Daten und Taten: Das war 2019 - der nicht so besinnliche Jahresrückblick

Wieder ein nicht ganz so besinnlichen Jahresrückblick? Ordentlich gesteigert müsste diesmal der besinnungslose Rückblick folgen, denn 2019 hatte es in sich.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
Das war 2019: Daten und Taten im Jahresrückblick

(Bild: Sergey Peterman / shutterstock.com)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Verglichen mit dem im November 2019 spielenden Film "Blade Runner" war 2019 eigentlich ein ganz ordentliches Jahr. Es war sehr heiß (Klimawandel), während es im Film ständig regnet, es wurde heiß diskutiert und viel demonstriert. 300.000 gingen gegen die Einführung von Upload-Filtern auf die Straße, Millionen junger Menschen waren bei den Freitagsdemonstrationen dabei. Film und Realität stimmten eigentlich nur bei den Captchas überein, mit denen Replikanten und echte Menschen unterschieden werden können. Letztere feierten den Geburtstag der Mondlandung und trauerten um eine Katze, die missmutig aus dem Netz guckte.

Betrachtet man 2019 und die gesammelten Meldungen von heise online aus der Perspektive des Statistikers, so ergeben sich unerwartete Einblicke. Neben den üblichen Meldungen von Apple, Microsoft und Co war es diesmal die chinesische Firma Huawei, die 2019 für die meistdiskutierten Meldungen sorgte. Das lag einmal daran, dass Politiker aller Parteien sowie die amtierenden und ehemaligen Leiter der Geheimdienste sich über die Gefährlichkeit dieses Konzerns äußerten, der nicht nur in China, sondern auch in Russland und in in Nordkorea beim Aufbau des 5G-Netzes mit von der Partie ist. Dazu kamen Meldungen, dass Huawei auch in Großbritannien und den USA umstritten ist, wo der große Trumpinator gegen die Firma wetterte. Zum anderen lag es an der meistgelesenen Meldung des Jahres, nach der Google Huawei vom Android-Ökosystem aussperrt, auf die zahlreiche Meldungen folgten, wie Huawei mit dem Ausschluss umgehen wird.

Mitunter hilft die schönste Statistik nicht weiter. So kann die Frage nicht beantwortet werden, welcher Politiker den Leserinnen und Lesern im Jahre 2019 am meisten ans Herz gewachsen ist. Mit Horst Seehofer und Andreas Scheuer haben sich zwei CSU-Größen ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. Eigentlich lag Horst Seehofer, der wegen Huawei sogar das Telekommunikationsgesetz ändern will, mit vielen Vorschlägen uneinholbar vorne. Man denke nur an seine Vorschläge, dem BND die Nutzung von Trojanern im Inland zu gestatten, Messenger zur Entschlüsselung zu zwingen und den Zugriff auf Alexa durch Polizei und Geheimdienste. Die personifizierte Abrissbirne für unser Grundgesetz geriet aber mit der Entscheidung des europäischen Gerichtshofes zur PKW-Maut am 17. Juni ins Hintertreffen.

Danach trumpfte der Minister für die digitale Infrastruktur groß auf. Das lag vor allem daran, dass Andreas Scheuer zunächst an der Maut festhalten wollte, weil er längst Verträge für das Mautsystem unterschrieben hatte. Anschließend versprach er mehrmals größtmögliche Transparenz bei der Aufklärung zur Auftragsvergabe und verteidigte sein Vorgehen stur. So beschäftigt uns die LKW-Maut noch am Jahresende. Zusammen mit dem sanften Vorgehen beim Abgasbetrug, einem halbgaren Funkmastenplan und der Bezeichnung der Demonstranten von Fridays for Future als rückwärtsgewandte Protestierer sorgte Scheuer dafür, dass sein Name einen bleibenden Eindruck hinterließ.

Womit wir bei der Chronologie der laufenden Ereignisse sind. Denn 2019 begann genau so, wie 2018 aufgehört hatte, mit Angriffen von Emotet, diesmal in Rechnungsmails. Der Schädling befiel in der Folge noch die Medizinische Hochschule Hannover, das Berliner Kammergericht und die Neustädter Stadtverwaltung. Weil auch der Heise-Verlag betroffen war, lautet die Devise für 2020 aus den Fehlern lernen. Ob Emotet inmitten aller Reden über die Digitalisierung ein Warndreieck vor der digitalen Hilflosigkeit der Bürger ist, wird noch diskutiert. Kein Schädling, sondern die zum Jahreswechsel bekannt gewordene Schandtat des Massen-Doxxing beschäftigte die Gemüter und rief die Datenschützer auf den Plan, die den Einsatz starker Passwörter forderten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Richtig laut wurde es im Forum mit der Nachricht vom Bundesverfassungsgericht und dem Urteil, dass Mail-Provider die IP-Adressen herausgeben müssen. Über die Sinnhaftigkeit dieser Vorgabe wurde das Jahr über diskutiert. Sie gipfelte zum Schluss in einen Gesetzentwurf, der die Herausgabe von IP-Adressen und von Passwörtern zum Ziel hat: Die Abrissbirne für das Grundgesetz kann auch in einem SPD-geführten Ministerium geschwungen werden. Im Januar begann überdies die Dauer-Berichterstattung über die 5G-Auktion, die im Juni beendet wurde und Einnahmen von 6,55 Milliarden generierte.

Natürlich wurde die Auktion von mahnenden Worten begleitet, die Digital-Impresario Andreas Scheuer aus einem Testzug verkündete. Hopplahopp sind wir im Februar, dem Monat, der dank einer EU-Gesetzesreform ganz im Zeichen der Upload-Filter stand. Mit dem Aufbruch ins Abseits startete eine ganze Kette von Demonstrationen mit beziehungsreichen Titeln wie "Wir sind die Bots" oder "Dieser Bot geht wählen".

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die Proteste liefen im März weiter, es gab spontane Demonstrationen und eine über ganz Deutschland verteilte Großdemo gegen die Filter des Schreckens in Hannover, Bremen, München, Nürnberg, Köln und Berlin. Zusammengerechnet sollen über 100.000 Menschen demonstriert haben. Doch all die Proteste nutzten nichts und so kam der schwarze Tag für Europa, als das Europa-Parlament die Upload-Filter durchwinkte. Auch das stark besuchte Heise-Forum trug Trauer. Die netzpolitische Bewegung erlebte bei dem Angriff auf den gesunden Programmiererverstand ihre bisher größte Niederlage, später war von der bitteren Erfahrung einer ganzen Generation die Rede.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Unterdessen hat sich eine andere Generation auf den Weg gemacht. Bei der bis dahin größten Demonstrationsreihe von Fridays for Future in Deutschland kamen über 300.000 junge Menschen zusammen, die gegen den Klimawandel und für eine angemessene Klimaschutz-Politik kämpfen.

Im März hagelte es auf einem ganz anderen Gebiet Verbote und Sperrungen. Zuerst gab es Startverbote in China, dann wurde der Luftraum in Deutschland gesperrt, schließlich zogen Kanada und die USA nach. Anlass war der Absturz einer Boeing 737 Max der indonesischen Lion Air$. Zunächst hieß es, dass die Maschine schlecht gewartet und nicht flugtauglich gewesen sei, doch dann stellte sich heraus, dass im Kampf zwischen Computer und Pilot der Computer gewinnen und die Maschine zum Absturz bringen konnte.

Wahrscheinlich wird dieser Flugzeugtyp erst im nächsten Jahr wieder fliegen können, nachdem bekannt wurde, wie schlampig man bei Boeing gearbeitet und zudem die Zulassungsbehörde hinters Licht geführt hatte. Das wirklich Erstaunliche ereignete sich vor wenigen Tagen, als Boeing die Produktion der Maschine stoppte. Bis dahin hatte man trotzig weitergebaut und damit eine ganz eigene Firmenkultur demonstriert. Wie es mit dem Flieger weitergeht, ist offen. Immerhin scheint man bei Boeing zu der Einsicht gekommen zu sein, dass sich die Luftfahrtaufsichtsbehörden sich nicht "seiner Laune" beugen werden, wie dies ein US-Senator formulierte.

Ein trauriges Ereignis sorgte für hitzige Diskussion. Nach dem Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch wurde die Forderung an "die Internetkonzerne" laut, das Streaming solcher grauenhaften Geschehnisse schneller zu unterbinden. Tatsächlich hatte die KI-Software von Facebook den Anschlag nicht erkannt und gelöscht. Debattiert wurde auch die Rolle von Bilderbrettern wie 8Chan, die bei der Verbreitung der Terrorvideos eine wichtige Rolle spielen. Die Debatte um das Streaming wiederholte sich im Oktober, als das Bekennervideo auf Twitch zu sehen war und die "US-Techriesen" versprachen, die Verbreitung des Täter-Videos zu verhindern.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Der Appell der Innenminister an Facebook und Twitch, doch bitte bessere Upload-Filter zur Sperre solcher Videos einzusetzen, ist bislang ohne Konsequenzen geblieben, dafür wurde lieber diskutiert, ob die Vorratsdatenspeicherung ein geeignetes Mittel sein kann, die Verbreitung solcher Videos zu unterbinden.

Im April wurde der Wikileaks-Gründer Julian Assange in London in der Botschaft von Ecuador festgenommen, was im Heise-Forum für Diskussionen sorgte. Die USA beeilten sich, ihn anzuklagen, zunächst wegen der Hilfe beim Computereinbruch, später folgte ein Auslieferungsantrag, in dem von Spionage und einer Verschwörung gegen die USA die Rede war. Während die britische Regierung ein Gerichtsverfahren in Gang setzte, bei dem im Februar 2020 entschieden werden soll, ob Assange ausgeliefert wird, entzündeten sich an dem Fall Debatten über den Zustand der Pressefreiheit und des Journalismus. Denn die Art und Weise, wie die USA die Rede- und Meinungsfreiheit aushebeln wollen, gibt zu denken.

Überlagert wird die Debatte von Nachrichten, nach denen der Gesundheitszustand von Assange nach dem jahrelangen Aufenthalt in der Botschaft nicht der beste sein soll. Ärzte befürchten, dass Assange im Gefängnis sterben könnte, haben den Wikileaks-Chef nicht untersuchen können. Das wurde nur zwei Ärzten gestattet, die Nils Melzer, den UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter begleiteten. Melzer kämpft seitdem um die Freilassung von Assange. Seine nach der Verhaftung verhängte Haftstrafe wegen Bruch der Kautionsauflagen hat Assange abgesessen.

Seit Jahren wurde davon geredet, doch erst im Mai 2019 fand sie statt: Eine kriegerische Hybrid-Attacke auf die IT-Infrastruktur eines Gegners. Zunächst wehrte Israel einen Cyber-Angriff aus dem Gaza-Streifen ab und zerstörte dann mit einem Bombenangriff die IT bzw. das Haus, von dem aus der Cyber-Angriff erfolgte. Nach diesem kombinierten Hack-Back soll die Hamas keine funktionsfähige IT mehr besitzen, erklärte jedenfalls ein Sprecher der israelischen Streitkräfte. Für eine größere Debatte im Heise-Forum über den Sinn und Zweck von Zertifikaten sorgte ein Patzer von Firefox, der freilich schnell behoben wurde.

Natürlich spielte auch in diesem Jahr das Wetter eine Rolle. Das zeigte sich im Juni bei der Meldung zum Ökostrom-Rekord, wie auch im September, als der Protest gegen den Klimawandel in Deutschland 1,2 Millionen Menschen mobilisierte, auch im Ärger über ein Eckpunkte-Papier der Regierung, die aus dem geplanten Klima-Paket schließlich ein Klimapäckchen machte. Im Forum ging es später heftig zur Sache, als in der Debatte um den Verkehrswandel der fossile Verbrenner zum Flüchtlingsthema der nächsten Jahre hochstilisiert wurde. Im Auto steckt eben dauerhaft Zündstoff, wie es die Spitzenmeldung vom Juli zeigte. Da ließ ein Gericht die Dashcam als Beweismittel zu, was wiederum zur Frage führte, ab wann diese Sicherheitskameras eigentlich Überwachungskameras sind.

SprinD ist doch ein schöner Name und steht für die neue Agentur für Sprunginnovation, die von der Bundesregierung ins Leben gerufen wurde und mit 200 Millionen neue Forschungsansätze unterstützen soll. Ob das Projekt ein Vollstart an die Decke ist, wird sich zeigen müssen. Der im Juli vorgestellte Chef Rafael de Laguna kommt aus der Open-Source-Szene und schwärmte gleich einmal von einer humanistischen Antwort auf das Silicon Valley. Die Agentur mit Sitz im innovativen Leipzig wird als erstes Projekt den Bau von Analogrechnern fördern, weil sie besonders stromeffizient ist. Vielleicht wird Deutschland ja auf diesem Gebiet ein Weltmarktführer wie weiland mit der "Kritischen Theorie" von Theodor Adorno und Horkheimer. Von Theodor W. Adorno, der 1969 starb erschien ein Vortrag über die Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, den er 1967 gehalten hatte. Zum Vortrag gab es im August ein sonntägliches Missing Link, das die Debatten auch im Heise-Forum ordentlich befeuerte und einen Rekord bei den gesperrten Beiträgen aufstellte.

Abseits der bereits erwähnten Klima-Proteste verärgerte im September zwei Entscheidungen zum Leistungsschutzrecht die europäischen Verlagsmanager, die gerne auf Melkziegen starren. Erst entschied der europäische Gerichtshof, dass das deutsche Leistungsschutzrecht nicht europaweit anwendbar ist, dann begann Google damit, die geldbringenden Snippets aus dem Angebot zu streichen.

Der Oktober 2019 wird deshalb in Erinnerung bleiben, weil in der Debatte um den weiteren Weg Deutschlands in dieser Digitalisierung der Antrag auf verpflichtende offene Standards und offene Schnittstellen abgelehnt wurde. Selten wurde die systembedingte Kurzsichtigkeit der Politik so deutlich vorgeführt, zumal fast gleichzeitig ein Digitalgipfel die ach so datensouveräne Wollmilch-Cloud Gaia X über den grünen Klee lobte. Dieses Projekt wird über die nächsten Jahre hinweg putzige Nachrichten liefern. Das gilt auch für die 2018 installiere Datenethikkommission, die erste Ergebnisse vorstellte. Sie warnte vor den Gefahren der Profilbildung und sprach sich für ein Verbot der De-Anonymisierung aus.

Kann man das noch toppen? Aber klar doch: Es gibt schließlich diese IT-Wirtschaft, die sich mit gequirltem Blödsinn über einen Generalverdacht gegen Algorithmen zu Worte meldete. Kann so ein unschuldiges Go-To-Statement eigentlich schlimm sein?

Im November beschäftigte die fleißigen Heise-Leserinnen und Leser vor allem eine Geschichte aus dem Jahre 2018, nämlich der wieder aufgearbeitete Fall der Ermordung einer Fußgängerin durch ein autonomes Auto. Das ist jetzt hart formuliert, aber die schlichte Wahrheit im Angesicht der abstrusen Debatten über eine künstliche Intelligenz, die entscheidet, wer vom Auto da auf dem Zebrastreifen getötet wird. Jeder ist mal dran. Nun ist der Dezember noch nicht vorüber und damit sind die Highlights schwer erkennbar. Der bereits erwähnte Gesetzesentwurf zur Herausgabe von Passwörtern gehört sicherlich dazu. Vielleicht knallt auch auf dem anstehenden Congress des Chaos Computer Clubs das eine oder andere Jahresend-Bömbchen.

Beim aktuell diskutierten Passwortgesetz gibt es im frisch anbrechenden 2020 sicher eine Wiedervorlage, ebenso bei der über das ganze Jahr hinweg diskutierten Digitalsteuer für Digitalkonzerne. Nur Frankreich hatte in diesem Jahr die Chuzpe, das Thema anzufassen. Damit kann man sich eigentlich auf das nächste große IT-Thema freuen, den anstehenden Brexit. Was da alles an IT-Lösungen für den geschmeidigen Warenverkehr erdacht und programmiert werden muss, wird den Newsticker sicher weit über 2020 mit Stoff versorgen. Wir sind halt immer dabei, wenn Fakten zu Fiktionen werden, in Erinnerung an die Geschichte von Liberty Valence. (jk)