Star Trek: Picard – ein Boomer, wie er im Buche steht​

Wie eine alternde Band geht die Crew der NCC-1701-D auf Abschiedstour. Das ist künstlerisch wahrscheinlich überflüssig, aber vielleicht wenigstens unterhaltsam.

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Generation Babyboomer in Space.

(Bild: Paramount+)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Lars Gurow
Inhaltsverzeichnis

Wenn die Sonne der Karriere tief steht, bringen alt gewordene Rockbands gern noch einmal ein „Greatest -Hits“-Album raus, mit zwei neuen Titeln und einer Coverversion, um dann damit auf Abschiedstour zu gehen. Auf so einer befindet sich zurzeit auch „The Next Generation“ mit der zweiten Staffel „Star Trek Picard“. Das ist wirtschaftlich sicher klug, künstlerisch wahrscheinlich überflüssig, aber ist es wenigstens unterhaltsam? Eine Annäherung mit Abstand.

Die zweite Staffel macht es noch klarer als die erste: Hier wird wirklich alles noch einmal aufgeführt, jede, jeder und alles darf dabei sein: Die Borg. Guinan. Q. Das Château Picard. 10 Forward. Wesley Crusher. Jemand, der aussieht wie Commander Data. „The true final frontier is time”, sagt Picard in der Serie. Das klingt nach der bedingungslosen Kapitulation des Produktionsteams, dem jenseits von Zeitreisen nichts mehr einfällt.

Diesmal geht es also durch die Zeit, auf die Erde des Jahres 2024. Was auf den ersten Blick aussieht wie die völlige Eskalation von Fan-Fiction, entpuppt sich auf den zweiten Blick als konsequente Fortsetzung. Tradition pur, ein Fest für Fans, die weder sich selbst noch Star Trek jemals ganz ernst genommen haben.

„The Next Generation“ war als Serie geprägt von Optimismus, Fortschrittsglaube und Wunschdenken: Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit, Beamen, Replikatoren, Androiden, Überwindung von persönlichem Besitz (wenn man von Kleinigkeiten wie dem Château Picard einmal absieht), Wohlstand allenthalben. Die Menschheit lässt alle Konflikte hinter sich. Das Böse läutert sich, Diplomatie ist die Lösung (wenn man von Kleinigkeiten wie Photonentorpedos und geladenen Phaserbanken absieht). Und natürlich atmet die Serie nicht nur den Style der späten 80er und frühen 90er durch die cognacfarbenen Ledersessel und die Auslegeware auf der Brücke der Enterprise. Auch das Ende des Ost-West-Konflikts bestimmt Haltung und Ton.

Insofern passt Star Trek Picard gut in unsere Zeit: Alles auch nicht mehr so geil. Kein braunes Leder auf der Brücke und auch kein Teppich. Die Borg sind schwach, das Universum in Unordnung, Picard ist ein Android mit Verfallsdatum – sogar Q liegt im Sterben. Amazon warnt das Publikum vor „Rauchen, sexuellen Inhalten, Alkoholkonsum, Gewalt, Schimpfwörtern“. Der Lack ist ab, aber umso besser sieht man: Darunter ist alles beim Alten. Das gilt auch für Picard: ein Boomer, wie er im Buche steht – autoritär, selbstbezogen und dickköpfig. Ein Wunder eigentlich, dass er überhaupt noch lebt. Wie der Frontman einer alternden Rockband.

Jede Band steht vor der Herausforderung, nach dem ersten großen Erfolg immer das Gleiche machen zu müssen, nur eben jedes Mal anders. Vielleicht sind deshalb späte Fortsetzungen von Serien oder Filmen so selten. In El Camino, dem Spin-off von Breaking Bad, war der kurze Auftritt von Walter White schon ein Tiefpunkt. Und oft funktionieren alte Geschichten nicht mehr, wenn sich die Prämisse ändert – weshalb bei Serien mit mehreren Staffeln viele irgendwann das Interesse verlieren.

Picard noch einmal ins Weltall aufbrechen zu lassen und mit ihm dieses ganze Universum wieder in Bewegung zu bringen, ist ein Kraftakt und braucht Mut. Aber trotz all der Dinge, die man an der Serie zurecht schräg finden kann, ist es durch und durch eine würdige Weiterführung der großen „Next Generation“-Geschichte. Hier werden alle Traditionen bedient, die guten wie die weniger guten.

Guinan sieht younger than ever aus, nur an Q scheint die Zeit auch nicht spurlos vorüberzugehen.

(Bild: Paramount+)

Das Geld scheint heute ähnlich wenig locker zu sitzen als damals: Außerhalb der Enterprise stand man früher hauptsächlich in schrottigen Schaumstofflandschaften herum, heute finden die Dialoge vor CGI-Kulissen statt, die man auch sofort als solche erkennt. Schon bei der Fernsehserie musste sich das Drehbuch regelmäßig der Wirtschaftlichkeit unterwerfen: Während der Vorbereitung der ersten Staffel sorgte sich das Team, dass die Kulisse „Maschinenraum“ mangels Budget nie gebaut werden würde. Also schrieb man schnell das Drehbuch so um, dass die Kulisse bereits für die Pilotfolge benötigt wurde, als das Geld noch lockerer saß.

Später erfanden die Drehbücher immer mal wieder Probleme mit dem Warp-Antrieb, die zwar nichts mit der Handlung zu tun hatten, aber die teuren Bluescreen-Aufnahmen vor den Fenstern überflüssig machten. Insofern ist das Product Placement von Chips- und Automarken in der aktuellen Serie einfach nur konsequent weitergedachte Ergebnisoptimierung. Und wenn man eh schon eine Zeitreise eingeplant hat, warum nicht? Ohne Greenscreens wäre ja nicht mehr viel übrig.

Schon früher bewegten sich die Dialoge bei „The Next Generation“ zwischen Allgemeinplätzen, völliger Sinnlosigkeit und überraschendem Tiefsinn. Unter Trekkies kursierte in den 90ern der Begriff „Laberfolge“, wenn Riker und Troi wieder Stress hatten, sich Picard endlos mit irgendwelchen Leuten unterhielt, Worf sich seinen Vaterproblemen widmete oder La Forge und Data Technikstuss redeten. „Picard“ knüpft hier nahtlos an, mit Stanzen aus Tritanium: „Menschen werden äußerst ungern an ihre Sterblichkeit erinnert“ (Guinan), „Veränderungen ereignen sich immer später als wir es gern hätten” (Picard).

Wie früher wünscht man sich dann aber doch einen echten Dialog: Wer glaubt denn ernsthaft, dass Menschen gern an ihre Sterblichkeit denken? Ereignen sich Veränderungen nicht oft auch früher als wir es gern hätten? Warum reden diese Leute so aneinander vorbei? Und warum ist immer Zeit für solche Gespräche? An anderer Stelle hingegen erfrischt Raffi mit einem klaren Statement: „Arschloch.“ Da bleiben keine Fragen offen, so wie früher bei Commander Riker, wenn er den rechten Haken ausgepackt hat.

Was mit den Borg passiert, hat im Star Trek-Universum auch Tradition: die Hinwendung zu Frieden und Diplomatie. Erst waren es die Klingonen, jetzt sind es die Borg, und irgendwie läutert sich sogar Q. Das kann man kitschig finden, aber es verhindert das Abgleiten in die Soap, in der alle immer wieder das gleiche tun. Eine weitere Tradition: Jede Folge ist komplett anders als die davor oder die danach. Eine Folge Action, dann eine Folge Horror, dann Mystik, dann eine Laberfolge. Und natürlich Stilbrüche wie die Gesangseinlage von Jurati. Da kommen Erinnerungen auf an die Holodeck-Folge mit Captain Picard und der Maschinenpistole.

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Nur ausgerechnet Picard selbst steht für den großen Traditionsbruch in der Serie. Wir im Publikum sollen endlich seine Beziehungsunfähigkeit und sein auffälliges Verhalten gegenüber Kindern verstehen. Dieser Handlungsstrang ist langatmig und steht der Dramaturgie im Weg. Die Serie hätte an Prägnanz und Tempo gewonnen, hätte man Picard einfach Picard sein lassen, der es auf seine alten Tage einfach noch mal wissen will, beziehungsunfähig, ehrgeizig und risikobereit, wie er nun mal ist. Oft ist es doch die Leerstelle einer Erzählung, das Geheimnis, das unentdeckte Land, das die Geschichte voranbringt, die Zuschauenden bei der Stange hält und die Fantasie anregt. Wer will schon wissen, was bei Pulp Fiction wirklich in dem Koffer ist?

Natürlich ist vieles völlig unverständlich. Die James-Bond-Haftigkeit des Vorspanns, die unharmonische Musik, Nazis auf dem Château Picard, die zarten Blade-Runner-Vibes, alle Szenen im Wintergarten des Château Picard, die Liebe zwischen Raffi und Seven – vielleicht fallen diese Dinge aber auch nur auf, weil sie nicht so tief ins TNG-Universum eingebettet sind wie alles andere?

Q erklärt die Staffel am besten: „Geht es nicht um Vergebung?“ Damit spannt er den großen Bogen von TNG, S1E1 und Mission Farpoint bis hierhin. „Menschen, Eure Trauer, Euer Schmerz, ihr seid fixiert auf längst vergangene Momente“. Da können sich alle im Publikum angesprochen fühlen: schaut nicht zurück auf die alte Serie und messt alles daran.

„Und wenn ich Sie jetzt verlasse, lasse ich sie frei zurück“, sagt Q zu Picard. Das klingt nach einem Versprechen für Staffel 3. Lassen wir uns überraschen, denn die Greatest Hits sind ja noch nicht komplett: Es ist noch Platz für Dr. Crusher, Geordi La Forge, Worf und seinen Sohn, Tasha Yar (sie ist eigentlich tot, aber das ist mittlerweile ja auch egal), noch mal jemanden, der aussieht wie Data, die Deep Space Nine, und natürlich: Captain Kirk!

(vbr)