Bundesverfassungsgericht: "Recht auf Vergessen" auch bei schweren Straftaten

In zwei Entscheidungen haben die Karlsruher Richter das sogenannte "Recht auf Vergessen" im Internet präzisiert.

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Bundesverfassungsgericht: "Recht auf Vergessen" auch bei schweren Straftaten

(Bild: BigTunaOnline/Shutterstock.com)

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Das vom Europäischen Gerichtshof anerkannte "Recht auf Vergessen" gilt auch bei schweren Straftaten. Das hat das Bundesverfassungsgericht nun klargestellt und dem Bundesgerichtshof eine gegenteilige Entscheidung zurückgegeben. Im konkreten Fall (Az. 1 BvR 16/13) geht es um einen Mann, der 1982 rechtskräftig wegen eines 1981 begangenen Doppelmordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Nachdem er die Haftstrafe abgesessen hatte, sei er auf die damalige Berichterstattung über den Fall im Nachrichtenmagazin Spiegel aufmerksam geworden, die inzwischen online in dessen Archiv abrufbar ist. Er wehrte sich dem Gericht zufolge dagegen, dass bei Eingabe seines Namens "in einem gängigen Internetsuchportal [..] die Artikel unter den ersten Treffern angezeigt" würden.

In der bereits am 6. November ergangenen Entscheidung führen die Richter des Ersten Senats aus, dass in diesem Fall zwei gegenüberstehende Grundrechte abgewogen werden müssten. Dabei handele es sich um die Meinungs- und Pressefreiheit des Nachrichtenmediums und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Hinzu kämen aber auch die zeitlichen Umstände, denn während bei aktueller Berichterstattung dem Informationsinteresse "in der Regel" Vorrang eingeräumt werde, nehme "das berechtigte Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Tat ab".

Die Richter ergänzen, dass Information früher nur in einem engen zeitlichen Rahmen zugänglich gewesen sei, heute aber – einmal digitalisiert und veröffentlicht – langfristig verfügbar sei. Hinzu kommt demnach der Umstand, dass insbesondere mittels Suchmaschinen solche alten Informationen direkt zugänglich bleiben. Anzustreben sei deshalb, "einen ungehinderten Zugriff auf den Originaltext möglichst weitgehend" zu erhalten, ihn aber einzelfallbezogen auch hinreichend zu begrenzen "insbesondere gegen namensbezogene Suchabfragen". Von den Richtern hätte also in Betracht gezogen werden müssen, ob dem Spiegel Maßnahmen hätten auferlegt werden können, die Berichte schwerer auffindbar zu machen.

In einem ebenfalls am 6. November ergangenen und jetzt öffentlich gemachten Urteil (Az. 1 BvR 276/17) zum "Recht auf Vergessen" wiesen die Richter des Bundesverfassungsgerichts dagegen eine Verfassungsbeschwerde gegen das Oberlandesgericht Celle ab. In dem Fall ging es um einen Fernsehbeitrag des NDR-Magazins Panorama, zu dem das Interview der später klagenden Beschwerdeführerin gehörte. Eine Internetsuche nach ihrem Namen führt demnach direkt zu dem Beitrag, dem sie etwa die Formulierung "fiese Tricks" im Titel vorwirft. Ihr Versuch, das gerichtlich zu verhindern, war aber gescheitert und die Karlsruher Richter konnten nun keinen Fehler der Oberlandesrichter erkennen. Ein Anspruch auf Auslistung sei im konkreten Fall "jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gegeben". (mho)