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Was war. Was wird. Über das Positive berichtend.

Man hat es nicht leicht, wenn man dann doch mal was Positives erzählen will, grummelt Hal Faber. Vor allem, wenn sich gewisse entscheidende Personen doch arg am Rand der Realität bewegen. Manchmal bleibt nur die Hoffnung, dass es doch noch Sommer wird.

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Sonne, Wolken, Sommer
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, wo bleibt eigentlich das Positive? Gibt es nur noch Wochenschauen der Trostlosigkeiten, die sich wie ein seichtes, weichgespültes Überwachungstagebuch lesen? Ist Hal Faber matschig im Gehirn oder hat es gar längst exportiert? Das sind schwere Fragen. Die Antwort: Es ist eine große Kunst, das Positive zu sehen. Nehmen wir nur die ältere Dame aus Köln, die sich zur Theateraufführung der Supernerds hochzufrieden darüber zeigte, dass die Veranstalter ihre Daten abfragten: "Damit sie wissen, wer kommt. Man weiß ja nicht, ob sich nicht Bombenleger darunter mischen. Wie in Paris." Was die ältere Dame von den nebulösen Andeutungen von dem in seiner Wirklichkeit eingesperrten Julian Assange hielt, ist leider nicht überliefert. Assange prophezeihte, dass wir eine "postmoderne Version von Nordkorea" erleben werden, wenn "das System" nicht zusammenbricht und es so weitergeht, wie es bisher weitergeht. Deutschland als Nordkorea? Große Frage, schwere Frage. Vielleicht muss das Wassertröpfchen, dass bei Naenara links tröpfelt, mit der tröpfelnden Stundenglas-Animation verglichen werden, die bei Assanges Auftritten eingeblendet wird, sobald der Australier den Netz-Che spielt. Heiter in die Apokalypse, das ist das richtige, positive Motto des Schauspiels, in dem die Macher raunten, dass man live vor Ort "Dinge am Rande der Legalität" zeigen werde. Huch, da musste man glatt Gruseln.

*** Dinge am Rand der Realität, so könnte man die nun vom Kabinett beschlossene neue Vorratsdatenspeicherung beschreiben, die selbst die regierungseigene Datenschüchterin Andrea Voßhoff als nicht gesetzeskompatibel beschreibt. Bitteschön, das ist das Positive: Aus Unionssicht wird die Frau langsam untragbar. Es gibt auch was zu Lachen: Der Vorschlag des SPD-Vizechefs Ralf Stegner, die Vorratsdatenspeicherung zu befristen ist ein einziger Witz. Wie war das noch mit den Anti-Terrorgesetzen nach 9/11? Auf fünf Jahre befristet? Sie gelten immer noch, denn die abstrakte Terrorgefahr ist ja da, man sieht es an der älteren Dame bei den Supernerds. Die Befristung ist ohnehin ein Trick der SPD-Oberen, die aufmüpfige Basis totzukuscheln. Denn selbst ein befristetes Gesetz darf nicht grundgesetzwidrig sein, wie es diese Vorratsdatenspeicherung nunmal ist. So wird gelogen, dass sich die Balken biegen: "Die zeitliche und rechtliche Beschränkung auf Telefon- und Internetverbindungen ohne E-Mail-Erfassung sowie die Speicherung mobiler Standortdaten für vier Wochen lassen die Erstellung von individuellen Verhaltensprofilen gar nicht zu." Ach ja? Wie lustig: Genau eine Woche reichte, um sehr detailliertes Profil von Ton Siedsma zu erstellen, wie es Netzpolitik.org dankenswerterweise übersetzt hat. Es kommt der Tag, da wird die Säge sägen. Es geht übrigens noch positiver, wenn gleich die europäischen Perspektiven beachtetet werden. Wie bei der ebenfalls vom Bundeskabinett beschlossene deutsche PKW-Maut, die von der EU-Kommission untersucht wird. Doch hier ist es wie mit der Schaumweinsteuer, die einstmals zur Kriegsführungsfinanzierung eingeführt wurde und immer noch einbehalten wird: Die PKW-Maut wird bleiben, doch die KFZ-Steuer auch.

*** In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung ist ein langes Interview mit Bundeskanzlerin Merkel im Vorfeld des videobegrüßten G7-Gipfels zu Elmau erschienen. Auch hier kommt das Positive sofort, klaro: Ganz unverhohlen beschreibt die Tageszeitung, wie das Interview autorisiert wird und durch die Hände zahlreicher Bearbeiter geht, bis hin zu Merkel, die mit grüner Tinte das letzte Wort hat. Eine Zensur findet nicht statt. So wird aus dem kernigen Satz "Abhören unter Freunden geht gar nicht" der politische Satz:
"Ich bin überzeugt, dass nachrichtendienstliche Tätigkeit jedem von uns Schutz und Sicherheit gibt. Ich habe im Juli 2013 gesagt, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Das steht hinter meinem Satz, dass das Abhören von Freunden nicht geht. Das gilt unverändert. /.../ Mein politischer Satz beschreibt ganz offensichtlich einen anspruchsvollen Grundsatz, dennoch halte ich ihn für wichtig."

*** Auch die in dieser kleinen Wochenschau bereits kommentierte auffallend devote Haltung der Bundesregierung zum kategorischen Nein beim No-Spy-Abkommen wird so ausgelegt, dass einem viel Grünes schwant. Beim No Spy unter Freunden habe es Kontakte gegeben und Versuche, Verhandlungen über ein solches Abkommen zu führen. Der Wahlkampf hatte damit rein gar nichts zu tun. Ist so. Ehrlich.. Nun ist dieser Woche eine (von vielen?) Prioritätenliste der NSA bekannt geworden, die zeigt, wie das unter Freunden geht. Eine Regionalstelle für staatliche Sonderauflagen unserer deutschen Telekom schaltet Leitungsbündel um Leitungsbündel, damit der belgische Terror überwacht werden kann.

*** Der BND beschaltet Leitungen nach Belgien, Luxemburg und Österreich. Über Nachbarn weiß man halt alles, das ist gelebte Überwachungspraxis, die an der Wäschespinne beginnt und irgendwo in den Bergen der Schweiz endet. Die dortigen Grünen sind erbost, die offizielle Politik ungehalten. Das kratzt am Selbstverständnis der Eidgenossen, die stolz darauf sind, dass Firmen wie Blackphone bzw. Silent Circle oder Kolab sich wegen der strengen gesetzlichen Regelungen zur Privatsphäre vor Jahren für die Schweiz entschieden haben. Wo bleibt denn da das Positive? Klar gibt es das: Die vom Guardian übernommene Meldung, dass PGP-Legende Phil Zimmerman vor der NSA in die Schweiz flüchten musste, ist falsch, denn Silent Circle und Blackphone sind schon länger Schweizer.

*** Zu den kleineren Nachrichtenfetzeln dieser wunderbaren Pfingstwoche gehört eine Geschichte, die deshalb positiv zu nennen ist, weil sie Aufklärung aus der Frühzeit des Internet bietet. David P. Reed, der in einigen Publikationen als Erfinder oder Entwickler von UDP genannt wird, hat die schiefe Bezeichnung korrigiert und interessante Details genannt. Danach waren er und Steven T. Kent damit beschäftigt, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in das Protokoll einzubauen, was jedoch von der ARPA abgelehnt wurde. Nicht etwa, weil das Design schlecht war, sondern weil die NSA in einem öffentlich zugänglichen ARPA-Projekt überhaupt keine Verschlüsselung haben wollte. Frühzeitig erkannte man die Gefährlichkeit des Vorschlages zu einer Zeit, als das RSA-Kryptosystem entwickelt wurde.

*** Positives gibt es auch von Google zu vermelden, um mal wieder ein bisschen in klassischer IT zu schwelgen. Obwohl: Was ist schon klassische IT in den Zeiten der Digitalisierung der Welt; da reicht es schon zum Positiven, wenn es mal gar nix Sensationelles zu berichten gibt. Denn das würde ja doch nur zu noch mehr Überwachung, noch gläsernerem Nutzer führen, höre ich die Bedenkenträger schon mal prophylaktisch jammern. Aber ein bisschen mehr Utopie, ja, das hätte man sich schon gewünscht von einem Konzern, der doch eigentlich nix Böses will. Diskutieren lässt sich schlecht über die konkreten Zukunftsvorstellungen, die sich aus einer Utopie ergeben, wenn die Utopie fehlt. Oder, wenns eine Nummer kleiner sein darf: wenn "eine Vision für Übermorgen fehlte. [...] So sieht es also momentan aus: Apple zeigt die Technik von heute, Google die von morgen, und Microsoft – Mega-Verschlafer der Mobiltechnik von heute – die von Übermorgen. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht..." Aber vielleicht ist es ja auch ganz anders und wir verstehen nur wieder nicht, was uns der Gottseibeiuns der konservativen Netzkritiker sagen will. Also doch das Positive: "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft."

Was wird.

Oh, wie wunderbar positiv das formuliert ist! Beim Cyber-Angriff auf den Bundestag sind "vereinzelte Datenabflüsse" festgestellt worden. Einzelne Daten, aber mehrere Flüsse führen dazu, dass die gesamte Bundestags-IT an diesem Wochenende ausgeschaltet ist, die dann noch laufenden Büro-Rechner gewissermaßen vereinzelt sind, damit kein Flüsschen fließen kann. Die Systemadminstratoren haben frei und gucken das Fußballpokal-Endspiel, während sich hochbezahlte Cyberwar-Spezialisten mit dem Feind batteln. Da passt es bestens, dass vor dem hochbewachten Treffen in Elmau sich in der ebenso hochbewachten Moritzburg die Innenminister der sechs einwohnerstärksten EU-Länder treffen und über Cybercrime und Terrorismus beraten.

Ja, als wir noch keine Wahl hatten, haben wir tagtäglich die Einschränkung unserer Freiheit akzeptiert. Jetzt haben wir ja die Wahl, hurra, wie positiv und supertoll das doch ist! Wir können unter vielen, vielen Chipkarten wählen, die uns von den Zwängen des Alltags befreien. Eine Bankkarte, eine Deutschlandkarte, einen Personalausweis, vielleicht auch einen Schlüssel zu einem Datennetz oder halt eine tragbare Datei, ganz ohne Bürgercloud. Vor 25 Jahren erschien diese Anzeige und erinnert uns daran, das ab sofort, dawei, dawei der elektronischen Gesundheitskarte der Marsch geblasen wird. Den wunderbaren Spaß haben natürlich die Krankenkassen, die nach den Krypto-Vorgaben des mitjubelnden BSI die nächste Generation der Karten produzieren müssen. Die A-Karte haben diesmal die Apotheker gezogen, die nur den ausgedruckten Medikationsplan bekommen und nicht automatisch in ihre EDV übernehmen können. Mordor wurde auch nicht an einem Tag erbaut. (jk)