Charta soll Verbraucherrechte in der digitalen Welt stärken

Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer hat ein Regelwerk vorgestellt, das unter anderem die IT-Sicherheit und den Zugang zu digitalen Medien durch Grenzen für DRM und Interoperabilitätsauflagen verbessern will.

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Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer hat am heutigen Donnerstag im Rahmen der Konferenz "Herausforderungen und Chancen der digitalen Welt" in Berlin eine Charta zur Verbrauchersouveränität vorgestellt, die unter anderem die IT-Sicherheit und den Zugang zu digitalen Medien durch Grenzen für Systeme zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) und Interoperabilitätsauflagen verbessern will. "Wir haben uns lange nur um die Anbieterseite gekümmert, um Fragen des geistigen Eigentums und des Urheberrechts", erklärte der CSU-Politiker. Jetzt müsse auch die Verbraucherseite ernst genommen werden. Es gehe allgemein darum, den Zugang für jeden zu den digitalen Informationswelten zu ermöglichen, die Wissensvorräte offen zu halten sowie Transparenz und "offene Innovation" zu ermöglichen.

"Digitale Technologien können dazu beitragen, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und ihnen eine erweiterte Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben zu eröffnen", heißt es in der am Weltverbrauchertag veröffentlichten Charta. Die Digitalisierung der Informations- und Kommunikationstechnik könne allgemein durch ihre besondere wirtschaftliche Dynamik gesellschaftlichen Wohlstand steigern. Voraussetzung dafür sei aber, dass die berechtigten Interessen aller Wirtschaftsbeteiligten – also von Verbrauchern und Unternehmen – gleichermaßen zur Kenntnis genommen und sorgfältig zum Ausgleich gebracht würden. "Ich bin auf diesem Feld für einen starken Staat", unterstrich Seehofer die Bedeutung auch gesetzlicher Regelungen. Zunächst handle es sich bei der Charta zwar um reine Kernprinzipien für alle Seiten. Sie seien aber auch im Zeitalter des Leitbilds des "mündigen Verbrauchers" "auf der ein oder anderen Ebene" vom Gesetzgeber zu konkretisieren.

Im Bereich IT-Sicherheit stellt die gemeinsam mit Verbraucherschutzverbänden erstellte Charta etwa Grundsätze der Integrität, der Vertraulichkeit und der Verfügbarkeit auf. Die Nutzer sensibler Online-Dienste wie beim Banking oder bei Auktionen seien frühzeitig über aktuelle Sicherheitsrisiken zu informieren. Zudem müsse den "besonderen Herausforderungen an den Schutz der personenbezogenen Daten, die mit der zunehmenden Nutzung des elektronischen Geschäftsverkehrs einhergehen, Rechnung" getragen werden. Verbraucher seien beispielsweise vor Vertragsschluss über Art, Erhebung, Verarbeitung und Nutzung ihrer persönlichen Daten in Kenntnis zu setzen. Zudem müssten sich die Anbieter an den Prinzipien von Datensparsamkeit und informeller Selbstbestimmung orientieren. Konkret erläuterte Seehofer am Beispiel des geplanten "Internets der Dinge" durch die Vernetzung elektronischer Heimgeräte und die Ausrüstung von immer mehr Gegenständen mit RFID-Chips, dass hier personenbezogene Informationen sehr einfach an Hersteller oder Supermärkte fließen könnten. Der Verbraucher sollte dabei laut Seehofer für die Weitergabe seiner Daten "zumindest eine angemessene Entschädigung bekommen".

Zur Problematik von Nutzern, die mit dem Urheberrecht in Konflikt kommen, verwies Seehofer auf "horrende Anwaltsrechnungen" etwa bei der Verwendung von Stadtplanausschnitten auf privaten Homepages. Hier müsse auf jeden Fall sichergestellt sein, dass der Verbraucher zumindest deutlich über die Kostenpflichtigkeit von Inhalten aufgeklärt werde. Die Charta geht weiter und will "eine Strafverfolgung nicht kommerziell begründeter Urheberrechtsverletzungen über das unverzichtbare Maß hinaus" vermieden wissen. Zudem schreibt sie mehrere Bedingungen zum Einsatz von DRM-Systemen vor. So müsse dabei die Integrität des privaten Eigentums in Bezug auf Endgeräte, Programme und Daten gewahrt werden. Die Funktion und Sicherheit von Hard- und Software beim Nutzer dürften nicht beeinträchtigt und zur Wahrung der Anonymität keine Profile erstellt werden. Die Wahrnehmung der gesetzlichen Schrankenbestimmungen des Urheberrechts etwa zur Möglichkeit von Privatkopien sei ferner im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten.

Seit Langem wird bereits darüber spekuliert, dass die Charta auch Anbieter von Web-Musikshops wie Apple zur Öffnung ihrer geschlossenen Systeme drängen werde. Hierzu heißt es im fertigen Papier, dass die Inhalte- und Geräteverkäufer "zur Vermeidung von Abhängigkeiten auf offene Standards setzen und die Interoperabilität der Produkte gewährleisten" müssten. Verschiedene Systeme sollten miteinander kommunizieren und interagieren können, und die Nutzung von Inhalten sollte nicht an bestimmte Endgeräte oder Betriebssysteme gebunden werden. Europäische Verbraucherschützer hatten hier zuvor konkretere Forderungen aufgestellt und sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Den Organisationen aus Deutschland, Finnland, Norwegen und Frankreich geht es um klare Verpflichtungen zur Gewährleistung der Interoperabilität der gekauften Titel, um bessere Vertragsbedingungen und Haftungsregeln. Verbraucherschutz-Kommissarin Meglena Kuneva erklärte heute laut Medienberichten nach Kritik aus dem US-Wirtschaftsministerium, sie habe mit ihren Äußerungen vom Wochenende über die Kopplung von Apples iTunes Store mit dem iPod nur eine Debatte anstoßen wollen.

Generell gibt es Seehofer zufolge noch viel zu tun. So gehöre es auch zum Verbraucherschutzbereich, den "digitalen Graben" zu schließen und etwa "gleichberechtigte" Vernetzungsmöglichkeiten in Stadt und Land zu schaffen. "Der Breitbandzugang muss auch Menschen in ländlichen Regionen ermöglicht werden", forderte der Minister. Als komplett "rechtsfreie" Räume für Verbraucher kritisierte Seehofer neue Online-Gemeinschaften wie Second Life, in denen virtuelle und reale Welt verschwimmen würden. "Was ist mit den Kaufverträgen, welchem Recht unterliegen sie? Gibt es einen Gewährleistungsanspruch, und wenn ja, gegen wen? Kann ich Kredite aufnehmen und wie werde ich vor Kredithaien geschützt?", warf Seehofer zahlreiche offene Fragen auf.

Neben der Charta, für die der CSU-Politiker im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel noch stärker die Werbetrommel rühren will, stellte er noch einen weiteren Forderungskatalog in zehn Punkten vor. Dabei geht es um die Sicherstellung der Zugangsfreiheit, Datenhoheit, von Spamschutz, Transparenz, Aufklärung, Rechtssicherheit und Benutzerfreundlichkeit. Einsetzen will sich Seehofer ferner um vermehrte Verbraucherkompetenz durch Bildung, einen systematischen Jugendmedienschutz und den Bürokratieabbau etwa bei Verfahren zur Überprüfung von Kommunikationsdiensten und Zugängen zu öffentlichen Internetangeboten. Kuneva bezeichnete die deutschen Vorschläge als "sehr guten Ausgangspunkt". Mit Selbstregulierungsmaßnahmen sei viel zu erreichen, aber die Gesetzgeber seien "als letzte Pfeiler" auch gefordert. (Stefan Krempl) / (anw)