CRISPR-Babys: An der Grenze zur Kriminalität

Seite 2: Wirklich HIV-resistent durch CRISPR?

Inhaltsverzeichnis

4. Die Editierungen brachten nicht die Mutationen, die natürliche HIV-Resistenz verleihen

Die Forscher beschreiben, welche konkreten Änderungen mit CRISPR bei den Zwillingen erreicht wurden. Sie entnahmen den Embryos im Labor einige Zellen, um sich die DNA anzusehen. Dabei stellten sie fest, dass die Editierungen, mit denen sie das CCR5-Gen deaktivieren wollten, tatsächlich gewirkt hatten.

Die Forscher hatten erwartet, mit den Editierungen zum Abschalten des Gens eine HIV-Resistenz zu erreichen. Ob das gelungen ist, können sie aber nicht sicher wissen, denn die Editierungen waren "ähnlich", aber nicht identisch zu der in der Natur vorkommenden Mutation CCR5 delta. Zudem hatte nur einer der beiden Embryos Editierungen an beiden Exemplaren des CCR5-Gens (eines von jedem Elternteil). Bei dem anderen war nur eines davon editiert, was bestenfalls eine partielle HIV-Resistenz bedeutet.

Hank Greely: Ob man hier von "erfolgreich" sprechen kann, ist fraglich. Keiner der Embryos bekam die Löschung von 32 Basenpaaren an CCR5, wie sie bei Millionen Menschen vorkommt. Stattdessen bekamen die Embryos bzw. die späteren Babys neuartige Variationen, deren Auswirkungen nicht klar sind. Und was bedeutet "partielle" HIV-Resistenz? Wie partiell? Und ist das eine ausreichende Rechtfertigung, um Embryos mit einem bei Menschen nie zuvor gesehenen CCR5-Gen für eine mögliche Geburt in den Uterus zu übertragen?

5. Es ist unklar, ob es eine angemessene Ethik-Prüfung gab

Der Aufsatz beschäftigt sich nur ungewöhnlich kurz mit dem Thema Ethik. Der Forschungsplan sei beim China Clinical Trial Registry angemeldet gewesen, heißt es darin. Tatsächlich erfolgte die öffentliche Registrierung aber erst nach der Geburt der Zwillinge.

Hank Greely: Wann wurde registriert? Am 8. November 2018, nach der Geburt und sehr kurz vor ihrer Bekanntgabe, wahrscheinlich um die Chancen auf eine Veröffentlichung zu erhöhen. Dies war keine normale Registrierung. Vielleicht gab es eine Ethik-Genehmigung – aber das Krankenhaus hat das dementiert. Wer sagt die Wahrheit? Das werden wir vielleicht nie erfahren. Die Formulierung "wir wurden informiert" über eine umfassende Ethik-Überprüfung ist nicht sehr überzeugend. Außerdem wird in dem Aufsatz nicht das Verbot von künstlicher Befruchtung für HIV-positive Eltern erwähnt. Laut Berichten hat He dafür gesorgt, dass bei den vorgeschriebenen HIV-Tests andere Männer als die vorgesehenen Väter angegeben wurden, was in dem Artikel nicht steht. Für mich scheint es zu stimmen – und es wäre vernichtend. Wenn es wahr ist, hat He den chinesischen Regulierungsprozess betrogen.

6. Die Forscher testeten vor der Geburt nicht, ob die HIV-Immunität erreicht wurde

Zu diesem Punkt beschreibt das chinesische Team seinen Plan, den Zwillingen Blut zu entnehmen, um sie auf die angestrebte HIV-Resistenz zu überprüfen. Dies hätten sie schon tun können, bevor die Mädchen geboren wurden. Vor der Übertragung der Embryos hätten sie eingefroren werden können, um zunächst identische Editierungen an Zellen im Labor vorzunehmen und die Auswirkungen darauf zu testen.

Fyodor Urnov: Diese Aussage zeigt, dass das Forschungsteam seine eigenen Interessen vor die des Paares und seiner zukünftigen Kinder gestellt hat. Im Aufsatz gibt es keinerlei Belege zur Unterstützung der entscheidenden Annahme, dass die neuen CCR5-Formen vor HIV schützen würden. Dies hätte unbedingt vor der Implantation festgestellt werden müssen. Dafür gibt es eine bewährte Vorgehensweise: Man nimmt dieselben Editierungen an Immunzellen im Labor vor und versucht dann, sie mit HIV zu infizieren – dann überleben nur die Zellen, die schützende CCR5-Varianten enthalten. Das Forschungsteam hat beschlossen, auf diese Prüfung zu verzichten. Stattdessen hat es Kinder aus Embryos erschaffen, die CCR5-Formen mit vollkommen unsicheren funktionellen Folgen aufweisen. Hatten die Forscher es eilig? War es ihnen einfach egal? Unabhängig von der Erklärung: Diese ungeheuerliche Verletzung elementarer Normen für Ethik und Forschung grenzt an Kriminalität.


(sma)