Bit-Rauschen: Chinas Halbleiterbranche im Würgegriff von US-Sanktionen

Die US-Regierung verschärft Embargovorschriften drastisch, um China von essenziellen Chipentwicklungen abzuschneiden. Das schadet auch westlichen Zulieferern.

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Inhaltsverzeichnis

Anfang Oktober setzte die US-Regierung stark verschärfte Exportbeschränkungen für Halbleiterfertigungstechnik und weitere Maßnahmen gegen chinesische Chipfirmen in Kraft. Sie betreffen nicht nur US-amerikanische Firmen, die Anlagen und Materialien für die Chipherstellung nach China verkaufen, sondern auch europäische Zulieferer wie den Branchenprimus ASML aus den Niederlanden sowie asiatische Auftragsfertiger wie TSMC und Samsung. Die neuen US-Sanktionen zielen in erster Linie auf moderne Prozessoren, DRAM- und NAND-Flash-Speicherchips. Doch sie wirken sich auch auf andere Bauelemente aus.

Langfristig gesehen dürften die US-Sanktionen auch chinesischen Chipfirmen schaden, die bisher vorwiegend noch ältere Fertigungstechnik nutzen: Espressif (IoT-Mikrocontroller wie ESP32), Rockchip (ARM-SoCs ), Allwinner (ARM- und RISC-V-SoCs), HiSilicon (ARM-SoCs), GigaDevice (Mikrocontroller) oder auch StarFive (RISC-V-SoCs). Denn künftige Bauelemente, die feinere Strukturen benötigen, können diese Firmen nur noch mit einer Ausnahmegenehmigung der US-Regierung von Auftragsfertigern wie TSMC, Samsung, UMC und Globalfoundries beziehen.

Die chinesische Firma SMIC hat schätzungsweise 5 Prozent Anteil am Weltmarkt der Chip-Auftragsfertiger. SMIC kann derzeit Chips mit minimal 14 Nanometern Strukturbreite fertigen und arbeitet angeblich auch an 10- und 7-Nanometer-Technik.

(Bild: SMIC)

Schon seit Jahren beschränken die USA den Export bestimmter Maschinen und Halbleiterchips nach China. Chinesische Chipfirmen bekommen daher keine Lithografiesysteme mit extrem ultraviolettem (EUV-)Licht und eine Reihe von Firmen und Organisationen, die Supercomputer oder Prozessoren entwickeln, dürfen gar nicht mehr beliefert werden. Diese Sanktionen sollen China dabei behindern, stärkere Supercomputer, KI-Systeme und Waffen zu entwickeln. Es geht also um nationale Sicherheitsinteressen der USA.

Schon im September hatten US-Behörden AMD und Nvidia untersagt, bestimmte KI-Rechenbeschleuniger nach China zu liefern. Im Oktober erließ das "Bureau of Industry and Security" des US-Wirtschaftsministeriums auf 139 Seiten weitere Beschränkungen. Die erste Kategorie bildet eine Liste von 28 Unternehmen mit zahlreichen Subunternehmen und Beteiligungen, zu denen auch die erwähnten Supercomputerentwickler zählen, etwa Sugon und Phytium.

Die zweite Kategorie der Exportverbote zielt auf Chips mit bestimmten Eigenschaften, etwa Logikchips mit Strukturen von 16 Nanometern und darunter, DRAM-Chips mit maximal 18 Nanometern sowie Flash-Speicherchips mit 128 oder mehr Lagen. Es sind aber Ausnahmegenehmigungen möglich. Solche sind auch nötig für Prozessoren mit mehr als 5 GFlops Rechenleistung; das schafft bereits der Chip eines Raspberry Pi Zero 2 W.

Eine dritte – und bisher ungewöhnliche – Kategorie von Sanktionen betrifft US-Staatsbürger oder Personen mit einer Arbeitsgenehmigung für die USA: Sie dürfen nicht mehr für chinesische Firmen arbeiten, die entweder zur ersten Kategorie gehören oder Produkte der zweiten Kategorie produzieren oder entwickeln. Bleiben die Personen dort weiter tätig, verlieren sie ihre US-Staatsbürgerschaft oder ihre Arbeitserlaubnis. Sie müssen sich also für eine Seite entscheiden. Die Arbeitsverbote zielen einerseits auf Manager und wichtige Entwickler mit (zusätzlicher) US-Staatsbürgerschaft, die für chinesische Chipfirmen arbeiten. Die Regelung trifft aber etwa auch Techniker, die Anlagen in China montieren und warten.

Der Einplatinencomputer Radxa Rock 5 ist mit dem ARM-SoC RK3588 der chinesischen Firma Rockchip bestückt. Weil der RK3588 mit 8-Nanometer-Technik produziert wird, ist er von US-Sanktionen betroffen.

(Bild: Radxa)

Auch Chip-Auftragsfertiger und Zulieferer aus anderen Ländern als den USA sind von den US-Sanktionen betroffen. Denn die Chipfertigung hängt an globalen Lieferketten, in denen die USA eine wichtige Rolle spielen. Eine US-Firma, die von Exportbeschränkungen betroffene Produkte nach Europa, Japan oder Korea liefert, muss sicherstellen, dass sie nicht am Ende doch in China landen. Viele internationale Firmen haben zudem Niederlassungen in den USA, wo sie Technik entwickeln oder produzieren. Das gilt etwa für ASML, den niederländischen Hersteller von Lithografiesystemen.

Doch in den USA sitzt mit Applied Materials auch einer der wichtigsten Zulieferer von Vorprodukten für Chips. Und aus den USA stammt essenzielle Software für die Chipentwicklung, nämlich Werkzeuge für Electronic Design Automation. Ohne solche EDA-Tools von Firmen wie Cadence, Synopsys und Siemens EDA (ehemals Mentor) können Chipentwickler ihre Designs nicht in die Fertigungsabläufe von TSMC, Samsung oder auch Globalfoundries einspeisen. Und sie verlieren Zugriff auf vorgefertigte Funktionsblöcke wie Rechenkerne und RAM-, PCIe- oder USB-Controller, die Firmen wie ARM und Rambus verkaufen.

ASML hat bereits alle Angestellten aus China zurückgerufen, die von dem Embargo betroffen sind. Das dürfte zu Engpässen bei chinesischen Chipherstellern führen. Applied Materials hat eine Umsatzwarnung veröffentlicht: Im vierten Quartal 2022 werde man rund 400 Millionen US-Dollar beziehungsweise rund 6 Prozent weniger einnehmen als bisher geplant. Auch in Deutschland und Europa sitzen viele Zulieferer für die Halbleiterindustrie, deren Chinageschäft nun schrumpfen könnte.

Weil bisher nur ein kleiner Teil der weltweit verkauften Halbleiterchips aus China kommt, sind die wirtschaftlichen Auswirkungen auf andere Länder aber nicht sehr groß. Die taiwanische Marktforschungsfirma TrendForce schätzt, dass die chinesischen Auftragsfertiger SMIC, HuaHong und Nexchip 2021 zusammen weniger als 8 Prozent Marktanteil hatten. Die Produkte der chinesischen Chiphersteller Yangtze Memory (YMTC, Flash-Speicherchips) und ChangXin Memory Technologies (CXMT, DRAM) spielen auf dem Weltmarkt noch keine große Rolle. Allerdings hatte YMTC auf Geschäfte mit Apple gehofft, möglicherweise um in China verkaufte iPhones mit Flash-Speicher zu bestücken.

Die meisten Chips der eingangs erwähnten chinesischen Firmen Allwinner, Espressif, GigaDevice, Rockchip und StarFive fallen nicht unter die Sanktionen, weil sie gröbere Strukturen nutzen. Soweit sie außerhalb Chinas beispielsweise von TSMC, UMC, Globalfoundries oder Samsung produziert werden, sind keine Engpässe zu befürchten. Einzelne Chips wie der Rockchip RK3588 entstammen aber bereits der 8-Nanometer-Produktion.

Die taiwanischen Auftragsfertiger TSMC und UMC sowie die koreanischen Speicherchiphersteller Samsung und SK Hynix betreiben jeweils auch Werke in China: TSMC in Shanghai und Nanjing, UMC in Xiamen, Samsung in Xi’An (Flash-Speicher) und SK Hynix in Wuxi (DRAM) sowie Dalian (ehemalige Intel-Fab). Laut Berichten haben Samsung und SK Hynix bereits Ausnahmegenehmigungen für den Weiterbetrieb ihrer chinesischen Werke bis Ende 2023 erhalten.

Chinesische Chip-Auftragsfertiger haben bisher weniger als 9 Prozent Anteil am Weltmarkt. Starke Auswirkungen der US-Sanktionen auf die Chipbranche sind also nicht zu befürchten.

Konkrete Reaktionen der chinesischen Regierung auf die verschärften Exportbeschränkungen wurden bisher nicht bekannt. Möglicherweise haben die USA die neuen Restriktionen bewusst kurz vor dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China verkündet, auf dem Staatspräsident Xi Jinping seine Macht weiter ausbaute. Die Sanktionen stehen aber auch in zeitlichem Zusammenhang mit dem anschwellenden Säbelrasseln Chinas gegen Taiwan. Zudem spielt der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine eine gewisse Rolle: Dort zeigt sich, dass Russland bei der Mikroelektronik glücklicherweise weit hinterherhinkt. Für bessere Waffen und Kampfdrohnen sind moderne Chips essenziell. Wirtschaftlich schmerzhafte Sanktionen der USA sollen China zeigen, dass man negativ bewertete Entwicklungen nicht tatenlos hinnimmt.

Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die US-Sanktionen ganz allgemein die Entwicklung chinesischer Chipfirmen behindern. Gleichzeitig fördern die USA – ebenso wie die EU – mit Milliardensummen den Aufbau lokaler Chip-Fabs. So betrachtet hält sich der Westen mit den Sanktionen gegen chinesische Firmen auch unliebsame Konkurrenz vom Hals.

China könnte mit einer Abschottung des eigenen Markts gegen westliche Produkte reagieren. Das würde viele Firmen aus den USA und Europa hart treffen. Laut Statista verkauften 2021 beispielsweise Volkswagen, Daimler und BMW mehr als 37 Prozent ihrer Fahrzeuge in China. Und auch für Chipfirmen ist der chinesische Markt sehr wichtig.

Die US-Chipfirmen Intel und Micron investieren derzeit – wie schon mehrfach in c’t berichtet – hohe Beträge in den Aufbau neuer Fertigungsanlagen in Arizona, Ohio, Idaho, Irland, Deutschland und Italien. Aktuell schrumpfen die Umsätze von Intel und Micron jedoch; bei Intel stehen sogar Entlassungen an, vermutlich von mehr als Tausend Mitarbeitern. Zumindest bisher schätzen die Chefs der Chipfirmen den Abschwung aber als vorübergehend ein. Die hohen Investitionen verteilen sich hingegen über mehrere Jahre, müssen also unabhängig von kurzfristigen Entwicklungen geplant sein.

China bemüht sich seit Jahren, die Abhängigkeit von westlicher Chiptechnik zu reduzieren. Zahlreiche chinesische Firmen nutzen etwa die offene CPU-Befehlssatzarchitektur RISC-V und China fördert die Entwicklung offener EDA-Tools. Doch die erwähnten Unternehmen CXMT und YMTC, die mit hohen Investitionen aufgebaut wurden, sind in hohem Maß von ausländischen Firmen abhängig. Eine moderne Chip-Fab ist auf mehrere Tausend Zulieferer angewiesen, die Spezialmaschinen, Vorprodukte wie Wafer, hochreine Metalle, Chemikalien, Reinigungsmittel, technische Gase, Substrate sowie auch Dienstleistungen bereitstellen. Dieses hoch komplizierte und global vernetzte Ökosystem lässt sich kaum lokal nachbauen.

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(ciw)