4W

Was war. Was wird. Die Einheitsedition.

Keine Atempause, laalaalalalaa. Man kann sich aber auch dieser Tage anders vergnügen, ganz ohne Erinnerungsduselei oder zynischer Häme, grummelt Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 56 Kommentare lesen
Was war. Was wird. Die Einheitsedition.

Auch hier wächst zusammen, was zusammen gehört. Oder so ähnlich. Jedenfalls sind nun 5 Euro in den Phrasenwal, äh, das Phrasenschwein fällig.

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Das ist das Land, wo die Fabriken uns gehören,
wo der Prometheus schon um fünf aufsteht.
Hier kann man manche Faust auf manchen Tischen hören,
bevor dann wieder trotzdem was nicht geht.
Wo sich auf Wohnungsämter Hoffnungen verlieren,
Wo ein Parteitag sich darüber Sorgen macht.
Wo sich die Leute alles selber reparieren,
weil sie das Werkzeug haben, Wissen und die Macht.
(Kennst du das Land mit seinen alten Eichen)

So stammelt sich heutzutage ein Präsident zur Erklärung seiner Covid-19-Erkrankung.

(Bild: Foxnews)

*** Brüh im Glanze dieses Glückes, brühe deutsches Vaterland. 30 Jahre deutsche Einheit, 30 Jahre gesamtdeutsche Wetterkarte, das ist schon eine reife Leistung. Der Einheitsfeiergedenktag liegt hinter uns, die Beamer sind abgeschaltet, die Künstler sind weiter gezogen. Auf das Ausleuchten manch dunkler Ecken wurde verzichtet, weil das Jubiläum so rund ist und nicht eckig oder gar lecker wie Würzfleisch in der Brühe. Entgegen all dieser Rufe von Berufsunken sind Ostdeutsche bei Einkommen und Arbeit zufriedener und widerständiger gegen Covid-19 sind sie auch noch. Noch wichtiger ist ja, dass die Märkte zufrieden sind und das Lied vom Auferstehen singen.

*** Es ist schade, dass dieses wunderbare Jubiläum der deutschen Einheit im Schatten der Nachricht steht, dass ein inkompetenter Präsident in den USA in ein Militärkrankenhaus eingeliefert werden musste und dort gegen eine Krankheit behandelt wird, deren Gefährlichkeit er öffentlich bestritten hat. Nun ist die Oktober-Überraschung da, zusammen mit der Überraschung, dass Trump Militär und Polizei für die Infektion verantwortlich macht, nicht das ungeschützte Verhalten seiner Umgebung. Es ist doppelt schade, nachdem brisante Details zu den Finanzen von Donald Trump bekannt wurden und dieser in einer TV-Debatte den Wüterich gegeben hatte. So wurde er für viele Republikaner unwählbar. Natürlich gibt es jetzt Theorien, die in dem Ganzen ein Ablenkungsmanöver sehen, genauso, wie es Theorien gibt, dass Trump nun Opfer des tiefen Staates geworden ist. Wenn diese Nachrichten stimmen, wurde Trump als erster Patient mit einem Mittel behandelt, das als Antikörper-Cocktail auf Bitten des Weißen Hauses von der Firma Regenoeron geliefert wurde. Dieses Mittel wurde Trump noch vor dem Transport ins Krankenhaus verabreicht, wenn die Reihenfolge der Tweets stimmt. Insgesamt ähnelt Trump dem von ihm so bewunderten Wladimir Putin, der eine Impfung mit einem noch unzureichend getesteten Stoff empfiehlt. Das Rennen um das große Geschäft ist voll im Gange, die Märkte gucken interessiert. Weltweit tüftelt man an mehr als 200 Methoden, das Virus zu bekämpfen. Ganz sicher sind Todeswünsche in dieser Lage unangebracht. Der Rest ist F5.

*** In der vorigen Wochenschau habe ich die Netflix-Dokumentation The Social Dilemma als Hitparade der Angst empfohlen, da ist es nur konsequent, das Mimimi nachzutragen, mit dem Facebook auf die Dokumentation reagiert hat. Man könnte es so zusammenfassen, was Facebook da jammert: Wir geben ja zu, dass wir 2016 Fehler gemacht haben, wir sind aber jetzt die transparenteste Firma wo gibt, jedenfalls was die politische Einflussnahme anbelangt. Ehrlich. Wir wissen, dass unsere Systeme nicht perfekt sind und dass es Dinge gibt, die wir verbessern müssen. Aber wir stehen nicht tatenlos herum und erlauben, dass Desinformationen oder Hass bei uns verbreitet werden. Wirklich. Ja, so sind sie bei Facebook, alles Ehrenhäute. Was passt zu dieser Antwort? Natürlich die Arte-Dokumentation über die digitale Generation als kranke Generation.

*** Apropos Arte: Mit das einzig noch wirklich Ansehbare unter den seriellen TV-Sendern. Und gleichzeitig mit einer ausgezeichneten Mediathek für das nicht serielle Gucken gesegnet, ganz zu schweigen vom Bereich "Arte Concert". Arte wurde am Freitag 30 Jahre alt - ist also einen Tag älter als das wiedervereinigte Deutschland. Dass die Arte-Verträge von Deutschland und Frankreich ausgerechnet am 2. Oktober 1990 unterzeichnet wurden, soll kein Zufall gewesen sein: Man hätte nach der vollzogenen Wiedervereinigung sonst das komplette Vertragswerk neu verhandeln müssen. Was auch angesichts der aus den Verträgen resultierenden byzantinischen Organisations- und Verwaltungsstruktur von Arte niemand wollen konnte. Freuen wir uns also, dass es geklappt hat und immer noch vorzüglich klappt: Auch eine Art gelungener Wiedervereinigung, zumindest kultureller Art.

*** Es gibt eine ganze Generation von Polizeibeamten, die sich im digitalen Raum aufhalten und recht gut auskennen, sofern es nicht gerade um die Verschlüsselung rechtsradikaler Inhalte geht. Von diesen gibt es einige, die in Chats mit rechtsextremitischen Äußerungen aufgefallen sind oder die bestimmte Menschen als Affen bezeichnen. Ob das typisch für die Polizei ist, gar von den Strukturen her befördert wird, das weiß man nicht. Dazu müsste man eine Untersuchung starten, Ergebnisse festhalten und wissenschaftlich auswerten. Da gibt es aber ein strukturelles Problem, denn so etwas darf per ordre du mufti Seehofer nicht erfolgen und so bekommen wir dann Haargespaltenes auf dem Teller serviert, wenn es in einer Agenturmeldung heißt: "Das Bundesinnenministerium sieht nach dem bekannt gewordenen Fall in Berlin keine Hinweise auf strukturellen Rechtsextremismus bei der Polizei. Aus dem Auftauchen von Fällen in verschiedenen Bundesländern könne nicht direkt geschlossen werden, dass es sich um ein strukturelles Problem handele, sagte ein Ministeriumssprecher am Freitag in Berlin. Hinweise auf Verbindungen der verschiedenen Vorfälle gebe es bisher nicht." Nur wo es Verbindungen gibt, gibt es auch Strukturen? Wo ein Chat, da ein Einzelfall.

*** Heute vor 300 Jahren wurde Giovanni Piranesi geboren. Der Architekt und Zeichner beeinflusste mit seinen von Theaterkulissen inspirierten Zeichnungen imaginärer Kerker nachhaltig unsere Vorstellungen von düsteren Gefängnissen, in denen jede Hoffnung auf Freiheit fehl am Platz ist. Den größten künstlerischen Einfluss übte Piranesi auf das Werk von Maurits Cornelius Escher aus, doch auch Kunsthistoriker scheinen auf ihre Kosten zu kommen. So zu lesen bei der aktuellen Ausstellung in Berlin, die das "Piranesi-Prinzip" erläutert: "Bahnbrechend und seiner Zeit voraus sind seine Darstellungen nicht zuletzt, da sie einem Computer-Desktop gleichen, auf dem gleichzeitig eine Vielzahl von Fenstern geöffnet ist." Darauf ein Tab! Piranesis Zeichnungen wurden auch in der Architektur umgesetzt, etwa beim Londoner Gefängnis Newgate. An seiner Stelle steht heute Old Bailey, der zentrale Strafgerichtshof, in dem in dieser Woche die Verhandlung gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange zu Ende ging. Die Plädoyers von Anklage und Verteidigung sollen schriftlich erfolgen, die Entscheidung, ob Assange an die USA ausgeliefert wird, will die zuständige Richterin am 4. Januar 2021 verkünden. Bis dahin soll Assange in Haft bleiben. Der Justizskandal geht weiter.

Nach der Aussage eines Verhandlungspartners von CTS Eventim in der PKW-Maut-Affäre hat die Opposition bekanntlich den Rücktritt von Verkehrsminister Andreas Scheuer gefordert. Denn der Schaden ist nicht nur finanziell ein großer, sondern politisch eine Katastrophe, weil die Anhörung folgenlos für den Minister bleibt. Ob sich Scheuer über die kommende Woche halten kann, wird offenbar in der CSU entschieden, nicht von der gesamten Regierung. Es gibt Hinweise, dass die SPD das sanftmütige Pony gibt, um auf diese Weise im Gegenzug ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in der Wirecard-Affäre harte Fragen zu ersparen. So zerlegt sich die beste deutsche Demokratie in den nächsten Wochen selber, 30 Jahre nach dieser glorreichen Einheit.

Och je, wie niedlich. Oder auch nicht.

Doch gehen wir zurück in diese Zeit, als die Bildschirme grün waren oder bernsteinig, als sich ein Konzern wie Siemens Nixdorf Informationssysteme fast spontan zusammenfand. Am kommenden Wochenende startet wieder einmal das Berliner Vintage Computing Festival, das natürlich virtuell gefeiert wird. Es kann mit einem hochmodernen Zugang besucht werden: "Zum Besuch wird nur ein Webbrowser benötigt, es müssen keine Programme installiert werden." Dieses Jahr beschäftigt man sich besonders mit dem Sammeln von Computern als Hobby und so präsentieren die Aussteller ihre Sammlungen der surfenden Öffentlichkeit. Selbst ein Lagerlotto soll es geben, bei dem blindlings irgendwelche Kisten geöffnet werden, um zu sehen, welche Kiste drin ist. Noch unmoderner geht es wenige Wochen später zu, wenn die nächste c't retro erscheint: Man braucht nur Augen, vielleicht eine Brille und ein, zwei Finger zum Umblättern. Und ja, irgendwann werden all dies Wiedervereinigungszeugs und diese Wessi- ebenso wie die Ossi-Nostalgie auch nur noch komische Retro-Reminiszenzen sein. Darauf ein Lied, zwo, drei, vier:

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

(jk)