverbrauch die bequemste – und wohl auch einzige – Möglichkeit, seine Untätigkeit bei der Energiewende zu kaschieren.

Dieses Versagen besteht auf drei Ebenen: Erstens passen die Ziele nicht zu denen des Pariser Klimaabkommens. Danach hat jedes Land nur noch ein festes CO2-Budget zur Verfügung. Doch statt mit solchen absoluten Zahlen zu rechnen, hantiert die Bundesregierung seit jeher mit relativen Werten: Minus 65 Prozent bis 2030.

Das Bequeme dabei: Während ein festes CO2-Budget nicht verhandelbar ist, kann man bei relativen Zielen öffentlich mit vermeintlich ambitionierten Prozentzahlen protzen und hinter den Kulissen die Basis zurechtfeilen, bis kaum noch etwas davon übrigbleibt. Dabei interessiert sich das Klima nicht für relative Senkungen. Es zählen nur die absoluten Tonnen an Treibhausgasen. Bei den bisherigen Annahmen zum Stromverbrauch beziffert das Umweltbundesamt die so entstandene "Ambitionslücke" auf 26 bis 29 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente.

So weit, so schlecht. Doch zu dieser Ambitionslücke gesellt sich auch noch eine "Umsetzungslücke". Das bedeutet: Altmaiers Haus schafft es nicht einmal, seine ohnehin zu niedrigen Ziele zu erreichen.

Eigentlich bieten die Ausschreibungen für Erneuerbare dafür genau das passende Instrument: Wenn man weiß, wie viel Erneuerbare man braucht, muss man einfach das entsprechende Volumen ausschreiben. Doch dieses Volumen war schon in der Vergangenheit notorisch zu niedrig. Und seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom April hat sich das Wirtschaftsministerium noch nicht bemüßigt gefühlt, den Ausbaupfad heraufzusetzen.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Es kommt noch schlimmer: Nicht einmal das ohnehin zu niedrige Ausbauvolumen wird erreicht, weil viele Projekte, die einen Zuschlag erhalten haben, wegen bürokratischer oder anderer Schwierigkeiten nicht verwirklicht werden. Auch dafür ist das Bundeswirtschaftsministerium durch seine verworrene Gesetzgebung verantwortlich.

Kommt mit der Erhöhung der Stromprognose nun endlich die Erkenntnis, dass bestimmte Dinge keine politische Verhandlungsmasse sind? Wollen wir es hoffen. Vielleicht wollte sich Altmaier auch nur einen halbwegs ehrenwerten Abgang verschaffen.

(grh)