Cambridge Analytica: "Eine gefährliche, im Dunkeln arbeitende Industrie"

Seite 2: "Mark Zuckerberg entscheidet, was meine Kinder auf dem Schirm sehen werden"

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heise online: Sie sagen, Datenanalyse auch mit persönlichen Daten für positive Zwecke bleibt möglich. Aber wie wollen Sie künftigen Missbrauch verhindern, wenn die Daten einmal da sind?

Britanny Kaiser: Ich denke, wir stehen vor einer schwierigen, komplizierten Aufgabe, wenn wir einerseits die Möglichkeit erhalten wollen, Daten zu nutzen, andererseits schwarze Schafe aufhalten wollen. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich gebe noch nicht einmal den Tech-Firmen die Schuld an dem ganzen Mist, der passiert ist. Eine Menge von ihnen hat nicht vorhergesehen, was sie in Gang setzen. Wer hätte voraussagen können, dass Russland Facebook nutzt, um Veranstaltungen zu 'Black Lives Matter' und 'Blue Lives Matter' an denselben Ort zu dirigieren in der Hoffnung, sie aufeinander zu jagen und eine gewalttätige Auseinandersetzung zu provozieren? Niemand hätte das voraussehen können. Jetzt, wo wir wissen, dass es passiert, erwarte ich, dass die Tech-Unternehmen in ihre Technologie investieren, um das zu verhindern. Von wo loggen sich Leute ein, welche Aktivitäten weichen signifikant von denen eines normalen Users ab? Kann man herausfinden, ob es sich um einen Bot handelt oder ob etwas von einer Trollfarm kommt? Das ist KI und das ist Investition in die Technik selbst. Denn wir können die besten Gesetze haben, aber bevor wir die Technik haben, um solche Dinge zu verhindern, haben wir dieses Niemandsland, wo wir jetzt stehen, in dem wir zwar ein Recht auf Löschung haben, aber wir können nicht nachweisen, dass eine Firma auch wirklich gelöscht hat, oder eben nicht. Es dürfte ein paar Jahre dauern.

heise online: Maria Ressa, die auf den Philippinen gegen Fake News kämpft, sagte, die Tech-Firmen sollten die Rolle der neuen Gatekeeper übernehmen. Finden Sie das richtig?

Britanny Kaiser: Ja, da hat sie recht. Leider. (lacht) Es ist nicht toll, sich vorzustellen, dass Mark Zuckerberg derjenige sein wird, der entscheidet, was meine Kinder auf dem Schirm sehen werden. Ganz und gar nicht. Aber wenn Facebook nicht das Geld in die Hand nimmt, das Problem zu lösen, dann wird es auch nicht gelöst. Wir können nicht auf die Regierungen warten – wissen Sie, wie langsam die sind?! Ja, Auditing durch Externe ist gut. Aber was Regierungen als erstes tun können, ist die Durchsetzung bestehender, grundlegender Rechte. Desinformation, üble Nachrede, Verleumdung – wir haben Gesetze dagegen. Wählerunterdrückung – wir haben Gesetze dagegen. Die Aufhetzung zu Gewalt oder Rassismus – wir haben Gesetze dagegen.

heise online: Facebook oder Google als Polizei, Staatsanwalt und Richter in eigener Sache?

Britanny Kaiser: Nein. Ich denke schon, dass wir mehr Regulierung der Technologieunternehmen brauchen. In den USA wird darüber nachgedacht, eine Datenschutzaufsicht zu etablieren, die als externe Aufsicht überwacht, was tatsächlich hinter den Kulissen der Technologiefirmen passiert. Wir können nicht darauf vertrauen, dass Facebook das selbst tut. Dafür haben wir ja den Beweis. Aber Facebook muss dafür bezahlen, nicht der Steuerzahler.

heise online: Ist denn für Wahlen das Microtargeting, also die gezielte Ansprache, das größere Problem, oder ist es das Anfüttern mit verdrehten oder falschen Informationen? Und sind am Ende nicht Strategien wie der veränderte Zuschnitt von Wahlkreisen das größere Problem?

Britanny Kaiser: Das eine bringt hier ein paar tausend Stimmen, das andere da, und wenn Wahlen aufgrund kleinster Mehrheiten entschieden werden, hätte man vielleicht verloren, wenn man eine der Strategien nicht eingesetzt hätte. Ich würde alle diese Strategien Teile eines Puzzles nennen, das unvollständig wäre, wenn eines fehlt. Und obwohl ich Cambridge Analyticas Rolle gar nicht überbewerten will, habe ich die Fallstudien gesehen und die Zahlen, die teils von Dritten und nicht von Cambridge Analytica erhoben wurden, und ich habe die Wirksamkeit gesehen. Die Leute müssen verstehen, dass diese Taktiken schwerwiegende Folgen haben werden, und genau das bewegt mich dazu, mich für Regulierung auszusprechen. Microtargeting kombiniert mit falscher Information ist so beängstigend. Denn wir können hier nebeneinandersitzen, auf die gleiche Plattform und dieselbe Seite schauen und dennoch etwas total Unterschiedliches sehen. Selbst wenn wir auf die gleiche Nachricht schauen, am gleichen Tag, und es handelt sich um die gleichen Ereignisse auf der Welt. Wir bekommen verschiedene Versionen und sogar einige legitime Nachrichtenagenturen haben geänderte Headlines, je nachdem, ob du oder ich sie lesen. Und das ist beängstigend.

heise online: Welches waren die übelsten Taktiken, die Cambridge Analytica einsetzte für Wahlkampagnen?

Britanny Kaiser: Einige Dinge waren wirklich übel und die Trump-Kampagne war das Schlimmste, was ich gesehen habe. Beispielsweise wurden Hillary-Clinton-Unterstützer, die niemals Trump gewählt hätten, dazu gebracht, nicht zur Wahl zu gehen. Sie bekamen falsche Nachrichten dazu, was Hillary und ihre Stiftung gemacht hatten. Es ist immer billiger, Leute dazu zu bringen, nicht zur Wahl zu gehen, als sie davon zu überzeugen, einen bestimmten Kandidaten zu wählen.

heise online: Cambridge Analytica kann seine Dienste nicht mehr anbieten. Doch die Nachfrage nach dieser Art von Diensten dürfte fortbestehen. Wer sind die Nachfolger?

Britanny Kaiser: Leider zu viele Leute. Eine ganze Reihe ehemaliger Cambridge-Analytica-Angestellten arbeiten weiter in der Politik, auch Alexander Nix. Ich weiß auch von mindestens zwei oder drei kleineren Unternehmen, die aus Cambridge Analytica heraus entstanden sind. Einige arbeiten für die Trump-Kampagne 2020. Die Oxford University hat zudem eine Studie zu Anbietern von Propaganda-as-a-Service gemacht und listet darin Hunderte von Firmen, die wie Cambridge Analytica arbeiten, nur dass sie noch schlimmer sind. Denn die Technologie hat sich vier Jahre weiter entwickelt, und wir haben noch keine Regulierung.