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Was war. Was wird.

"Hiermit werden auch die Fehler korrigiert in ..." Ach, das waren noch Zeiten, Hal Faber wird wehmütig. Man sollte schließlich auch in verfrühten Nachrufen bei den Fakten bleiben. Und nicht mit Markus Lanz Porridge kochen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Was war

Ein Mensch ist gestorben, ein anderer wechselt aus gesundheitlichen Gründen in den Aufsichtsrat. Und die Biermösl Bloasn hat sich aufgelöst. Äh, okay, das passt jetzt nicht. Oder doch? Bleiben wir bei den ersten beiden Vorfällen, ein kleines Sommerrätsel gefällig? Wer bekommt die längeren Nachrufe? Richtig, Steve Jobs. Steve Jobs ist für einige Menschen längst ein Höheres Wesen und sie glauben wie alle Anbeter Höherer Wesen, dass sie Steve Jobs ihr Leben verdanken, wo sie doch bloß der Mut verlassen hat, sich ihres Verstandes zu bedienen. Wie alle Heiligen hat auch Steve Jobs seine Jünger, und wenn der leichte Südstaatendialekt von Tim Cook um 5 Uhr morgens im Fitnessstudio erklingt, dann zeigt sich, dass auch gestandene Technik-Redakteure den Verstand verlieren können. Wie bei allen Heiligen hat auch bei Steve Jobs die Phase mit den Auf-den-Wassern-gehen-Wundern begonnen: Die Nachrufe auf Jobs in den großen deutschen Zeitungen wimmeln dermaßen von Fehlern, dass allein die genaue Korrektur aller Falschaussagen, Überteibungen und Lügen locker dieses WWWW füllen könnte.

*** Nein, liebe Süddeutsche Zeitung, Steve Jobs hat nicht Visicalc (FAZ: Visical) entwickelt, das war ein Geniestreich von Dan Bricklin. In seinem Buch On Technology findet sich die hübsche Passage, wie er Anfang der 80er Jahre zusammen mit Steve Jobs, Bill Gates und Mitch Kapor Spalier in einem Hotel stand, um den berühmtesten Menschen der Welt zu sehen – Muhammad Ali. Steve. Nein, der erste Rechner mit einer Maus war nicht der Mac und auch die iCloud von Apple hat nicht die Apple-Nutzer "vollständig vereinnahmt": Einige von ihnen wurden auf Twitter und Google gesichtet, sogar im Heise-Forum soll es solche geben, mit freien Meinungen in freien Köpfen.

*** Nein, liebe Frankfurter Allgemeine Zeitung, Microsoft hat nicht im Jahre 2000 den ersten Tabletcomputer der Welt vorgestellt, sondern bereits 1995 und dabei eine Idee geklaut, die ein gewisser Jerry Kaplan schon 1987 entwickelte. Mit 75 Millionen Dollar Venturekapital gründete er die Firma Go – und machte den gravierenden Fehler, Bill Gates seine Forschung unter einem Nondisclosure Agreement zu zeigen. Von Go zu Apple gewechselte Ingenieure, denen Apple-CEO John Sculley ein komplettes Labor zur Verfügung stellte, entwickelten den Newton, der in allen Vor-Nachrufen auf Jobs ein stiefmütterliches Dasein führt. Und nein, liebe FAZ, Steve Jobs hat Computern keine Seele gegeben, wie ein anderes Höheres Wesen, das Lehm anhauchte. Selbst der Satz "Bleibt hungrig, bleibt tollkühn" ist eine Adaption: "Stay hungry, stay foolish" stand auf der Rückseite des Whole Earth Catalogue von Steward Brand, dem Kameramann bei der "Mutter aller Demos"

*** In seinem Buch "Startup" erinnert sich Kaplan daran, wie er bei Lotus mit Mitch Kapor über einen Notizbuch-Computer nachdachte und beide über den Tabletcomputer diskutierten, den die Astronauten in Kubricks "2001 – Odysee im Weltraum zum Lesen von Nachrichten beim Futtern nutzten. Zu den neckischen Späßen dieser Branche zählt nicht nur, dass Samsung im Streit gegen Apple diesen Film präsentiert, sondern die Vorgeschichte: Als Computer-Berater am Set der Odyssee im Weltraum hatte Stanley Kubrick den Informatiker Marvin Minsky engagiert. Dieser brachte wiederum einen Studenten namens Alan Kay mit, der unter Ivan Sutherland an stiftbasierten Systemen forschte.

*** Steve Jobs hat Apple mehrfach schwer geschadet und es ist nur den findigen Ingenieuren und Programmierern zu verdanken, dass es ihm nicht gelungen ist, den Laden völlig zu ruinieren: Die Geschichte der Katastrophen beginnt mit dem Apple II, dem Jobs nur zwei Slots für Drucker und Modem spendieren wollte. Es ist der Verdienst von Steve Wozniak, dass sich Jobs mit dieser Beschränkung nicht durchsetzte – und Apple mit den Slots das Vorbild für viele andere Computer in Sachen Erweiterbarkeit lieferte, bis hin zum IBM PC. Leichtfertig wird in allen Vorab-Nachrufen die Geschichte des Apple III übergangen, der ein Business-Rechner sein sollte – auf Anordnung von Jobs durfte keine Apple II-Software, insbesondere keine Spiele auf dem System laufen. Schließlich, als Apple nach der Lisa und dem ersten vermurksten Mac mit einer graphischen Oberfläche punkten konnte, erledigte Jobs das Star Trek-Projekt auf Drängen von Microsoft und Dell. So passt es zu der Lebensgeschichte, dass von Jobs auch der Newton als Projekt der Ära von Apple-Chef John Sculley eingestellt wurde, als Apple für den Schul-Newton eMate 300 einen Großauftrag der kalifornischen Schulverwaltung erhalten hatte. Das alles wird der Heiligsprechung keinen Abbruch tun, nach dem Motto "Ein Leben ohne Jobs ist möglich, aber sinnlos".

*** Lieber Gott, viel Spaß, das ist eine würdige Verabschiedung für einen Menschen, der den Unsinn des Lebens erfasste und selbst angesichts des Problems der Vorratsdatenspeicherung nicht in jene Hysterie verfiel, die derzeit Kriminalisten regelmäßig überfallt. Erst kürzlich wurde an dieser Stelle an die hübsche Schilderung des atomaren Fallouts erinnert, die sich das deutsche Fernsehen geleistet hat: "Dann macht es puff und all die kleinen Menschen und die kleinen Kühe fallen um. Niedlich nicht?" "Ein Klavier, ein Klavier!" muss her, damit der Abschied leichter fällt. Und ja, ein fader Blues muss sein, der für Willy.

*** Heute vor 50 Jahren erschien die Platte, mit der das Plattenlabel Motown seinen ersten Nr.1-Hit hatte und die Motown-Wunderstory begann. Die Marvelettes mit ihrer Leadsängerin Gladys Horton (R.I.P) sangen "Please, Mr. Postman", am Schlagzeug dabei: der junge Marvin Gaye, bekannt mit Heard it through the Grapevine. Noch heute kann man mit dem Streit, wer denn hier die Ersten waren, ganze Kneipenabende verbringen.

*** Schauen wir 50 Jahre in die Zukunft, wird das mit dem Kneipenabend ähnlich auch für die Leaks-Plattformen gelten, die derzeit alle nicht sonderlich funktional, aber hübsch zerzaust sind. Während Wikileaks zum Crowdsourcing im großen Stil übergegangen ist und damit vielleicht zu seinen Wurzeln zurückfindet, hat OpenLeaks die Drohung wahrgemacht und zu Wikileaks gehörende Dateien gelöscht, angeblich um die immerzu gefährdete Sicherheit der Quellen nicht noch weiter zu gefährden. Globaleaks, der Dritte im Bunde, hat erst einmal nur sein Repository gestartet, sicher ist sicher. Großmütig kommentiert derweil der Informant die Situation, der mit geschicktem Social Engineering die angebliche Quelle Bradley Manning hinter Schloss und Riegel brachte. Er möchte gern, dass Julian Assange an der Spitze von Wikileaks durch eine Person seines Vertrauens ersetzt wird – die wiederum förmchenhalber ihn, Adrian Lamo, als Führer von Wikileaks vorschlägt. Der einzige Lichtblick in diesem Tohowikibuhbuh ist derzeit die Suche der Vielen in dem Material, das plötzlich ausgeschüttet wird. Ob die Aktion aus "Frustration über die mit Wikileaks kooperierenden Medien" geschah, ist dabei völlig gleichgültig. Die Sicht auf die wesentlichen Dinge wird wieder klarer.

Was wird.

Wesentliche Dinge? Was gibt es wichtigere Dinge als den Fernseher, jenes Teil, das wir brauchen, um all die Talkshows und Kochshows abschalten zu können, die jetzt an den Start gehen? Vor dieser Willmaischbergerbeckmannjauche rettet uns kein Loriot mehr. Die IFA startet, nicht nur auf heise online. Endlich gehen die ersten Geräte an den Start, bei denen der Bildschirm die Augenbewegungen der Couchkartoffel verfolgen kann, bei denen Gestensteuerung die elende Fernbedienung ersetzt, mit der selbst die superschlauen "Digital Natives" nicht umgehen können. Endlich werden dank Raumüberwachung Szenarien denkbar, die alle "Medienpartner" vor Glück strahlen lassen. Wird etwa in einer Tageszeitung geblättert, schaltet sich der Fernseher automatisch ins Standby, um dem Leistungsschutzrecht der letzten deutschen Verleger zu entsprechen, die inmitten des öffentlich-rechtlichen Terrors gerade so überlebt haben: Wer erinnert sich noch, wie auf einer IFA Btx gestartet wurde, gegen den erbitterten Widerstand der Verlage, die den Untergang der Tageszeitung ahnten. Dass diese Untoten immer noch unter uns sind, dass in ihren Seiten immer noch geblättert wird, während Btx vermodert und verblichen ist, das ist ein Wunder, das nach einem Heiligen ruft. Kommt Steve Jobs zur IFA? Aber nicht doch. An seiner Stelle spricht Julian Assange, in einer Videoübertragung vom noblen britischen Landsitz aus, gesponsert von den Verkäufern weißer Ware. Sein Thema: "Mixer, Shaker oder Rührstab? Die Technologie hinter Wikileaks." Danach kocht er mit Markus Lanz Porridge. (jk)