Bots attackieren die Virtual-Reality-Welt von Ingress
Programmierte Bots spielen viel schneller als Menschen das je könnten; derzeit scheinen Bots sogar virtuelle Spielgegenstände zu "klauen". Die Parallelwelt von Ingress hat ein ernstes Problem, das durchaus ihr Ende bedeuten könnte.
Spieler von Googles Augmented- und Virtual-Reality-Spiel Ingress berichten seit einigen Tagen, dass an einigen Orten in Deutschland virtuelle Gegenstände wie von Geisterhand verschwinden. Das seltsame daran: Diese Geister sind wählerisch. Es verschwinden nur wertvolle Dinge. Dazu gehören die begehrten Level-8-Burster und Kapseln, mit denen die Spieler größere Mengen an Items tauschen. Direkt daneben liegende Level-7-Burster oder die reichlich vorhandenen Resonatoren bleiben hingegen unbeachtet liegen.
Dazu muss man wissen, dass Ingress zwar in einer virtuellen Welt spielt, man aber eigentlich tatsächlich physisch vor Ort sein muss, um mit einem Gegenstand in dieser virtuellen Parallelwelt zu interagieren. Das Ablegen von Items ("Drop") ist die einzige Möglichkeit, wie Spieler Gegenstände an andere übergeben können, die sich dazu ebenfalls vor Ort befinden müssen, um sie wieder aufzunehmen.
Oft geben auf diesem Weg etwa Farmer ihren Überschuss an Burstern an Spieler der gleichen Fraktion weiter, die bevorzugt ballern. Solche abgelegten Gegenstände verschwinden derzeit auch ohne dass jemand in der Nähe ist. Der rätselhafte Spuk tritt aber offenbar nur an ausgewählten Orten auf; Heise konnte es in Hannover mehrfach nachvollziehen – einmal sogar abends mutterseelenallein im Wald.
Noch ist nicht klar, ob es sich dabei um einen Fehler im Spiel oder um einen Bot handelt. Ein solcher könnte durchaus seine Ortsangabe fälschen und so ganze Bereiche überwachen, um die begehrten Items einzusammeln, bevor sie ein Spieler aufnehmen kann. Dass ausschließlich die als wertvoll erachteten Gegenstände verschwinden, lässt viele vermuten, dass hier tatsächlich ein Skript ganz selektiv auf Raubzug geht.
API-Missbrauch
Bereits in der Vergangenheit kämpfte Ingress mit Spielern, die sich über automatisierte Zugriffe auf das Spiele-API Vorteile verschaffen wollten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass immer wieder Schlaumeier ihre Position fälschen (spoofen), um an abgelegene Orte zu gelangen. Das nahm ab, als Niantic begann, solche Spoofing-Accounts zu sperren. Eine Zeit lang waren so genannte Farm-Bots en vogue, die ohne Zutun der Spieler Portale abklapperten, um dort Gegenstände einzusammeln – "zu hacken" wie es im Ingress-Jargon heißt. Was man dann nicht selber nutzen konnte, wurde teilweise sogar an andere Spieler verkauft. Das Bot-Farming hat Niantic jedoch bereits recht wirksam unterbunden.
Die Darsana-Anomalie
Zum Eklat kam es nach einem internationalen Ingress-Event in Vilnius, wo offenbar hunderte Bots so stark in das Spielgeschehen eingriffen, dass echten Spielern der Spaß daran verleidet wurde. Der Frust äußerte sich unter anderem in einem offenen Brief an Niantic, der "die Frage nach dem Sinn der Teilnahme aller aufrichtigen Spieler und Spielerinnen an solchen Events" aufwirft und gezielte Maßnahmen des Herstellers gegen Bots einfordert. Knapp tausend Ingress-Spieler beider Fraktionen unterschrieben diesen Aufruf bereits.
Das war im Oktober. Am nächsten Samstag steht erneut ein internationales Event an: Zur Darsana-Anomalie in Stuttgart haben sich bereits mehr als 1700 Spieler aus der ganzen Welt angemeldet. Sollten erneut die Bots das Geschehen dominieren, könnte sich das als fatal für Ingress erweisen. Denn viele Spieler sehen das als letzte Chance, bei der Niantic beweisen kann, dass man dazu in der Lage und bereit ist, gegen den Missbrauch des APIs einzuschreiten. Sollte das nicht gelingen und die Skript-Kiddies dominieren erneut mit ihren Bots das Spiel, könnte das durchaus zum Exodus führen. Die im Vorfeld des Events verschwindenden Gegenstände lassen manchen bereits schlimmes befürchten. Niantic beziehungsweise Google beantworteten unsere diesbezüglichen Fragen bislang nicht. (ju)